Thomas Schmidt ist de facto Sachsens Förderminister - aber er sieht sich als Kümmerer. Der 60-jährige CDU Mann ist, wie er erzählt, in Gemeinden gefahren, aus denen nichts kam. Hat gesagt: Stellt Anträge, sonst ist das Geld weg! Foto: SMR

Mehr Steuerung für die Kohle-Milliarden

Weil Unternehmen nicht direkt gefördert werden dürfen, fließt viel Feld in technologische Blütenträume und weiche Standortfaktoren für die Kommunen. Ökonomen warnen: Das muss anders werden.

Von Christine Keilholz

Der Strukturwandel bringt 17,2 Milliarden Euro in die Lausitz. So viel Geld aus öffentlichen Kassen weckt die Lust am Geldausgeben. Aber nicht immer für das Richtige. Joachim Ragnitz meint, es werde mit besten Absichten viel Falsches gefördert. „Die Kohleregionen schmücken sich mit hochfahrenden technologischen Leitbildern“, sagt der Vize-Geschäftsführer des Dresdner Ifo-Instituts, „aber was am Ende herauskommt, sind sanierte Kindergärten und Raumschiffe von Forschungsinstituten, die da, wo sie landen, wahrscheinlich nicht funktionieren.“ Ragnitz ist eine der mächtigsten Stimmen der ostdeutschen Wirtschaftswissenschaft. Er kennt die realen wirtschaftlichen Verhältnisse der Lausitz – und die ersehnten. Der Abstand dazwischen ist groß, meint er. 

In einem viel beachteten Aufsatz konstatierte der 61-jährige Ökonom jüngst eine Art zweckoptimistischer Verschwendungslust, die mit dem Kohleausstieg eingezogen sei. Die Aussicht auf 40 Milliarden Euro aus Bundeskassen hat seiner Ansicht nach zu übersteigerten Vorstellungen geführt, wozu kleine Regionen abseits der Ballungszentren tatsächlich fähig sind. Die schicken Leitbilder seien zwar wohlklingend, aber kaum angesichts der großen internationalen Konkurrenz kaum realisierbar. Und wenn man ihn fragt, verweist er auf die Radwege, Heimatmuseen und neue Straßenbahnen, die beantragt und genehmigt werden zum Zwecke neuer Wirtschaftskraft. „Solche Sachen bringen für den Strukturwandel überhaupt nichts“, ist er überzeugt.  

Besser Wasserstoff als Nokia

Mit dieser Ansicht steht der streitbare Ökonom nicht allein. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass niemand wirklich weiß, was besser funktionieren könnte. Eine Generationenaufgabe, die Milliarden an öffentlichem Geld in die Entwicklung einer strukturschwachen Region pumpt, hat es so noch nicht gegeben. Höchstens im Ruhrgebiet, aber das war anders. Von dort lässt sich immerhin lernen, was nicht funktioniert. Etwa das: Besser als die Ansiedlung des Handyherstellers Nokia in einer alten Fabrik in Bochum zu feiern – am Vorabend der Geburt des Smartphones – ist es, die technologischen Trends von übermorgen zu kennen. Aber daraus kann auch ein Zwang entstehen. Der lässt sich in der Lausitz betrachten. Einerseits investieren die Kohle-Bundesländer viel Geld in den Traum von der nächsten Gigafabrik – andererseits wollen die Kommunen mit aller Kraft aus der Begrenztheit ihrer finanziellen Verhältnisse ausbrechen. All das muss nun noch schneller gehen als geplant. 

Die neue Bundesregierung will das Ende der Braunkohle „idealerweise“ auf 2030vorziehen. Damit muss auch der Aufbau in den Revieren schneller laufen. Die Lausitz muss nun noch schneller zum Standort für zukunftsweisende Antriebssysteme, innovative Verkehrskonzepte oder zum Dorado der dekarbonisierten Industrie werden. Und die Lausitzer Städte und Dörfer müssen noch schneller die Schönheit, Lebensqualität und Anbindung bieten, die mobile junge Menschen einfordern. Eine Menge muss gleichzeitig passieren – und kostet gleichzeitig viel Geld. Strukturwandel kann letztlich alles sein – auch ein ertüchtigter Bahnhof oder ein asphaltierter Radweg. Aber nicht alles bringt Wirtschaftskraft für die Zeit nach der Braunkohle. 

