Die Hauptstadt der Lausitz wählt am 11. September ein neues Oberhaupt. Doch im Wahlkampf werden die Themen Kohleausstieg und Strukturwandel möglichst gemieden. Warum nur?
von Christine Keilholz
Wenn von einem Wahlkampf überhaupt die Rede sein kann, dann findet er irgendwo anders statt. Die bislang einzige öffentliche Runde der Bewerber ums Cottbuser Rathaus ging sang- und klanglos vorüber. Eine weitere ist nicht geplant. So viel ist klar: Jemand muss am 1. Dezember als neues Stadtoberhaupt anfangen. Der Amtsinhaber, Holger Kelch (CDU), tritt aus gesundheitlichen Gründen nicht wieder an.
Zur Wahl stehen nun sechs Kandidaten und eine Kandidatin. Möglicherweise kommt der einzigen Frau in der Runde eine entscheidende Rolle zu. Lysann Kobbe, die Kandidatin der Protestpartei „die Basis“, hat als letzte ihre Kandidatur bekannt gegeben. Sie durchkreuzt damit die Pläne der AfD. Die sieht Cottbus als einen reifen Apfel an, der ihr von selbst in die Hand fallen kann. In der zweitgrößten Stadt Brandenburgs will die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestufte AfD anschlussfähig werden und ihre Fähigkeit für die Regierungsverantwortung beweisen. Aber so leicht wird es nicht. Das liegt nicht nur an der Kandidatin der Basis.
AfD will den Erfolg von 2019 wiederholen – hat aber Konkurrenz
In diesem Wahlkampf um Cottbus liegt die Aufmerksamkeit bei drei Männern. Der CDU-Kandidat Thomas Bergner steht für den Kurs des Amtsinhabers Holger Kelch. SPD-Kandidat Tobias Schick hat ebenfalls gute Chancen, Cottbus für Brandenburgs Regierungspartei heimzuholen. Jahrelang wurden die politischen Rennen in der Stadt zwischen CDU und SPD ausgetragen. Seit der Bundestagswahl im vergangenen Herbst ist es auch wieder so. Anders war es allerdings bei der Landtagswahl 2019. Da sezte sich die AfD in Cottbus durch. Der gelernte Energie-Elektroniker Lars Schieske schaffte es mit 27,3 Prozent direkt in den Landtag. Nun will der diesen Erfolg wiederholen. AfD-Mann Schieske will in Cottbus „Geschichte schreiben“ und Oberbürgermeister werden.
Die Landtagswahl von 2019 ist eine Art Trauma für viele in Cottbus. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um den Kohleausstieg, als das Thema Kohle polarisierte wie kein anderes, konnte die AfD ein Drittel der Wähler für sich gewinnen. Wäre es damals nach der Lausitz gegangen, wäre die in Teilen rechtsextreme Partei, die Kohleausstieg und Strukturwandel ablehnt, längst in Regierungsverantwortung. Seither stellt sich bei jeder Wahl die Frage, wer von den anderen Parteien stark genug ist, um das zu verhindern.
CDU und SPD schicken anschlussfähige Sympathieträger ins Rennen
CDU und SPD setzen deshalb auf bewährte Kandidaten, die das Zeug haben, über die Parteien hinaus Wähler zu sammeln. CDU-Mann Bergner ist ein altbekanntes Gesicht aus dem Rathaus. Der 62-jährige Ordnungsdezernent war in seiner Jugend Leichtathlet, hat ein Diplom als Ingenieur für Umwelt- und Hygienetechnik und arbeitet seit 1993 für die Stadt Cottbus. Die findet er „besser als ihr Ruf“, ansonsten hält er sich mit Meinungsäußerungen zurück. Auf Plakaten präsentiert sich Bergner als Radfahrer.
Als Anpacker stellt sich SPD-Kandidat Schick vor. Der 41-jährige gebürtige Ludwigsfelder ist ebenfalls Leichtathlet, hat lange als Trainer gearbeitet, dann Verwaltungswissenschaften studiert. Schick ist als Geschäftsführer des Stadtsportbunds eine jüngere Kraft im Politikbetrieb, setzt auf einen schwungvollen Neuanfang beim Strukturwandel. „Konzepte, die bereits entschieden sind, müssen endlich umgesetzt werden“, sagt er.
Weniger Chancen auf Erfolg hat der Kandidat der FDP. Felix Sicker, 36, ist Ingenieur arbeitet als Projektmanager beim Bergbau-Unternehmen Leag. Der gebürtige Rostocker ist der einzige im Kandidatenfeld, der den Strukturwandel auf seine Plakate schreibt. Sicker sieht sich als „Strukturwandler mit Erfahrung“. Cottbus will er zur „Gewinnerstadt“ machen, die ihre kommunalen Dächer mit Photovoltaik bestückt und die Bürger befragt, wie der Ostsee heißen soll. Dass er die Chance dazu bekommt, ist allerdings unwahrscheinlich. Die FDP holte bei der Landtagswahl in Cottbus annähernd sechs Prozent und bei der Bundestagwahl annähernd elf Prozent der Zweitstimmen.
Außenseiter-Kandidaten mit wenig Interesse am Strukturwandel
Mit Ausnahme von Sicker fällt auf: Der Strukturwandel gilt in diesem Wahlkampf nicht als Gewinnerthema. Bei der bislang einzigen öffentlichen Kandidatenrunde am Anfang August kam der Strukturwandel kaum zur Sprache. Dem Kandidaten der Wählerplattform „Unser Cottbus“, Sven Benken, ging es mehr um Sport. Der 52-Jährige war Profi-Fußballer beim FC Energie Cottbus. Er betreibt eine Fußballschule und ist Stadtverordneter der Fraktion Unser Cottbus/FDP, der auch sein Konkurrent Felix Sicker angehört.
Ein weiterer Außenseiter im Rennen ist Johann Staudinger. Der 40-jährige Finanzamts-Angestellte und Landwirt hat einige Opfer gebracht, um bei dieser Wahl mitzumischen. Er trat aus der SPD aus und gab seine Funktion als Sprecher des Cottbuser Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) ab. Staudingers Anliegen sind eine effektive Verwaltung und mehr Bürgerbeteiligung.
Die Basis-Kandidatin Lysann Kobbe setzt bei dieser Wahl vor allem auf ein Thema: die Ablehnung der Corona-Schutzimpfung. Als Kandidatin der Partei, die der Coronaleugner Bodo Schiffmann gegründet hat, war die 42-jährige schon zur Bundestagswahl angetreten. Damals bekam sie 2,2 Prozent der Stimmen. Die Kandidatur der Krankenschwester und Pflegedienst-Inhaberin Kobbe dürfte der AfD einen Teil ihrer Wählerschaft abspenstig. AfD-Kandidat Schieske versucht, die Straßenproteste der Coronaleugner für sich zu nutzen. Doch nun haben diejenigen, die sich an Maskenpflicht und Impfung stören, eine Alternative zur Alternative. Entsprechend setzt Schieske wieder stärker auf den Themenmix, der ihn 2019 in den Landtag brachte: Abstiegsangst, angeblich „illegale“ Zuwanderung und den fehlenden Glauben an einen erfolgreichen Strukturwandel.
Wahltag für die erste Runde ist der 11. September. Falls keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht, geht es in die Stichwahl am 2. Oktober. Die Amtsübernahme des neuen Stadtoberhaupts ist für den 1. Dezember angesetzt.
Dies ist ein Text aus dem Neue Lausitz Briefing vom 23. August 2022.

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