Der Kohleausstieg fordert den Menschen in der Lausitz eine 180-Grad-Wendung im Mindset ab. Aber das geht nur mit echter Beteiligung, ist der Dresdner Strukturwandel-Forscher Tristam Barrett überzeugt.
Frage: Herr Barrett, Sie kennen viele Strukturwandel-Regionen von Aserbaidschan bis Polen. Was unterscheidet den Lausitzer Strukturwandel von ähnlichen Prozessen im Rest der Welt?
Tristam Barrett: In der Lausitz hat bereits in den 1990er Jahren ein traumatisierender und für viele als ungerecht wahrgenommener Strukturwandel stattgefunden. Als Ergebnis ist der von Dekarbonisierung betroffene Sektor kleiner. Das unterscheidet die Lausitz deutlich von Polen, wo es noch 90.000 Arbeitsplätze gibt, die direkt von der Kohle abhängen. Aus dieser früheren Erfahrung heraus gibt eine große Skepsis in der Lausitz gegenüber einem Strukturwandel.
Skepsis gegenüber was?
Man kann wohl sagen: Viele Menschen in der Lausitz sehen den Kohleausstieg skeptisch. Das mag wenig überraschen, es ist aber auch tragisch. Es wird so viel hinein interpretiert in diesen neuen Strukturwandel. Eine Interpretation ist die, dass der Strukturwandel von heute eine Entschädigung bringen soll für den früheren, der schief gegangen ist. Dass er die Menschen zurückholt, die weggegangen sind, die Wirtschaftskraft wiederbringt und die Kraftwerke, in denen Tausende von Menschen ihre Jobs hatten. Nicht zu vergessen die verlorene Identität und das Selbstbewusstsein. Das sind enorme Erwartungen, von denen viele unerfüllt bleiben werden, da sie tiefere emotionale Dispositionen widerspiegeln. Andere sind der Meinung, dass es nicht viel mit ihrem Leben zu tun hat, dass es zu abstrakt ist.
Dies ist ein Text aus dem Neue Lausitz Briefing vom 3. Mai 2022.

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Tristam Barrett, 36, forscht am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden zu den sozialen Auswirkungen des Strukturwandels in der Lausitz. Der Sozialanthropologe stammt aus Schottland und hat in Cambridge mit einer Arbeit über politische Ökonomie und sozialen Wandel in Aserbaidschan promoviert. Zurzeit führt er im eine Befragung zu den sozialen Auswirkungen der Dekarbonisierung im Rahmen des vergleichenden EU-Projekts Entrances durch. Die Teilnahme ist bis zum 31. Mai möglich.