Um von der Kohle loszukommen, setzt die Lausitzer Energiewirtschaft zunehmend auf Gas. Einen heimischen fossilen Rohstoff gegen einen importierten auszutauschen, ist ohnehin umstritten. Aber was, wenn der Ukraine-Konflikt einen Strich durch diese Pläne macht?
Von Anja Paumen
Die Konfrontation an der ukrainisch-russischen Grenze gefährdet nicht nur den Frieden in Europa. Sie hat auch direkte wirtschaftliche Effekte für die Lausitz. Deutschland bezieht rund 60 Prozent seiner Erdgasimporte aus Russland. Bei einer weiteren Eskalation kann es neben anderen Folgen auch zu Lieferengpässen kommen. Die Pipeline Nord Stream 2 könnte endgültig auf Eis gelegt werden. Für die Lausitz und den Strukturwandel hätte das unübersehbare Folgen – denn der Weg aus der Braunkohle führt über das Gas.
Etliche Leuchtturm-Projekte der Lausitzer Energiewirtschaft sind zunächst angewiesen auf den importierten fossilen Energieträger aus dem Osten. Ganz konkret rechnen sie darauf, dass durch Nord Stream 2, die seit Beginn 2005 im Feuer stehende Pipeline, bald Gas fließt, um das neue Lausitzer Wirtschaftswunder in Gang zu setzen. Seit September letzten Jahres ist die Gasleitung in der Ostsee theoretisch einsatzbereit. Aber zur praktischen Inbetriebnahme fehlt bis heute die Genehmigung.
Ab jetzt H2-ready
Mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus der Nutzung der Atomkraft und der Braunkohle will und muss Deutschland die aufklaffende Stromlücke durch Erdgas decken. Dafür entschied sich im Herbst die Koalition aus SPD, Grünen und FDP dazu, die „bis zur Versorgungssicherheit durch erneuerbare Energien notwendigen Gaskraftwerke“ auszubauen – und das bevorzugt „an bisherigen Kraftwerksstandorten“, wie es im Koalitionsvertrag der Ampelregierung heißt. Damit wurde dem Wunsch Brandenburgs entsprochen, die Lausitzer Standorte zu erhalten und für neue Geschäftsmodelle auszurichten. Gemeint sind auch die vorhandenen Stromnetze und natürlich die Leuchtturmprojekte, die neues technisches Know-how und Arbeitsplätze in die Reviere bringen. Nicht zu überhören ist seitdem die Forderung des Bergbaubetreibers Leag, eine Erdgasleitung an den Standort Jänschwalde anzulegen. Dort soll ein Hybridkraftwerk – oder innovatives Speicherkraftwerk – entstehen, das bis auf Weiteres mit Erdgas, später aber grün betrieben werden soll. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) unterstützt die Marschroute aus Berlin und sieht neue Chancen: „Es macht Sinn für die Zwischenzeit Gaskraftwerke zu nutzen, die weniger klimabelastend sind als die Kohleverstromung. Zudem ist die neue Generation der Gaskraftwerke H2-ready, wir könnten somit sofort auf Wasserstoff umsteigen.“
Laut Koalitionsvertrag müssen neue Gaskraftwerke genau das sein: H2-ready, also nutzbar für Wasserstoff. Die Leag prüft zurzeit verschiedene Optionen für neue Formen der Energieerzeugung und -speicherung „Dazu gehört die Idee eines integrierten innovativen Speicherkraftwerks am Standort Jänschwalde“, sagte ein Sprecher des Unternehmens der Neuen Lausitz.Eine Grundvoraussetzung dafür wäre der Anschluss an die Erdgas-Infrastruktur.
Pipeline von der Ostsee bis Jänschwalde
Für diese Zukunftserzählung der Lausitz sind also zwei Brennstoffe nötig: Erdgas und Wasserstoff. Das Erdgasnetz ist auch in Ostdeutschland gut ausgebaut. Aber für innovative Modellprojekte müssen ausreichend große Leitungen bis vors Werkstor von Industrie- und Kraftwerksstätten laufen. Deswegen hat Brandenburg Ende Januar eine Machbarkeitsstudie ausgeschrieben, erklärt Jens Krause. Beim Generalmanager der IHK Cottbus laufen viele Fäden zur zukünftigen Gas-Infrastruktur zusammen. Die Idee sei, so Krause, eine Gasleitung von der Ostseeküste über Rüdersdorf bei Berlin zum dortigen Zementwerk und weiter bis nach Eisenhüttenstadt zum Stahlwerk neu zu verlegen. Im zweiten Schritt solle dann die Gasleitung von Eisenhüttenstadt bis nach Jänschwalde und weiter zu Industrieunternehmen in der Lausitz verlängert werden.
