Die Laufzeit der Lausitzer Kohle wird Thema

5. April 2022

Die Kohle hat keine Zukunft. Das war beschlossen. Doch die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine und der Ruf nach einem Embargo könnten neue Voraussetzungen schaffen. 

Von Christine Keilholz 

Seit der Krieg in der Ukraine Ende Februar begann, diskutiert Deutschland seine Energiepolitik neu. Von einem bestimmten heimischen Energieträger ist dabei erstaunlich wenig zu hören. Aber das Wort „Kohle“ lässt sich nicht mehr vermeiden.  Die renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm brach nun das Schweigen. Bei der Frage der künftigen Energieversorgung brachte sie die Kohlekraftwerke wieder ins Spiel. Es sei vernünftig und begrüßenswert, dass die Bundesregierung mit einer Verlängerung der Laufzeit von Kohlekraftwerken plane, sagte die Professorin für Volkswirtschaft aus Erlangen-Nürnberg. 

Wenn eine renommierte Ökonomin, Mitglied im Sachverständigenrat der deutschen Wirtschaft, am zentralen sonntäglichen Lagerfeuer der Nation die Kohle reaktiviert, dann ist das ein Hinweis auf eine Debatte, die bevorsteht: Ob und wie lange die Kohlekraft doch noch gebraucht wird, wenn russisches Gas demnächst tabu ist und Erneuerbare Energien nur ansatzweise zur Verfügung stehen. Ähnlich wie Grimm äußern sich auch andere Ökonomen. Der BTU-Volkswirt Jan Schnellenbach etwa kündigte kürzlich in der Neuen Lausitz an: „Wir werden uns mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass der Strukturwandel etwas gebremst wird.“ 

Kohle ist die Existenzfrage für die Lausitz

Für die Lausitz ist das auch wirtschaftlich eine Existenzfrage. Allerdings nicht, weil die Region noch von der Braunkohle leben würde, was ihr oft zugeschrieben wird. Die Lausitz lebt viel mehr vom Kohleausstieg. Der Strukturwandel, mit dem die einstige Energieregion der DDR für den Verzicht auf ihre Kernindustrie entschädigt werden soll, ist zwischen Königs-Wusterhausen und Löbau längst im Gange. Die 17,2 Milliarden Euro, die dank der Strukturstärkung über der Lausitz abregnen, haben längst ein eigenes wirtschaftliches Biotop hervorgebracht. Zudem verändert sich die öffentliche Meinung. Die fundamentale Ablehnung und die fatalistische Skepsis, die die Lausitz dem Ausstieg entgegenbrachte, ist in den Hintergrund getreten. Es wächst die Gruppe der Lausitzer, die das Generationenprojekt Strukturwandel für möglich halten. 

Was passiert, wenn man in dieser Lage von einer Rückkehr zur Kohle spricht, erfuhr der Bundeswirtschaftsminister der Grünen schmerzhaft. Bereits wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine äußerte Robert Habeck den Plan, die Sicherheitsbereitschaft der Kohlekraftwerke um vier Jahre zu verlängern. Dafür bekam er heftigen Gegenwind aus den eigenen Reihen. In den von den Grünen geführten Umweltministerien in Sachsen und Brandenburg bemüht man sich seitdem, Habecks Vorstoß zu ignorieren. Von „Zombie-Debatten“ war die Rede. Gefragt nach Lösungen für die kriegsbedingte Energiekriese, kommt stattdessen aus den Reihen der Grünen stattdessen nur eine Antwort: Der Ausbau der Erneuerbaren muss beschleunigt werden. 

Ein früherer Kohleausstieg ist jetzt schon undenkbar

Dem widerspricht niemand. Nicht einmal die Regierungschefs der Kohleländer, die sonst gern bereit sind, sich öffentlich gegen Berliner Pläne zu stemmen. Noch hat keiner von ihnen gefordert, den Kohleausstieg zu verschieben. Oder zumindest dem heimischen Energieträger angesichts neuer Weltlagen notgedrungen mehr Beachtung zu schenken. Das hat zwei Gründe. Zum einen dreht sich die aktuelle Sorge um das Heizen von Haushalten, das schon im nächsten Winter ohne russisches Gas funktionieren soll. Dafür ist Kohle als Alternative wenig geeignet. „Die Debatte über längere Laufzeiten für Kohlekraftwerke wird sicher kommen – aber nur für die Stromversorgung“, erwartet der Dresdner CDU-Bundestagsabgeordnete Lars Rohwer. Natürlich müsse man langfristig auf Erneuerbare setzen. „Aber wie es aussieht, brauchen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Kohle noch, um die Grundlast im Stromnetz zu sichern.“ 

Der Krieg hat die deutsche Energiedebatte verändert. Es geht jetzt wieder in erster Linie um Versorgungssicherheit – nachdem lange die Umweltverträglichkeit im Vordergrund stand. Die schnelle Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas ist zum vordringlichen Anliegen geworden, um auf Gräueltaten wie in der ukrainischen Stadt Butscha schnell reagieren zu können. Doch daraus ergibt sich ein Konflikt, der kaum irgendwo so deutlich wird wie in der Lausitz. Die Rohstoffe aus dem Osten sind als Brücken-Energieträger für den Strukturwandel fest eingeplant. Der Plan, die Kraftwerke der Lausitz als Gas-Kraftwerke weiter zu betreiben, könnte sich noch vor diesem Sommer als Sackgasse erweisen. Ein früherer Kohleausstieg ist nun mehr als fraglich, eigentlich undenkbar geworden. Noch Ende März hatten sich die Regierungschefs der ostdeutschen Kohleländer mit Habeck  über einen früheren Kohleausstieg gestritten, der laut Beschluss der Ampelkoalition „idealerweise bis 2030“ stattfinden soll. Aber der Strukturwandel, für den die Lausitzer Politik immer Planbarkeit gefordert hat, wird infolge der ukrainischen Tragödie aus dem Zeitplan geraten. Die Frage ist nicht ob, sondern wann das Gespräch darüber beginnt. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hat nun damit angefangen.