Was die Braunkohle für Wahlen in der Lausitz bedeutet

10. Juni 2022

Kohleausstieg und Strukturwandel dürften für die Kommunalwahlen am Sonntag nicht mehr ausschlaggebend sein. Klar ist aber: Wenn die AfD wichtige Ämter erobert, wird die Partei entscheidend für den Prozess, den sie ablehnt. 

Von Christine Keilholz

Selten fanden an einem einzigen Tag so viele wegweisende Wahlen in der Lausitz statt wie am kommenden Sonntag. Die Kreise Bautzen und Görlitz bekommen neue Landräte, dazu werden 53 Bürgermeisterämter neu vergeben. Für den weiteren Verlauf des Strukturwandels in der Oberlausitz wird dieser Superwahlsonntag entscheidend. Aber der Strukturwandel ist nicht mehr das entscheidende Thema. 

Darauf deuten sämtliche Studien und Umfragen hin, die in jüngster Zeit Aufschluss über die politischen Präferenzen der Lausitzerinnen und Lausitzer Aufschluss gaben. Allen voran der Lausitz-Monitor, der sich vorrangig damit befasst, wie Kohleausstieg und Strukturwandel im Revier ankommen. Der Befund: Die Aufregung über die Energiepolitik hat sich weitgehend gelegt. „Die allgemeine Stimmung hat den Strukturwandel mit eingesackt“, sagt Jörg Heidig, Macher der Online-Befragung. Aus den Ergebnissen, die der Lausitz-Monitor zu den politischen Einstellungen liefert, sticht der Strukturwandel nicht mehr als maßgebliches Thema hervor. 

2019 waren noch 40 Prozent gegen den Kohleausstieg

Das war bei den zurückliegenden Wahlen anders. Namentlich die Landtagswahlen von 2019, die wenige Monate nach dem Kohleausstiegsbeschluss in Brandenburg und Sachsen am selben Tag stattfanden. In den Revieren ließen sich diese Wahlen als Abstimmung zum Kohleausstieg interpretieren, unter jenen Menschen, die von der deutschen Energiepolitik unmittelbar betroffen waren. Kein Thema ließ die Emotionen in der Lausitz zu dieser Zeit ähnlich hoch kochen. Der Kohleausstieg und das Versprechen, die Reviere mit 40 Milliarden Euro aus Bundeskassen zu entschädigen, teilte die Lausitzerinnen und Lausitzer in jene, die dafür waren oder dagegen. Das ließ sich an den Ergebnissen ablesen. AfD und FDP, die den Kohleausstieg ablehnten, erhielten zusammen um die 40 Prozent der Stimmen. Damit ließ sich der Anteil der Ausstiegsgegner deutlich beziffern. Trotzdem waren die Landtagswahlen ein Plädoyer für den Gesamtprozess. Die Ministerpräsidenten Dietmar Woidke und Michael Kretschmer, die dem Ausstieg bis 2038 zugestimmt hatten, mussten Verluste verkraften, konnten sich aber doch an der Macht halten. 

Auch Bundestagswahl 2021 stand noch im Zeichen der Kohle. Der beginnende Strukturwandel zeigte erste Ergebnisse. Erste Bundesbehörden und Forschungsinstitute hatten in der Lausitz aufgemacht, das Rennen um Fördermittel war in vollem Gange. Wie diese Veränderungen von der Bevölkerung angenommen wurden, spiegelte sich in den Wahlergebnissen wider. Im Kreis Görlitz hatten rund 54.000 Wahlberechtigte ihr Kreuz bei der AfD gemacht, im Kreis Bautzen 50.000 – deutlich mehr als bei der CDU – und damit ihrer Ablehnung des Strukturwandels Ausdruck verliehen. 

AfD könnte prestigeträchtige Kommunalämter ergattern

Am kommenden Sonntag dürfte sich das ändern. Bürgermeisterwahlen sind Personenwahlen und keine Abstimmungen über Bundes- und Weltpolitik. Parteipräferenzen sind nachrangig, wenn es darum geht, Führungspersonal für Gemeinden ins Amt zu bringen. Protestwahlverhalten und Denkzettelverteilen wirken sich weniger aus. 

Spannend wird indes die Frage, wie tief die AfD in der Lausitz verwurzelt ist. Die Partei, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, konnte über die Jahre ihre stärksten Ergebnisse in Ostsachsen einfahren – mit stellenweise knapp 40 Prozent der Wählerstimmen. Diesmal wird sich zeigen, ob die AfD das geeignete Personal hat, um bei Personenwahlen zu punkten. Mit Sebastian Wippel und Frank Peschel hat die AfD Kandidaten im Rennen um beide Oberlausitz-Kreise und könnten damit erstmals prestigeträchtige Kommunalposten ergattern. Wenn es so kommt, dann liegt künftig eine maßgebliche Verantwortung für den Strukturwandel in den Händen einer Partei, die den Strukturwandel offen ablehnt. Die Landratsämter haben große Macht bei der Auswahl von Förderprojekten. Und damit großen Einfluss darauf, was in der Lausitz wie entwickelt wird.