Der Leipziger Geologe Georg Teutsch will in Sachsen digitale Zwillinge von Ökosystemen errichten. So sollen Landschaftsveränderungen real und digital erkennbar werden. Mit seinem Konzept CLAIRE hat er Chancen auf ein Großforschungszentrum.
Von Christine Keilholz
Die Zukunft des Planeten spielt eine große Rolle in der öffentlichen Debatte. Georg Teutsch will daraus einen Wirtschaftsfaktor machen – und zwar mit den Mitteln der Wissenschaft. „Das Jahr 2018 war der Blick in die Zukunft“, sagt der Geologie-Professor aus Leipzig. Es war das Jahr, das so trocken war, dass die Wälder reihenweise verdursteten. „Wenn wir das wissen, können wir unsere Landwirtschaft, Waldwirtschaft und auch die Wasserwirtschaft darauf ausrichten.“ Und das sei, ganz klar, eine Sache der Ökonomie. Die wissenschaftlichen Grundlagen für eine neue Klimawirtschaft will Teutsch in Sachsen schaffen, dazu bekommt er möglicherweise bald die Chance. Sein Projekt CLAIRE – was für „Centre for Climate Action and Innovation – Research and Engineering” steht – ist einer der sechs Finalisten um die beiden Großforschungszentren, die in Sachsens Kohlerevieren entstehen sollen.
Die Idee hinter CLAIRE ist, Klimadaten und Klimawissen zu bündeln. Auf dieser Basis sollen funktionale digitale Zwillinge von Ökosystemen geschaffen werden und Datenräume in ganz neuen Dimensionen entstehen. So hat es Teutsch der Auswahlkommission für das Millionenprojekt angekündigt. Und wem das zu theoretisch klingt, für den hat er eine Metapher parat, die jeder Leipziger versteht: Eine „Mustermesse der Zukunftslandschaft“ soll in den Tagebau-Restlandschaften entstehen. Um den Planeten zu retten, braucht es neues erprobtes Wissen in der Bewirtschaftung von Flächen, dazu neue Technologien. „Unser Projekt ist Klimaforschung umgesetzt in Maßnahmen“, sagt Teutsch. Die Lausitz wäre dafür ein passender Standort.
Lausitz als Gewinner der Klimawirtschaft
Dabei hatte Teutsch mit seinem Projekt nicht zuerst die Lausitz im Blick. Zur Erinnerung: Zwei Großforschungszentren sind im Rahmen des Strukturwandels in Sachsen ausgeschrieben, beide ausgelegt für 1800 Mitarbeiter. Riesige Wissenschaftsfabriken also, vergleichbar in der Dimension am ehesten mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, das Georg Teutsch seit 2004 leitet. Von den im vergangenen Sommer ausgewählten sechs Endkandidaten waren ursprünglich drei für Ostsachsen und drei für Westsachsen gedacht. Doch inzwischen kommen alle sechs für beide Regionen in Betracht.
Für Teutsch kein Problem, sagt er, denn CLAIRE kann er sich auch weiter östlich vorstellen. „Wir adressieren Probleme, die gibt es in der Lausitz genauso“, sagt er. Trockenheit, schwierige Wasserkreisläufe, Wiederauffüllung, das wären die Forschungsfelder von CLAIRE. „Unser Vorschlag hätte seinen Sitz im Mitteldeutschen Revier, würde aber in die Lausitz hineinwirken.“
Mittel gegen die Monokultur der großen Ansiedlungen
Konkret könnten in der Lausitz einzelne Testaufbauten eingerichtet werden, wo Anwendungen erprobt werden. Wie etwa für ein klimaverträgliches Bauen, das auf neue Gegebenheiten Rücksicht nimmt. Wenn Starkregen und Dürre um sich greifen, dann sind prinzipiell alle Kulturlandschaften betroffen, von Forstflächen bis zu urbanen Räumen. Im Harz haben zwei trockene Sommer 20 Prozent der Fichten dahingerafft. Welche Bäume dort nun zu pflanzen sind, lässt sich bisher durch Testpflanzungen frühestens in 50 Jahren herausfinden. Teutschs Mustermesse würde früher Ergebnisse liefern. Die Einzelaspekte dieser Forschung gibt es alle schon, aber laut Aussage des Anmelders nirgends so gebündelt wie in diesem Projekt. „Was wir anders machen: Wir bieten Systemlösungen.“
Aus solchen Konzepten entstehen auch neue Technologien. Das wäre der ökonomische Teil des Projekts. Sicher brauche man für diese Reallabore keine Großbagger. Aber eine „Grundpopulation von Handwerkern“ plant der Professor fest ein, um etwa neuartige Photovoltaik-Anlagen zu montieren. Teutsch hat in erster Linie die kleinen Unternehmen im Blick, die die Flexibilität haben, auf den Punkt innovativ zu sein. So ist sein Ansatz auch ein Mittel gegen die Monokultur der großen Ansiedlungen, das die kleinteilige Wirtschaft unterstützt. „Für die Strukturwandel-Regionen ergibt sich hier die Chance, in einem neuen Sektor Klimawirtschaft Gewinner zu sein.“
3500 Klimawissenschaftler stehen für das Zentrum bereit
Georg Teutsch, Jahrgang 1956, hat in Tübingen Geologie studiert und promoviert. Die Bandbreite seiner wissenschaftlichen Aktivitäten reicht von Hydrologie bis zur Lagerung radioaktiver Abfälle. Darüber hinaus ist er erfolgreicher Wissenschaftsmanager, denn mit dem UFZ in Leipzig leitet er einen Supertanker mit 1200 Forschern. Das UFZ ist die Heimstatt der ostdeutschen Klimakompetenz, wo Kernthemen wie Ökosysteme der Zukunft oder Chemikalien in der Umwelt beackert werden. Dieser Betrieb ist dreimal so groß wie das Leibnitz-Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam (PIK), das Teutsch beim Projekt zur Seite steht. Das PIK erstellt weltweit Klimamodelle – ein Klima-Großforschungszentrum könnte diese Modelle zu Geschäftsfeldern weiterentwickeln.
Insgesamt haben sich bei CLAIRE 14 Wissenschaftsinstitute gefunden. Sie wollen mit der Bewerbung für das Großforschungszentrum nicht nur ihre Kenntnisse und Kompetenzen vereinen – auch ihr Personal. Das ist gerade in der Lausitz der unsichere Faktor. Schließlich kann ein Großforschungszentrum in Ostsachsen, an dem dann niemand forscht, selbst mit 175 Millionen Euro Jahresbudget wenig leisten. 50 bis 70 Professoren will Georg Teutsch in seinem Zentrum beschäftigen. Mehr als 100 wissenschaftliche Professionen werden dafür gebraucht, neben Ökologie und Biologie wären auch Ingenieure verschiedener Richtungen an Bord. Dieses Personal zusammenzubekommen, sei so schwer nicht, behauptet der Professor. „In Mitteldeutschland sind 3500 Forscher unterwegs, die was mit Klima machen.“ Teutsch meint damit nicht das mitteldeutsche Kohlerevier – sondern das Wissenschaftscluster um Jena, Halle und Leipzig. Die Lausitz wäre, so gesehen, ein Teil davon.