Das Ende des Verbrennungsmotors schreckt Harry Lehmann nicht. Im Gegenteil, der Leiter des PtX Lab Lausitz sieht dadurch mehr Freiraum für die E-Fuels, die er in großem Stil herstellen will.
Herr Lehmann, die EU hat das Ende des Verbrennungsmotors beschlossen. Was bedeutet das für die Arbeit, die Sie in Cottbus machen?
Harry Lehmann: Die Entscheidung der EU hat eigentlich keine Bedeutung für uns. Denn mit ihr wird das Auslaufen der Verbrennungsmotoren-Technik im Pkw-Sektor geregelt. Wir arbeiten in Cottbus hingegen am Markthochlauf von sogenannten PtX- und PtL-Technologien, mit denen aus unserer Sicht vor allem synthetische Kraftstoffe für Luft- und Schifffahrt hergestellt werden sollen. Es geht uns also eben gerade nicht um die Zukunft des Autos. In diesem Bereich wären E-Fuels mit ihrem vergleichsweise sehr hohen Energiebedarf eine Verschwendung kostbarer Ressourcen. Wenn wir im Pkw-Sektor wirklich auf synthetische Kraftstoffe setzen würden, bräuchten wir bei 68 Millionen Autos allein in Deutschland eine enorme Menge erneuerbarer Energien. Die sind aber derzeit noch nicht in sehr großer Menge verfügbar – weder in Deutschland noch sonst wo auf der Welt.
Aber werden ohne Verbrennungsmotor die synthetischen Kraftstoffe nicht zum Auslaufmodell?
Nein, denn in der Luft- und Schifffahrt sind synthetische Kraftstoffe im Moment die einzige klimafreundliche Alternative. Wir brauchen E-Fuels auf Basis von grünem Wasserstoff also auf jeden Fall, aber eben nur in ganz bestimmten Einsatzgebieten. Auf genau diese konzentrieren wir uns. Denen wollen wir in der Lausitz zum Erfolg verhelfen. Grundsätzlich betrachtet ist es natürlich schwierig, einen schnellen Technologiewandel – weg von der Verbrennung von fossilen Energieträgern – hinzubekommen, wenn gleichzeitig die Erneuerbaren noch knapp sind.
Wie kann man das lösen?
Indem wir uns Gedanken machen über eine Priorisierung. Diese Kraftstoffe, die letztlich aus Wind- und Sonnenenergie gewonnen werden, müssen als erstes in die Bereiche fließen, die gar nicht anders können, als mit E-Fuels voranzukommen. Das sind eben die Luft- und Schifffahrt. In anderen Bereichen sollte man hingegen aus Effizienzgründen die schon vorhandenen E-Mobilität-Lösungen wählen. Das betrifft insbesondere die eingangs angesprochenen Autos auf den Straßen.
Die Sektoren, die Sie bespielen, sind also prioritär?
Ja. Für uns steht die Luftfahrt an erster Stelle. An zweiter Position folgt die Schifffahrt. Und drittens wollen wir die Dekarbonisierung der chemischen Industrie voranbringen. Für uns ist die Entscheidung aus Brüssel zum Verbrenner-Aus damit letztlich eine gute Nachricht, weil dadurch die Ressourcen für die Luft- und Schifffahrt größer werden.
Welche Potenziale hat Ihre Arbeit für die Energiebranche?
Die Markteinführung von PtX-Produkten ist unabdingbar, wenn wir als Gesellschaft treibhausgasneutral werden wollen. Denn wenn die Energiewende gelingen soll, dann muss man die Erneuerbaren in allen Sektoren koppeln. Und das geht in manchen Bereichen nur, indem man mit Wind- und Solarstrom synthetische Kraft- und Grundstoffe herstellt, um beispielsweise herkömmliches Kerosin zu ersetzen. Wir arbeiten aktuell an Verfahren, bei denen es um „Power to Liquid“ geht. Wir wollen am Ende also Treibstoffe erhalten – überwiegend für die Luftfahrt, da es für diese bereits in Deutschland und der EU Quoten gibt, die erfüllt werden müssen. Zurzeit liegt das Produktionsvolumen von nachhaltigen synthetischen Treibstoffen noch zu niedrig. Wenn es uns in der Lausitz gelingt, daran etwas zu ändern, dann haben wir einen Leuchtturm geschaffen.
