Holger Kelch sieht beim Kohleausstieg noch viele offene Fragen. Für die Versorgungssicherheit bringt der CDU-Oberbürgermeister von Cottbus einen Energieträger ins Spiel, der in der Lausitz bisher unterbelichtet blieb.
Frage: Herr Kelch, was bedeutet der Krieg in der Ukraine für die Energiewende und für Cottbus?
Holger Kelch: Es stellen sich damit die Fragen neu, die wir aus der Lausitz schon immer an die Bundespolitik gestellt haben: Wie kann zukünftig preiswert Energie ohne Kohle und Atom in Deutschland funktionieren, ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen? Und wie kommen die Ballungszentren an Energie, denn dort steht regenerative Energiegewinnung nicht hoch im Kurs.
Wie meinen Sie das?
Wenn ich an Berlin-Tempelhof vorbeifahre, wo kein Windrad steht, wundere ich mich schon über die Berliner, die von uns fordern, wir in der Lausitz sollten uns bei Windkraft nicht so haben. Die neue Windrad-Generation ist um die 250 Meter hoch. Das sind Berliner Fernsehtürme, die stehen um uns herum und werfen Schatten. Natürlich haben wir auch Tagebau-Restlöcher, die könnte man großflächig für solche Anlagen nutzen. Aber auch da müssen wir fragen, ob das technisch überhaupt funktioniert. Ich sehe da noch eine Menge offene Fragen, was die Erneuerbaren betrifft. Da kamen aus Berlin aber nie Antworten.
Geben Sie mal eine.
Meine wäre, dass man alles nochmal neu denken muss. Kohleausstieg 2038, gleichzeitig idealerweise der Ausbau erneuerbarer Energien. Aber auch Atom sollte wieder eine Rolle spielen in der Diskussion. Wir Deutschen verstehen darunter Kernspaltung, die Franzosen sehen Kernfusion, darüber sollten wir mal nachdenken.

Holger Kelch, Jahrgang 1967, ist seit 2014 Oberbürgermeister von Cottbus. Der gelernte Elektrotechniker und studierte Betriebswirt ist seit 1990 Mitglied der CDU. Zur Wahl am 11. September tritt er nicht mehr an.
Weil in der Lausitz höchstwahrscheinlich kein Atomkraftwerk entstehen wird?
Ja gut, den Kohlestrom aus der Lausitz haben auch alle gern genommen, und außerdem war die sächsische Lausitz bereits im Fokus für ein Atom-Endlager. So bequem wird diese Art der Energiegewinnung also auch nicht. Trotzdem könnte sie wieder wichtig werden, damit sollten wir uns befassen, wenn wir aus den Abhängigkeiten raus wollen.
Cottbus ist inzwischen Standort mehrerer Forschungsinstitute für Erneuerbare. Es gibt viel Dekarbonisierungs-Kompetenz in der Stadt. Was ist das Cottbuser Interesse bei der Suche nach Ersatz für russische Energieträger?
Unser Interesse wäre, mit den Kraftwerks-Betreibern nur noch auf einen Ausstieg 2038 hinzuarbeiten. Vor allem brauchen wir mal verlässliche Ansagen, wo wir investieren sollen. Als es hieß: Baut Gaskraftwerke, haben wir das gemacht. Wir haben nun ein Spitzen-Strom-Gaskraftwerk stehen und müssen schauen, was wir unter den neuen Bedingungen damit machen. Gleichwohl ist die Region gut beraten, nach vorn zu schauen. An der Dekarbonisierung geht kein Weg vorbei. Dafür wäre CO2-Verpressung, also CCS, vielleicht eine Möglichkeit. Die wurde ja nie ganz zu Ende diskutiert. Aus den Forschungsinstituten höre ich, dass uns zehn Jahre Forschung fehlen, um CO2-frei planen zu können.
Haben die Lausitzer Lust auf Erneuerbare?
Durchaus, aber vernünftig. Vielleicht auf Photovoltaik, wenn man damit Dächer eindecken könnte. Wir haben ertragsarme Böden, deshalb haben die Betreiber solcher Anlagen die Lausitz für sich entdeckt. Bei Windkraft hält sich die Begeisterung in Grenzen. Die Lausitz hat schonmal bezahlt für die Energieversorgung in Deutschlands und wird das kein zweites Mal tun.
Die Lausitz ist aber auch stolz darauf, Energieregion zu sein.
Ja, aber damit ist nicht unbedingt ein guter Ruf verbunden. Energieregion gilt als schmutzig, so wird das immer dargestellt. Die Opfer, die wir dafür bringen mussten, werden nicht gesehen: Dass hier fast die Niedersorben von der Landkarte verschwunden wären, dass über 100 Dörfer abgebaggert wurden, um den Rest der Republik mit Strom zu versorgen. Stattdessen heißt es aus Berlin, das Spreewasser versauert, der Helenesee wird immer leerer, es gibt Rutschungen wegen der Tagebaue. Von dort wird die Energiegewinnung in der Lausitz ständig bekämpft. Da wird ein aktiver Tagebau wie Jänschwalde, der ohnehin ausläuft, in seinen letzten Jahren beklagt, damit dort die Bagger sofort stillstehen. Da steckt schon eine feindliche Haltung dahinter. Aber um das klarzustellen: Die Cottbuser und die Lausitzer haben für die Energiewende geliefert.
Was erwarten Sie von der Leag, der größten Arbeitgeberin, Steuerzahlerin und Grundbesitzerin der Stadt?
Ich erwarte schon, dass uns der Vorstand bald mitteilt, was wir von ihnen erwarten können. Bisher war das immer andersherum. Bei Leag-Projekten wie der schwimmenden Photovoltaik auf dem Ostsee oder dem Energieacker wurde immer erwartet, dass wir problemlos den grünen Haken dran setzen. Jetzt bin ich gespannt, was sie für die Kommune zu tun gedenken.
Was zum Beispiel?
Mehr Engagement hier in der Stadt. Das Karitative, Sport und Freizeit hat die Leag zurückgefahren aus wirtschaftlichen Gründen. Auch an der Forschungsförderung könnten sie sich mehr beteiligen. Was ihren Grundbesitz betrifft, haben sie dort eine Menge Vorteile. Etwa die vielen Industriegebiete von Jänschwalde bis Boxberg, die sie viel intensiver präsentieren und bewerben könnten. Zumal dort Grubenbahnen fahren, was ein großer Vorteil ist. Wir wollen hier schließlich eine neue Industrie aufbauen und könnten all das dort mit in die Waagschale werfen und wären für Investoren noch interessanter.
Mit Holger Kelch sprach Christine Keilholz.