So viel Geld ist nicht da

Die Förderung von Technologie gehört dabei in die großen Leitlinien der Länder. Deutschlands Schlüsselbranchen stecken in der Transformation. Industrien müssen sich neu erfinden. Das bietet dem Osten Deutschlands Ansätze, endlich aufzuholen. Dafür scheint keine Investition zu groß. In Brandenburg liefert die Ansiedlung von Tesla in Grünheide guten Grund zur Annahme, dass mehr in dieser Größe folgen wird, wenn man nur genug Fördergeld bereithält. Der Strukturwandel hat neuen Mut geweckt in dem Land, das einst mit Cargolifterstartete und mit einer Tropenhalle baden ging. Nach Jahren der Zurückhaltung leistet sich Brandenburg nun wieder teure technologische Vorzeigeprojekte wie die Batterieentwicklung bei BASF in Schwarzheide, für die das Land Millionen locker gemacht hat. 

Doch die Spitze des Geldbergs ist bald erreicht. Joachim Ragnitz rechnet es vor. Nur ein Drittel der Strukturmittel – knapp neun Milliarden – sind für direkte Finanzhilfen an Länder und Gemeinden für „besonders bedeutsame Investitionen“ gedacht. Sachsen etwa verfügt dann pro Jahr über Fördermittel von 460 Millionen für die Lausitz und das Mitteldeutsche Revier. Tigersprünge sind damit kaum möglich. Der Strukturwandel in den Kohlerevieren gilt zwar als ein exzeptioneller Prozess von regionaler Förderung. Doch gemessen an den Zahlen, relativiert sich das Bild. Dann unterscheidet sich die Strukturstärkung nur wenig von anderen Maßnahmen der Hilfe für schwache Regionen. Somit müssen sich auch die Städte und Dörfer von einigen Projekten verabschieden. 

Bäder und Kitas bringen wenig

Die Lausitzer Kommunen haben mit der Strukturstärkung die Aussicht bekommen, jenseits aller Sparzwänge ihre Träume von einer guten Zukunft zu verwirklichen. Das ist verständlich, schließlich fehlt es den meisten Verwaltungen schon am Personal, um Förderanträge fristgerecht einzureichen. Weil aber für die Träume oft die zündende Idee fehlt, wird das Geld zunehmend herangezogen, um die kommunalen Einrichtungen auf Vordermann zu bringen. Das ist nicht im Sinne des Erfinders des Strukturwandels – wird aber in Kauf genommen. Die klamme Lage der Rathäuser ist auch in den Staatskanzleien bekannt. Da scheint es leichter, die Stimmung in einer aufgewühlten Region durch sichtbar ausgegebenes Geld zu befrieden. 

Das Bedürfnis, die Kraftwerksorte für das zu entschädigen, was ihnen die Bundespolitik mit dem Kohleausstieg zumutet, ist offenbar größer als der Wunsch nach Steuerung. Da ist es selten, wenn etwa Sachsens Ministerpräsident es „fatal“ nennt, dass Bürgermeister ihre Dorfgemeinschaftshäuser, Bäder oder Kindergärten aus dem Strukturstärkungsgesetz fördern wollen. In einem Interview erinnerte Michael Kretschmer jüngst daran, dass „das Gesetz eingesetzt werden muss, um Bereiche zu fördern, die neue Arbeitsplätze schaffen können“. 

Mut zum Nein sagen

Ökonom Ragnitz sieht ohnehin die Länder in der Pflicht, den Geldsegen besser zu verteilen. Weil der Bund wenig Einflussmöglichkeiten hat, wo die Milliarden ausgegeben werden, müssen die Länder die Maßnahmen so dirigieren, dass sie die ganze Region voranbringt, statt nur von Rathaus zu Rathaus Wünsche zu erfüllen. Wenn der Kohleausstieg früher gilt, dann muss auch bei der Projektfindung der Turbo eingelegt werden. Auf Bundesebene geht das noch am einfachsten, denn die großen und überregionalen Projekte sind längst definiert. Dort müssen nur noch die Planungsverfahren so verkürzt werden, dass Bahnverbindungen, Bundesbehörden und Forschungsinstitute schon 2030 bereitstehen. 

Auf Landesebene wird das viel schwieriger, hier sind viele Projekte noch nicht gefunden. Weil nun die Zeit drängt, wird mehr Anträge geben. Ragnitz rechnet damit, dass in den ersten beiden Förderperioden bis 2036 und 2032 noch mehr Geld ausgegeben wird. Was im schlimmsten Fall bedeutet: Noch mehr untaugliche Projekte in noch kürzerer Zeit. „Da läuft gerade etwas gehörig schief“, sagt der Ökonom mit Blick auf die Kasse. Strukturwandel brauche mehr Steuerung von oben. Länder und Länder sollten jetzt umsteuern. Notfalls gegen die Interessen der Kommunen. Eine ganze Region muss nach vorn gebracht werden. Da braucht es Entschlossenheit und den Mut, auch mal Nein zu sagen.