Cottbus hat den Strukturwandel bisher eher mit sich machen lassen, statt ihn selbst zu gestalten. Es wird Aufgabe des neuen Oberbürgermeisters, das zu ändern.
Von Christine Keilholz
In Cottbus tritt in wenigen Tagen ein neuer Oberbürgermeister sein Amt an. Der 42-jährige SPD-Mann Tobias Schick übernimmt eine Stadt, die einen rasanten Wandel hinlegen wird. Die nächsten zwei, drei Jahre entscheiden die Entwicklung der Lausitz für die nächsten 50 Jahre, sagen Strukturwandel-Manager oft. Das gilt doppelt für Cottbus. Wenn die Metropole der Lausitz nicht mehr als Kohle-Hauptstadt und Trainingslager für den ostdeutschen Rechtspopulisten-Nachwuchs wahrgenommen werden will, dann muss Tobias Schick eine neue politische Kultur prägen.
Erstens: Bitte größer denken! Am Tag nach dem Wahlsieg fragte ich den kommenden OB nach seinen verkehrspolitischen Prioritäten. Er antwortete mit seinen Plänen für neue Radwege. Die sind natürlich wichtig. Aber wohl kaum das größte Verkehrsproblem in einer Stadt, deren Zugverbindung nach Berlin praktisch nie plangemäß läuft. Klar, dafür ist ein Stadtoberhaupt nicht verantwortlich. Aber Kommunalpolitik ist mehr als das Ordnen kommunaler Belange in einer Stadt, die ein Zentrum von Wissen und Technologie werden will. Cottbus ist Teil eines regionalen Verkehrssystems, das auf Cottbus ausgerichtet sein muss. Dafür muss sich ein Rathauschef stark machen.
Marketing gehört zur Bürgermeister-Performance
Zweitens: Was sagen! Der Strukturwandel, wie er bisher gelaufen ist, ist ein Momentum städtischer Selbstbehauptung. Kommunen an den Tagebaukanten, die lange jenseits der großen Entwicklungslinien lagen, haben sich lautstark Gehör verschafft. Es galt, lokale Interessen zu wahren gegenüber einer Bundespolitik, die mit dem Kohleausstieg einzelnen Orten Lasten und Ungewissheit aufbürdet. Spremberg und Weißwasser traten auf die Bildfläche und forderten etwas ein. Plötzlich scholl es laut aus den Rathäusern und auf einmal wurde einer Öffentlichkeit bewusst, was es bedeutet, Kommunalpolitik zu machen. „Wir sind der letzte Meter der Demokratie“, sagte Dirk Neubauer, ehemals Bürgermeister des mittelsächsischen Augustusburg – und keiner konnte ihm widersprechen.
Drittens: Was machen! Strukturwandel bedeutet, dass Städte ihr Schicksal in die Hände nehmen. Vergeben werden Millionen an Sonderförderung, gesucht werden Standorte für die großen Strategiethemen von Wasserstoff bis künstliche Intelligenz. Da kann sich Jeder berechtigte Hoffnungen auf lukrative Ansiedlungen machen. Hoyerswerda bemüht sich um eine Wissenschafts-Ansiedlung. Weißwasser versucht, irgendeine Hochschul-Struktur heimzuholen. Jeder muss gut für sich selbst argumentieren. Trommeln und Marketing sind zur Bürgermeister-Performance geworden. Die Stadt Cottbus brauchte das bisher nicht, denn sie genießt eine einmalig gute Startposition.
Cottbus ist der Leuchtturm, der nicht selbst leuchtet
Im brandenburgischen Strukturwandel-Plan ist Cottbus das natürliche Zentrum aller Aktivitäten, die das Revier nach vorn bringen sollen. In Brandenburgs zweitgrößter Stadt entstehen das neue Bahnwerk und das neue Uni-Klinikum. Cottbus hat Niederlassungen von Wirtschaftsförderung und Staatskanzlei. Sogar Rolls-Royce kommt in die Stadt. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen von Fraunhofer bis zum Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) wurden nach Cottbus beordert, um mit ihren starken Namen die Attraktivität der BTU Cottbus-Senftenberg zu steigern. Eine unüberschaubare Vielzahl von Vorhaben an der BTU fördern Bund und Land mit Millionen.
Ist der Hochschulstandort Cottbus erstmal aufgewertet, so die Logik der Landesregierung, dann werden die Wohngebiete im Umland automatisch voll. Brandenburg betreibt das, was unter dem Begriff Leuchtturm-Politik oft kritisiert wird, ganz unverdrossen. Der Leuchtturm heißt Cottbus. Da könnte eigentlich nichts mehr schief gehen, sollte man meinen. Aber das hat auch Tücken. Wer Leuchttürme hingestellt bekommt, muss selber kein Feuer anzünden.
Cottbus ist keine Stadt der großen Worte. Das ist okay, aber nicht hilfreich. Wer nichts sagt, wird nicht gehört. Im Ringen um den Kohlekompromiss war die größte Stadt der größten Kohleregion praktisch nicht zu vernehmen. Derweil avancierten Spremberg, Weißwasser und andere unter dem Label „Lausitz-Runde“ zu Lautsprechern Lausitzer Kommunalinteressen. Ihre Amtsträger reisten nach Brüssel und in die Talkshows. Aus Cottbus kam dazu wenig.
Ein Trainer für die ganze Stadt
Cottbus hat in all der Dynamik, die es erfasst hat, keine Idee entwickelt, was es sein will. Allerhöchstens Boomtown, aber wer will das nicht. Wenn sich die Stadt in der gleichnamigen Imagekampagne als „Europas Modellstadt für Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Wachstum“ in Szene setzt, dann klingt das immer noch, als müsste man sich selbst überzeugen, dass man plötzlich Mittelpunkt von etwas ist.
Im OB-Wahlkampf war das deutlich zu spüren. Kaum einer der Kandidaten schrieb den Strukturwandel auf seine Fahnen. Zu groß war die Angst vor dem, was viele ältere Cottbuserinnen und Cottbuser mit dem Wandel assoziieren: nämlich einen groß angelegten Prozess, der zu ihren Lasten geht, und Cottbus ein weiteres Mal zum Objekt von Fremdbestimmung macht. Was bis heute fehlt, ist ein starkes Statement aus dem Rathaus, das von Selbstbewusstsein und Optimismus zeugt.
Dem Fußballtrainer Tobias Schick sollte das gelingen. Er muss jetzt ein Trainer für die ganze Stadt sein. Er muss die Sorgen der Menschen aufgreifen – ohne die Rhetorik der Straßenproteste zu kopieren. Er muss die Armut in der Stadt bekämpfen – die architektonische Armut an der Stadtpromenade genauso wie die der Bürgergeld-Bürger. Der neue Cottbuser Oberbürgermeister muss eine Politik machen, die eine aktive Bürgergesellschaft inspiriert.
Dies ist ein Text aus dem Neue Lausitz Briefing vom 22. November 2022.

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