Teleskope werden weltweit immer größer und produzieren immer mehr Daten. Für beides bietet die Oberlausitz gute Bedingungen. Grafik: DZA

Wer bekommt das Großforschungszentrum?

Die Auswahl des Milliardenprojekts geht in die Endrunde. Um Spitzenforschung mit den Lausitzer Wünschen zu vereinen, musste das Verfahren angepasst werden. 

Von Christine Keilholz

Es ist der Jackpot im Wissenschaftsaufbau in Sachsen: Zwei Großforschungszentren sollen in den beiden sächsischen Kohleregionen entstehen – eines davon in der Oberlausitz. Seit eineinhalb Jahren herrscht Spannung, was es werden soll. Und vor allem, wo es hinkommt. Nun steigt die Spannung. Ende April müssen die sechs Projekte der Endauswahl ihre erweiterten Projektskizzen einreichen. Entstehen soll ein Forschungstempel von beispielloser Größe. Ausgelegt auf knapp 2000 Mitarbeiter, ausgestattet mit 175 Millionen Jahresbudget aus Mitteln des Strukturwandels. Im Rennen sind unter anderen ein Gravitationsteleskop der European Space Agency (ESA), ein Labor für das Bauen der Zukunft namens „Lausitz Art of Building“, eine Mustermesse für nachhaltige Landschaften und ein deutsches Los Alamos, das unter dem Namen ERIS in den Tagebaulandschaften der Oberlausitz aufblühen soll. 

Schon an diesen Ideen wird erkennbar, dass es hier nicht um eine Allerwelts-Ausschreibung geht. Das haben die Bürgermeister der Oberlausitz verstanden. Praktisch jede Stadt hat Forscher umworben, um das Milliardenprojekt heimzuholen. Bei der Vergabe dieses Zentrums geht es letztlich um die Frage, welche Stadt sich durch als neues Zentrum zwischen Dresden und der polnischen Grenze etablieren kann. Die Auswahlentscheidung soll dann „im Sommer 2022“ getroffen werden, wie das Bundesforschungsministerium (BMBF) auf Anfrage der Neuen Lausitz mitteilt. Das klingt unbestimmt und es steht sinnbildlich für das ganze seltsame Verfahren, dessen Regeln nicht immer klar waren. 

In zweiter Runde entscheiden regionale Aspekte 

Das hat zu tun mit den gigantischen Erwartungen, die an dieses Projekt geknüpft sind. Auf der einen Seite soll es Spitzenforschung installieren, die Sachsen einen internationalen Rang als Wissenschaftsregion verschaffen. Auf der anderen Seite ist das Großforschungszentrum eine Ansiedlung des Strukturwandels, die Jobs, Wirtschaftskraft und Prestige an Orte bringen soll, die unter dem Kohleausstieg leiden. Ziel der Investition sei „herausragende Forschung, hochwertige Arbeitsplätze, eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung für einen nachhaltigen Strukturwandel“, versprach bei der Präsentation im November 2020 die damalige Bundesforschungsministerin der CDU, Anja Karliczek, den beiden sächsischen Kohleregionen. In den vergangenen Wochen hat das Rennen deutlich Fahrt aufgenommen. 

Die einzelnen Projektteams sind zurzeit verstärkt in der Region unterwegs. Das hat einen Grund: In der zweiten und entscheidenden Runde werden die Forschungsideen nach regionaler Verträglichkeit ausgewählt. Das lässt sich hinter den Kulissen vernehmen. Offiziell betont das BMBF: „Für die Auswahl der Experten sind fachliche Exzellenz sowie Erfahrung in relevanten Bereichen von Wissenschaft, Transfer und Strukturfragen maßgeblich“, so erfuhr der Dresdner CDU-Bundestagsabgeordnete Lars Rohwer in einer Anfrage, die der Neuen Lausitz vorliegt. 
 

Bund zahlt dauerhaft 90 Prozent 


Die Großforschungszentren kamen zustande auf Betreiben des sächsischen Ministerpräsidenten. Michael Kretschmer (CDU) setzte beim Bund, dass Sachsen im Zuge des Strukturwandels zwei solcher Einrichtungen bekommt. Kretschmer – ganz der erfahrene Wissenschaftspolitiker, der er als Bundestagsabgeordneter war – schaffte es auch, die Finanzierung für Sachsen höchst günstig zu gestalten. Die beiden Zentren haben eine Struktur wie Helmholtz-Zentren, werden also zu 90 Prozent vom Bund finanziert. Das soll sicherstellen, dass sie nach Auslaufen der Strukturstärkung im Jahr 2038 nicht ins Jammertal der Forschungsfinanzierung rutschen – sondern finanziell gesichert sind in alle Ewigkeit. Eingeplant sind für den Aufbau 2,5 Milliarden Euro aus den für Sachsen bestimmten Strukturmitteln des Bunds. 

Große Beispiele stehen Pate für diesen Wissenschaftstempel. Etwa das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, das in Bremerhaven und an drei weiteren Standorten 1000 Mitarbeiter beschäftigt. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, das im Osten von Leipzig ganze Straßenzüge einnimmt. Und immer wieder wird das CERN in der Schweiz als Referenz herangezogen, das weltweit größte Forschungszentrum für Teilchenphysik mit mehr als 3400 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von einer Milliarde Euro. Das Budget der Großforschungszentren ist mit 175 Millionen nicht ganz so groß – aber immer noch doppelt so groß wie der jährliche Haushalt der TU Dresden. 

Große Forschung gegen Partikularinteressen 

Um für zwei Häuser dieser Größenordnung Ideen und Leute heranzuholen, musste der internationale Wissenschaftszirkus in Wallung gebracht werden. Zuständig dafür waren in der ersten Runde der Wissenschaftsmanager – und Kretschmer-Freund – Wolfgang A. Herrmann, ehemaliger Präsident der TU München, und der Astronaut Alexander Gerst. Der bekannte „Astro Alex“ firmierte als Chef der zehnköpfigen Auswahlkommission, die aus den gut 100 eingegangenen Projektskizzen die sechs Finalisten erkor. Doch als die sechs Projekte in der Endauswahl im Juli 2021 präsentiert wurden, sackten die Kinnladen der Lausitzer Bürgermeister nach unten. Das Gravitationsteleskop des ESA-Professors Günther Hasinger mitsamt einem „Deutschen Zentrum für Astrophysik“ oder das „European Research Institute for Space Ressources” (ERIS) des Freiberger Bergbauforschers Carsten Drebenstedt kamen zwar in Wissenschaftskreisen gut an – erschienen aber der Lausitzer Politik zu abgehoben. Hier kollidieren Wissenschaftsintessen und regionale Strukturwandel-Wünsche. Man müsse jetzt dringend darauf achten, dass „das Thema nicht zerfasert durch partikulare Interessen von Landräten oder Bürgermeistern, die lieber ihre Kreuzung geteert haben wollen“, sagt ein Projektanmelder. 

In der zweiten Runde sind es nicht mehr Wissenschafts-Promis, die die Auswahl treffen. Diesmal brüten laut Informationen der Neuen Lausitz Beamte und Fachangestallte aus dem Umfeld des BMBF über den Konzepten. Das Ministerium spricht auf Anfrage von „verschiedenen, fachlich einschlägigen Expertenkommissionen“, die die erweiterten Projektskizzen bewerten. Es sei „nicht vorgesehen, die Mitglieder vor Beendigung des Verfahrens zu veröffentlichen“, teilt eine Sprecherin mit.