Der Ruf, die Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen, wird immer lauter. Uwe Riedel hält das nur unter einer Bedingung für machbar. Andere Wege der Energiegewinnung findet der Physiker vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Cottbus sinnvoller.
Frage: Herr Riedel, in Schleife im Kreis Görlitz soll ein Holzkraftwerk entstehen. Wie klimafreundlich kann das sein?
Uwe Riedel: Natürlich entsteht auch CO2, wenn man Abfall-Holz verheizt, um Strom oder Wärme zu gewinnen. CO2-frei ist ein solches Projekt theoretisch dann, wenn ausreichend Pflanzen nach Aufforstung nachwachsen können. Nur dann geht die Rechnung für das Klima unterm Strich auf. In Schleife soll die Verstromung von Holz kombiniert werden mit Photovoltaik und Windenergie, es sollen also Strom und Wärme gleichzeitig produziert werden.
Wäre das eine vernünftige Lösung für die drängenden Energiefragen?
Das kann, alles in allem, eine vernünftige Lösung sein. Man könnte dann, wenn Sonne und Wind ausreichend vorhanden sind, das Holzkraftwerk auf die zur Wärmeerzeugung notwendigen Leistung herunterfahren und auf größere Leistung bringen, um die Lücken in der Stromversorgung auszufüllen, die entstehen, wenn Wind und Sonne nicht ausreichen. Der aus Sonne und Wind gewonnene Stromanteil wäre immer auch CO2-neutral.

Uwe Riedel, 59, ist Direktor des 2019 gegründeten Instituts für CO2-arme Industrieprozesse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Cottbus und Zittau. Riedel stammt aus Östringen in Baden-Württemberg, hat an der Universität Heidelberg in Physik promoviert und in Physikalischer Chemie habilitiert. Seit 2021 ist Riedel zudem Professor an der BTU Cottbus-Senftenberg. Zuvor hatte er eine Professor in der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart. Foto: DLR
Wir wollen raus aus der russischen Energieabhängigkeit und wir wollen CO2-frei werden. Auf welchen Rohstoff können wir noch setzen?
Wenn es in erster Linie um Versorgungssicherheit geht, sind neben Sonne und Wind, die nicht kontinuierlich zur Verfügung stehen, heimische Rohstoffe interessant. Also Braunkohle oder Biomasse. Weil aber auch der CO2-Ausstoß eine Rolle spielt, kommt eigentlich nur Biomasse in Frage. Bei Holz etwa stimmt die CO2-Bilanz, sofern man parallel dazu aufforstet. Wenn wir die Kohle länger nutzen wollen als geplant, müssen wir überlegen, wo wir das zusätzliche CO2, das dann anfällt, wieder einsparen können.
Was halten Sie von der Idee, die Laufzeiten der Kraftwerke zu verlängern?
Die Energiewende braucht nicht Entweder-oder, sondern Sowohl-als auch. Wir müssen alle Lösungen, die technisch machbar sind, in Erwägung ziehen. Dazu gehört auch, Gas aus anderen Ländern zu beschaffen. Was die Kohle betrifft, müssen wir natürlich auch darüber reden. Kohle auf Zeit wieder zu nutzen, ist eine naheliegende Möglichkeit. Aber dann müssen wir die dabei entstehenden zusätzlichen CO2-Mengen anderweitig kompensieren. Das braucht ein klares Konzept und gesellschaftlichen Konsens, nur dann wird es funktionieren.
Kohle länger laufen lassen und den CO2-Ausstoß kompensieren – wie ginge das konkret?
Erstens durch den schnelleren Ausbau der regenerativen Energien und der Speichertechnologien. Da herrscht ja inzwischen weitgehend Konsens, dass der Ausbau von Wind und Sonne beschleunigt werden muss im Interesse der Versorgungssicherheit und des Klimas – beide Aspekte sind hier wichtig. Vor wenigen Monaten haben wir noch vom Kohleausstieg bis 2038 oder vorgezogen bis 2030 gesprochen. Wenn wir die Kohlenutzung nun verlängern, dann müssen wir bei geändertem Energiemix mittelfristig auf die gleiche Einsparung kommen. Zweitens gibt es noch die CO2-Abscheidung und Verpressung im Untergrund.
Sie meinen die CCS-Technologie. Die hat viele Kritiker in Deutschland.
Es ist immer gut, wenn Leute wissen, was man nicht machen sollte. Andererseits kann keiner wollen, dass uns die Lichter ausgehen. Ich denke, etwas mehr Pragmatismus täte uns gut. Es gibt hier nicht die Ideallösung. Auch eine Option wie CCS als Übergangstechnologie sollten wir neu beleuchten. Damit kann ich mir vorstellen, dass wir CO2 recht schnell kompensieren können.
Kritiker wenden auch ein, dass Biomasse langfristig über weite Strecken transportiert werden muss. Gibt es Erkenntnisse darüber, wie CO2-arm ein Holzkraftwerk unter diesen Umständen noch ist?
Biomasse hat eine geringe Energiedichte. Das bedeutet, es muss viel Volumen transportiert werden, um Energie zu gewinnen. Trotzdem entsteht der Hauptanteil an CO2 sicher bei der Verbrennung. Rechnen wir den Transport dazu, geht das zulasten der CO2-Bilanz. Aber: Das ist jetzt noch der Fall. In absehbarer Zeit könnten diese Transporte zum Beispiel mit Brennstoffzellen-LKW erledigt werden, es sind auch hier CO2-arme Lösungen in Sicht.
Ihr Institut befasst sich mit CO2-armen Industrieprozessen. Was brauchen wir jetzt, um die Industrie sicher und nachhaltig mit Energie zu versorgen?
Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie man CO2-Emissionen verringern kann in Industrieprozessen. Ganz konkret geht es darum, wie man Industriebetriebe jeder Größe mit grüner Wärme versorgen kann. Der Energiepreis bleibt langfristig das zentrale Thema für die Industrie. Das verschärft sich aktuell durch die steigenden Strom- und Gaspreise. Die Elektrifizierung von Prozessen spielt sicher eine große Rolle. Diese bringt auch einen höheren Grad an Eigenversorgung – leichter als bei anderen Energieträgern. Wichtig ist ebenso zukünftige Erdgas- und Wasserstoffimporte aus neuen Lieferländern zu sichern, kombiniert mit einer geeigneten Bevorratung.
Mit Uwe Riedel sprach Christine Keilholz.