Eine Wirtschaftsregion mit vielen gesunden Unternehmen soll die Lausitz nach der Kohle werden. Doch dafür fehlen hoffnungsvolle Startups. Kein Wunder, meint BTU-Wirtschaftsforscher Diemo Urbig, die Poltik sei zu entschieden auf Hightech-Gründungen aus.
Frage: Herr Urbig, die Lausitz braucht neue Unternehmen. Trotzdem werden zu wenige Startups gegründet. Was läuft falsch?
Diemo Urbig: In der Lausitz ist noch nicht viel Gründungserfahrung da, sowohl bei potentiellen Gründern als auch bei deren potentiellen Geschäftspartnern. Das bedeutet auch, dass den Banken möglicherweise Erfahrungen fehlen, um den Wert einer Gründungsidee zu sehen. Förderprogramme können Erfahrungen nicht ersetzen und können daher nicht sofort ein Befreiungsschlag sein. Es braucht Zeit, Erfahrungen zu sammeln und daraus zu lernen. Daraus wird im Lauf der Zeit ein Ökosystem entstehen.
Wie lange dauert das?
Das hängt davon ab, wie stark gefördert wird. Und ob Leute herziehen, die Gründergeist mitbringen. Nach dem Krieg sind wichtige Akteure in Regionen gezogen und haben ihre Erfahrungen mitgebracht. Damit kam etwas ins Wachsen. Wenn das nicht da ist, dann dauert es länger, bis sich eine vielfältige Gründerkultur entwickelt. In den Niederlanden gab es ehemalige Kohleregionen, die sich sehr gut entwickelt haben. Anhand solcher Beispiele kann ich sagen: 15 bis 20 Jahre sind realistisch, wenn es gut läuft.
Wie sehen echte Gründerinnen und Gründer aus?
Nach dem klassischen Gründerprofil braucht es jemanden mit Extrovertiertheit und Risikobereitschaft. Allerdings kann man diese Eigenschaften auch im Job ausleben, also bringt uns dieses Profil nicht weiter. Es gibt viele Gründer, die nicht extrovertiert sind, und viele Extrovertierte, die nie gründen. Ich sehe als entscheidendes Moment die Proaktivität, das ist die Bereitschaft, etwas zu tun. Die Welt ist voll von klugen Menschen, die nie bereit sind, alles auf eine Karte zu setzen und zu sagen: Ich probiere das aus. Das gilt übrigens nicht nur für Unternehmen. Auch einen Verein zu gründen, ist proaktives Tun. Da werden Zeit, Energie und Intellekt genutzt, um etwas Neues zu kreieren.
Welche Rolle spielen Alter, Geschlecht oder der Umstand, dass der Opa einen Handwerksbetrieb hatte?
Wir müssen schauen, welche Person bereit ist, proaktiv zu gründen. Da spielt die Erfahrung eine große Rolle. Wenn die Eltern selbständig agiert haben, liegt es nahe, dass die Kinder das auch tun und weniger Angst davor haben. Die eigene Persönlichkeit ist ein zentrales Kriterium, danach kommen die Erfahrungen und, drittens, das Umfeld, das einen prägt und bestärkt. Deshalb werden auch Kinder von Musikern öfter Musiker. Es gibt eine neuere Studien, die zeigen, dass nicht nur Eltern sondern sogar auch unternehmerische Großeltern die Kinder prägen. Bei diesen Studien ging es im Übrigen nicht nur um Hightech-Startups.
Woher kommen die guten Geschäftsideen?
Aus der Offenheit von Leuten, ihre Möglichkeiten zu nutzen. Wenn jemand neben seinem Job noch etwas Ehrenamtliches macht, wofür er sich begeistert, dann kann er daraus erkennen, was etwas einbringt. Das ist übrigens auch eine Kultur, die man fördern kann. Einer vernünftigen Wirtschaftsförderung sollte es nicht unbedingt darum gehen, das nächste Pharmaunternehmen hervorzubringen. Wenn man Gründungs-Ökosystem will, dann sollte man jede Art von Aktivität fördern, unabhängig davon, um welche Gründungsideen es geht.
Macht das die Lausitz im Strukturwandel richtig?
Das ist einer der Aspekte, die mich im Strukturwandel irritieren. Man möchte gleich alles und nur das Beste haben. Viele Gründungen und möglichst diese Einhörner, die schnell auf eine Milliarde Investment kommen. Um die zu bekommen, braucht man aber eine gesunde Basis von anderen Gründungen.

Diemo Urbig, 45, leitet den Lehrstuhl für empirische Unternehmensforschung und Transformation an der BTU Cottbus-Senftenberg. Der Brandenburger hat promoviert an der Humboldt-Universität Berlin, am Max-Planck-Institut für Ökonomik in Jena und an der Radboud University in den Niederlanden. Urbig forscht zu unternehmerischem Denken und Verhalten im Kontext von Gründungs-, Innovations- und Transformationsprozessen. Foto: PicturePeople
Brandenburg und Sachsen fördern am liebsten Hightech. Wie klug ist das?
Wenn man ein Ökosystem will, das um Technologie herum gelagert ist, dann ist das nicht falsch in einer Region, die starke Universitäten hat. Tatsächlich bringen aber Nicht-Tech-Gründungen auch viel und die sind sowieso typischerweise in der Mehrzahl. Sei es die Personalvermittlung, die den Tech-Unternehmen hilft, Leute zu finden. Ich denke, man kommt schneller zu einem starken Techniksektor, wenn man auch solche Gründungen fördert. Selbst ein Aquariumsshop ermöglicht es seinem Besitzer, sich als Unternehmer zu versuchen. Etliche große Startups wurden von Leuten gegründet, die vorher kleine Sachen hatten. Also ja: Man muss Wasserstoff, Batterien und KI überproportional fördern. Aber darf nicht die anderen vergessen.
Jedenfalls sind Tech-Gründungen diejenigen, die am meisten Aufsehen erregen.
Leider. Die Fokussierung auf Hightech führt unter Umständen auch dazu, dass die anderen sich als nicht so erwünscht und förderwürdig verstehen. Das kann zum Problem werden, wenn dann die breitere Basis des Gründer-Ökosystems auf der Strecke bleibt.
Hat die Lausitz so viele potenzielle Gründer, wie sie braucht?
Das Gute an der Lausitz ist, hier sind Menschen in vielen Bereichen gleichzeitig unterwegs. Es besteht der Wille zur Veränderung, aber bei den möglichen Wegen gibt es verschiedenste Sichtweisen. Es wäre schön, wenn viel ausprobiert werden könnte. Mein Forschungsbereich beschäftigt sich mit Arbeitnehmern, die sich im Nebenerwerb selbständig machen wollen. Solche Nebenerwerbsgründungen sind ein Weg, wo Menschen aus sicherer Position heraus etwas proaktiv tun können und damit sogar unabhängig von dem konkreten Geschäft etwas Wichtiges bewirken: Sie machen die Idee des Gründens sichtbar. Da entsteht dann auch ein Rollenmodell des Unternehmers, das weniger zu tun hat mit der Startup-Welt, wie sie in Hochglanzbroschüren zu sehen ist. Dann trauen sich das auch mehr Leute zu.
Mit Diemo Urbig sprach Christine Keilholz.