Der Clou an der Geschichte: Diese Gasleitungen sollen anfangs mit Erdgas und in Zukunft auch zu 100 Prozent mit Wasserstoff befüllt werden. Dazu müssen die Leitungen ganz konkrete Anforderungen erfüllen. Bereits heute kann Wasserstoff bis 20 Prozent dem Erdgasnetz beigemischt werden. Aber höhere Anteile sind für das vorhandene Gasnetz nicht zugelassen.
Neue Erdgas- und Wasserstoff fähige Leitungen für die Lausitz wären eine Zukunftsinvestition, auf die auch Sachsen spekuliert. „Diese Gasleitung muss auch in Boxberg angeschlossen werden“, sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) der Neuen Lausitz „Wir müssen investieren, damit diese Leitungen möglichst nah an die Regionen kommen, damit die auch eine Chance haben.“ Wasserstoff kann nicht nur Kohle, Erdöl und Erdgas ersetzen. Der neue Wunderstoff kann Energie speichern und ist Ausgangsstoff für Prozesse in der Stahl- und Chemieindustrie. Deswegen sollen möglichst alle größeren Industriestandorte an die neuen Erdgas- und Wasserstoffleitungen angebunden werden.
Erdgas als Starthilfe für Wasserstoff
Erdgas kommt als Naturprodukt aus Gasfeldern. Wasserstoff hingegen muss technisch hergestellt werden. Dafür gibt es zwei sehr unterschiedliche Wege. Ganz grob gesagt, geht es entweder mit Hilfe von Erdgas oder mit Strom aus erneuerbaren Energien. Im Falle von Erdgas wäre für das Klima nicht viel gewonnen, denn dabei entsteht Kohlendioxid, dessen Ausstoß man nicht zuletzt mit dem Kohleausstieg verringern will. Im Falle der erneuerbaren Energien bräuchte man sehr viel Strom aus Windkraft und Photovoltaik, den man heute noch nicht hat. Aber nur so wäre der Wasserstoff klimaneutral und damit grün.
Deswegen fährt die Lausitz zweigleisig: Auf Erdgas umrüsten und gleichzeitig Wasserstoff fähig sein. Als Koordinator des Lausitzer Wasserstoff-Netzwerks „Durch2atmen“ setzt Jens Krause Projekte in Gang, um Wasserstoff für den Nahverkehr nutzbar zu machen. „Wir als Netzwerk machen selbst keine eigenen Projekte, aber wir verknüpfen die Partner.“
Erster grüner Wasserstoff im Einsatz
Im Dezember 2021 haben Leag und Cottbus Verkehr eine Förderzusage von mehr als fünf Millionen Euro aus dem Strukturstärkungsfonds erhalten. Sie wollen bis Ende des Jahres die ersten mit Wasserstoff betriebenen Busse in Cottbus auf die Straße schicken. Da die Leag heute schon Strom aus Photovoltaikanlagen erzeugt, kann sie grünen Wasserstoff herstellen. Jens Krause erläutert die Details: „Auf dem Betriebshof der Cottbus Verkehr GmbH wird ein Elektrolyseur durch die Leag errichtet. Darin wird Wasser mit Hilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen gespalten.“ Der so erzeugte grüne Wasserstoff wird vor Ort gespeichert und in eine Tanksäule gefüllt.
Die Busse und später auch LKW tanken den Wasserstoff also direkt auf dem Betriebshof. So baut sich Stück für Stück eine Lausitzer Wasserstoffwirtschaft auf. Um diesen Weg zu zementieren, haben die Landesregierungen von Brandenburg und Sachsen vor kurzem jeweils eigene Wasserstoffstrategien beschlossen. Derweil steht Jens Krauses Telefon nicht still. Es gibt viele Fragen zu Fördermitteln, neuen Gesetzeslagen und möglichen Partnern. Die Entwicklung an der ukrainisch-russischen Grenze ist die große Unbekannte in dieser komplexen Rechnung. Zu den Rohstoffimporten aus Russland sieht Krause im Moment keine Alternative. Daher glaubt er: „Erst wenn die Kriegsabsichten vom Tisch sind, werden die Rohstoffpreise wieder sinken.“