Sie planen eine Demonstrationsanlage für PtL, die entweder in Guben, Jänschwalde oder Schwarze Pumpe entstehen soll. Wie weit ist das noch von einer Produktion entfernt?
Es wird eine Produktionsanlage in industriellem Maßstab entstehen, in der 10.000 Tonnen Kraftstoff für die Luftfahrt pro Jahr produziert werden sollen. Wir waren gerade auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung, um uns und unsere Arbeit vorzustellen. Ich kann berichten: Die Leute sind gespannt, wie schnell wir es schaffen, diese Produktion zu realisieren. Es begleitet uns in der Breite eine positive Neugierde. Ein konkretes Datum können wir aber noch nicht nennen. Dafür müssen noch einige Fragen geklärt werden, die zum Teil gerade erst auf europäischer Ebene entschieden werden.
Ihr PtX Lab Lausitz ist auch ein Stück Strukturwandel. Deshalb die Frage: Wie viele Arbeitsplätze bringt eine solche Anlage?
Wir haben es noch nicht ausgerechnet. Das wäre auch die falsche Perspektive. Allein mit dem Fokus auf Arbeitsplätze kann man keinen Strukturwandel machen. Strukturwandel muss ansässige Potenziale stärken, wie beispielsweise Forschung und das Know-how von Ingenieuren. Das muss so zusammengeführt werden, dass langfristig nachhaltige Arbeitsplätze entstehen. Unser Demonstrator ist unerlässlich für die Luftfahrt, die ja bis 2050 treibhausgasneutral werden soll. PtL wird in dieser Zukunft ein ganz normaler Bestandteil einer treibhausgasneutralen Welt sein. Was das konkret wirtschaftlich bringt, wird die Zeit zeigen.
Brauchen wir eigentlich die Kohle noch? In der aktuellen Energiekrise infolge des Kriegs in der Ukraine ist davon wieder öfter die Rede.
Ich halte es für falsch, den Kohleausstieg zu verschieben. Mit einer längeren Laufzeit ließen sich die gesetzten Klimaziele einfach nicht mehr einhalten. Und auch der eingeleitete Strukturwandel – mit den verschiedenen Zielen für den Aufbau von Wissenschaft und Wirtschaft – darf nicht unterbrochen werden. Es gab eine Abmachung in Richtung der erneuerbaren Energien. Die müssen wir einhalten.
Gas aus Russland war ja als Brücke hin zu den Erneuerbaren eingeplant. Wenn nun kein Gas mehr fließt, welchen Effekt hat das auf ihren Markthochlauf?
Unser Markthochlauf wird noch dringlicher. Dabei gibt es aber ein ganz grundlegendes Problem: Man kann nicht über Nacht Windanlagen herbeizaubern. Und man kann sich auch nicht die fehlenden Fachleute dafür herbeiwünschen. Abgesehen davon haben wir noch immer die Situation, dass viele Leute die Erneuerbaren nicht haben wollen – zumindest nicht in ihrem weiteren Umfeld. Kurzum: Man kann zehn Jahre Nichtausbau von Erneuerbaren nicht in einem Sommer aufholen. Leider.
Dr. Harry Lehmann ist Leiter des im August 2021 gegründeten PtX Lab Lausitz. Vor seiner Tätigkeit am Cottbuser Lab war der promovierte Physiker unter anderem Leiter des Fachbereichs „Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstrategien“ im Umweltbundesamt in Dessau.
Mit Harry Lehmann sprach Christine Keilholz
Dies ist ein Text aus dem Neue Lausitz Briefing vom 5. Juli 2022.

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