Die Lausitz ist nicht mehr Chefsache

9. September 2022

Der Bundeskanzler kommt nach Spreetal. Die Länderchefs kommen aber nicht zum Gewerkschaftstreffen. Das sagt einiges darüber aus, wo Kohleausstieg und Strukturwandel in der aktuellen Krise rangieren. 

von Christine Keilholz

Eine Bilanz des Strukturwandels sollte es werden. Eine Abrechnung der Länderchefs der Kohleländer mit der Bundesregierung war mit Spannung erwartet worden. Am Ende wurde der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Freitag in Spreetal einfach nur ein Besuch. Scholz drückte seine Freude aus, mal wieder Gast in der Lausitz sein zu dürfen. Er nahm das Kraftwerk Schwarze Pumpe in Augenschein. Er ließ sich das mit Strukturmitteln gebaute Coworking-Zentrum „Dock3“ zeigen und äußerte sich zufrieden mit dem, was er sah. 

Der Kanzler machte nicht den Eindruck, als sei er hier zu einem Brennpunkt gerufen worden und müsse politische Feuer löschen. Ganz anders als etwa vor drei Jahren, als Scholz noch Bundesfinanzminister war und die Lausitz, der soeben das Ende ihrer letzten verbliebenen Großindustrie verkündet worden war, Gefahr lief, an den rechten Rand zu rutschen. 

Endlich wieder in den großen Nachrichten  

Auch die Ministerpräsidenten, die dieses Treffen gefordert hatten, blieben zahm. Keine strengen Worte fielen. Allenfalls der Hinweis, dass es mit der Planung der ICE-Strecke von Berlin über Cottbus nach Görlitz gerne schneller gehen dürfe. Ansonsten auch hier Zufriedenheit. Der Strukturwandel in der Lausitz lief dank Scholz in den großen Nachrichten, samt der Botschaft, dass hier 17,2 Milliarden Euro an öffentlichem Geld ausgegeben werden, um die Region zu entwickeln.

Das Dock3, vor dem sich alle ablichten ließen, hat knapp acht Millionen Euro gekostet. Das sind ausgegebene Strukturmittel, die sichtbar in der Landschaft stehen. Anders als die ICE-Strecke, die wohl noch für Jahre ein unsichtbares Versprechen bleibt. Das ist die Krux bei einem so langsamen Wandel: Die Lausitz wird in Zeitlupe ins dekarbonisierte Zeitalter katapultiert. Das ist mit bloßem Auge nicht zu erkennen – und über den Zeitraum einer ganzen Generation kaum als Gesamtprozess zu verstehen. Also muss viel über Dinge geredet werden, die noch nicht da sind. 

Die Lausitz steht nicht mehr an der Klippe der Demokratie 

Es ist nicht alles schlecht gelaufen beim Strukturwandel in der Lausitz. Der wirtschaftliche Kollaps, den viele befürchtet hatten, ist ausgeblieben. Ein Strukturbruch ist nicht in Sicht. Inzwischen halten sogar die Kraftwerker aus Schwarze Pumpe, Jänschwalde und Boxberg die Energiewende für eine brauchbare Idee. Schaute vor den Landtagswahlen 2019 die ganze Republik auf die Lausitz, nimmt aktuell nicht einmal die ganze Lausitz Notiz von der Oberbürgermeisterwahl in Cottbus, die am Sonntag ansteht. Die Brisanz ist raus. Die Lausitz steht nicht länger an der Klippe der Demokratie. 

Aber das ist auch ein Problem. In einer Zeit der vielgestaltigen Krisen gerät die Lausitz aus dem Lichtkegel der Aufmerksamkeit. Russlands Krieg in der Ukraine hat neue Problemfelder geschaffen, die das finanzielle Engagement des Staats nötig machen. Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung soll 65 Milliarden Euro kosten, die Wiederherstellung der Wehrfähigkeit ist mit 100 Milliarden veranschlagt. Da können die 40 Milliarden in Vergessenheit geraten, die vor zwei Jahren den Revieren zugesichert wurden als Entschädigung für die Kohle. 

Energiesicherheit ist wichtiger als die Frage 2030 oder 2038 

Scholz hat in Spreetal versichert, dass das Geld auch fließen werde. Der Strukturwandel in der Lausitz ist allerdings keine Chefsache mehr. Beim Treffen des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in Cottbus am Tag davor fehlten die Ministerpräsidenten. Andere Termine waren wichtiger. Michael Kretschmer hatte für denselben Tag in Dresden eine Energiekonferenz einberufen. Als der Parlamentarische Wirtschafts-Staatssekretär Michael Kellner von den Gewerkschaftern in Cottbus gefragt wurde, wo die versprochene Evaluierung des Kohleausstiegs bleibe, ließ er wissen, man sei zurzeit mit anderen Dingen beschäftigt – etwa mit der Aufgabe, die deutsche Filiale des russischen Konzerns Gazprom zu verstaatlichen. „Da kann man nicht sagen, es ist das Allerwichtigste der Welt, jetzt diesen Kohleausstieg zu evaluieren.“ 

Selbst in den Ländern ist die Lausitz nicht mehr das drängendste Problem. Das sagte Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) den versammelten Gewerkschaftern in aller Deutlichkeit: „Die Lausitz sollte mal erkennen, dass sie in einer viel besseren Situation ist als die Prignitz oder die Uckermark.“ Steinbach erinnerte an Schwedt, wo die Druschba-Pipeline anlandet und infolge des Ukrainekriegs nun ein ganzer Wirtschaftsstandort gefährdet ist. Dort habe man nun „den nächsten Kriegsschauplatz“ mit dieselben Unsicherheiten wie vor drei Jahren in der Lausitz.

Dies ist ein Text aus dem Neue Lausitz Briefing vom 6. September 2022.

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