Dr. Christian Schäfer-Hock, 38, wuchs in Weißwasser auf, studierte Publizistik und Politik und promovierte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist Geschäftsführer des Ausländerrates Dresden e.V., einer der größten Migrantenselbstorganisation in Sachsen. Foto: Crispin I. Mokry

Der Krieg, die Flucht und die Lausitz

Hunderttausende Menschen fliehen vor dem Krieg in der Ukraine. Auch die Lausitz bereitet sich auf humanitäre Aufnahmen vor. Jeder Flüchtende sollte willkommen sein – aus vielen Gründen.

Gastkommentar von Christian Schäfer-Hock

Die Menschen in der Lausitz wissen aus ältesten Sagen, wie sie mit Flüchtenden umgehen müssen. Im „Feuersegen zu Bautzen“ etwa bleibt genau das Haus vom kriegerischen Brandschatzen verschont, in dem eine arme, hungernde Familie Unterschlupf gefunden hat. Zuvor war sie an vielen Türen abgewiesen worden. Die Botschaft dieser Volksweisheit ist klar – und sehr aktuell: Hilfsbereitschaft hilft – auch dem Helfenden. Wer die Probleme vor seiner Haustür zu lange ignoriert, der bekommt früher oder später die schmerzhafte Quittung dafür. Die „Feuerstürme“ der Gegenwart sind die gesellschaftlichen Umbrüche – und leider Kriege. Sie werden auch die Lausitz verändern. 

Dr. Christian Schäfer-Hock, 38, wuchs in Weißwasser auf, studierte Publizistik und Politik und promovierte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist Geschäftsführer des Ausländerrates Dresden e.V., einer der größten Migrantenselbstorganisation in Sachsen. Foto: Crispin I. Mokry

Dr. Christian Schäfer-Hock, 38, wuchs in Weißwasser auf, studierte Publizistik und Politik und promovierte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist Geschäftsführer des Ausländerrates Dresden e.V., einer der größten Migrantenselbstorganisation in Sachsen. Foto: Crispin I. Mokry

Gegenwärtig flüchten Hunderttausende, womöglich bald Millionen aus der Ukraine. Viele von ihnen werden auch in der Lausitz ankommen. Dort bereiten sich alle Verantwortlichen und Helfer bereits intensiv vor. Wie groß die Herausforderung sein kann, haben uns frühere Fluchtbewegungen gezeigt – sei es aus dem ehemaligen Jugoslawien oder aus Syrien. Wir haben dabei gelernt, dass wir nicht immer optimal vorbereitet sind: zu wenig (mehrsprachiges) Personal in den Ämtern, zu wenige Notunterkünfte, zu wenige Sozialarbeiter für die Neuankömmlinge und ihre Familien, zu lange Verfahren, zu wenig Flexibilität, zu viele Hürden für den Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildung. Die Liste ist lang. Darüber hinaus fehlt eine echte Willkommenskultur. Viele Menschen glauben, die Flüchtenden könnten sich ganz allein, quasi am eigenen Schopf aus der Krise ziehen. 

Ausländische Fachkräfte fehlen

Diese hausgemachten Probleme sind nicht neu. Das ist erstaunlich, denn dass Zuwanderung, Flucht und Asyl unzureichend geregelt sind, schadet der Lausitz und Sachsen selbst. Dabei geht es nicht mal nur um die Überalterung und den Frauenmangel. Es geht um die Bewältigung des Strukturwandels, des größten Umbruchs seit der Wende. Die wirtschaftliche Entwicklung hängt elementar davon ab, dass die Lausitz attraktiver für Menschen aus dem Ausland wird. Jeder kennt die internationale Zusammensetzung des Krankenhauspersonals aus eigener Erfahrung. Auch in Handwerk und Industrie ist der Mangel an Fachkräften groß. Es wäre falsch, die Fluchtbewegung nach Putins Überfall ökonomisch nutzen zu wollen. Gleichwohl zeigt die Erfahrung: Migration und Vertreibung dauern oft viel länger, als man denkt. Die Flüchtenden wollen nicht nur Almosen, sondern auch Beschäftigung und Arbeit, um in Würde leben zu können. Die Menschen, die jetzt fliehen, brauchen Hilfe – und sie sind entschlossen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Diesen Spirit braucht die Lausitz. 

Zwei Drittel der Lausitzer wollen, dass ihre Region ein wichtiger Energiestandort bleibt. Wie soll das gehen ohne Menschen, die tagtäglich daran arbeiten? Viele Unternehmer finden auch keine Nachfolger. Das alles schmerzt die Wirtschaft sehr. Dasselbe Bild in der Wissenschaft, die so zentral für eine gelingende Transformation ist: Die vielen alten und neuen Forschungsstandorte zwischen Zittau und Cottbus suchen die besten jungen Köpfe – und finden sie glücklicherweise schon häufig in Polen oder Tschechien. Wie wird man attraktiv? Das ginge beispielsweise durch ein gestrafftes Fachkräfteeinwanderungsgesetz oder durch ein Wissenschafts-Zeitvertragsgesetz, das auf die Besonderheiten der Bewerber und auch der Region eingeht. Es gibt also genügend große und kleine Stellschrauben. Hinzu kommt die Anerkennung der Realität, nämlich dass Deutschland ein Einwanderungsland ist – mit allen Konsequenzen für die Finanzierung von Maßnahmen, die der Integration dienen. 

Es geht um Arbeitsplätze und um Souveränität

Es geht aber nicht nur um Arbeitsplätze. Der enge Zusammenhang von Prosperität und Einwanderung ist viel bedeutsamer: Unser hoher Lebensstandard in Deutschland ist nur mit Hightech-Exporten, wie etwa aus der entstehenden Lausitzer Wasserstoffwirtschaft, zu halten. Unsere politische Souveränität hängt stark von unserer technischen Souveränität ab. Nur mit Spitzentechnologie, so sagt das Innovationsforum der Bundesregierung, können wir uns vor wirtschaftlicher und letztlich politischer Abhängigkeit bewahren. Welche Probleme eine zu große Abhängigkeit mit sich bringt, haben die Diskussionen um die Gaslieferungen aus Russland gezeigt. 

Wir dürfen also nicht zulassen, dass unsere Wirtschaft in der Lausitz den Anschluss verliert. Dafür brauchen wir neben Innovationsgeist und Milliardenförderungen eine zeitgemäße Einwanderungs- und Fluchtpolitik. Das wäre das Beste für die Menschen in der Lausitz. Hier weiß man schon aus alten Sagen, dass es am klügsten ist, die Probleme vor der eigenen Haustür offen und konstruktiv anzunehmen.