In der Lausitz entstehen nach der Kohle neue Landschaften. Wenn es schön und lebenswert werden soll, lässt sich vom Gartenfürsten viel lernen. Leider wurde beim Rekultivieren auf diese Wissensressource bisher kaum zurückgegriffen.
von Cord Panning Eine schöne Landschaft färbt auch auf die Menschen ab. Der berühmteste Lausitzer aller Zeiten wusste das schon vor 200 Jahren. Hermann von Pückler ist bekannt für seine klassisch-romantischen Parks. Er war fasziniert von Flächen, die er gestalten konnte. Würde er heute leben, hätte er viel zum Austoben – gerade in der Lausitz. Die Braunkohle-Industrie hat hier großräumige, rohe Folgelandschaften hinterlassen. Die kann man technisch perfekt, aber eben auch langweilig rekultivieren – oder gestalterisch anspruchsvoll als einzigartigen Erlebnisraum für den Menschen. Was für eine schöne Vision, die direkt bei Pückler, dem großen Erdenbändiger, anknüpft. Von ihm können wir viel lernen, natürlich nicht in Form der direkten Übertragung seiner Entwürfe, wohl aber seiner Prinzipien.
In 30 Jahren Rekultivierung ist viel Erde bewegt worden. Aus Löchern wurden Seen. Kippen wurden modelliert. Ehemalige Mondlandschaften erwachten dank international bewundertem, ingenieurtechnischen Know-how wieder zum Leben. Gleichzeitig erleben wir, wie die Magistralen der Infrastruktur prärogativ die Landschaftsräume zerschneiden. Es geht darum, auf schnellstem Wege von A nach B zu kommen, aber eben nicht darum, wie es sich zwischen A und B lebt.
Das ist alles nachvollziehbar, schafft aber keine Lebensqualität, die es vermag, im Zeichen des Strukturwandels die so dringend benötigten Menschen von außen für die Lausitz zu begeistern. Funktionalität wird vorausgesetzt, schafft aber keine Sehnsuchtsorte. Eine auf die menschlichen Sinne hin geordnete, vielfältige und schöne Landschaft hat für die meisten von uns einen hohen Stellenwert, häufig durchaus unbewusst.
Erfüllende Natureindrücke in Zivilisationsnähe
Diesen Attraktivitätsbonus sollten wir nicht vergessen, wenn wir Verkehrswege planen, Ufer anlegen und Seen zur Nutzung freigeben. Die Lausitz bietet Naturerlebnis in direkter Nähe zu Städten und Dörfern, zu Industriebetrieben und Forschungseinrichtungen. Warum machen wir nicht mehr daraus? Wieso bauen wir 40 Tagebauseen, die sich alle in ihrer Anmutung ähneln? Pückler würde sagen: „Bedenkt den menschlichen Maßstab, schafft keine endlos monotonen Weiten, konstituiert mit Bäumen, mit Buchten Teilräume, deren Proportionen den Menschen schmeicheln.“ Hier ein Hain, weiter vorn eine Baumgruppe und geschickt exponiert dort der Applaus einfordernde Einzelbaum. Und für die fließenden Gewässer: Hier ein zerklüftetes Prallufer für den Eisvogel, dort ein elegantes Gleitufer, expressiv züngelnde Uferlinien und feingliedrige Inselchen, die eben nicht, wie der Grüne Fürst schreibt, das Aussehen von schwimmenden Suppenklößen haben sollten.
Es wird schwärmerisch, daher stoppe ich auch sogleich, will aber betonen, dass es darum geht, dem Menschen (wohlgemerkt immer in der Nähe wohlbehüteter Zivilisation) zeitlos erfüllende Natureindrücke zu ermöglichen, die ihn erden, das Bewusstsein für die Conditio humana schärfen. Das bekannte Waldbaden geht schon in diese Richtung, Landschaftsmeditation steigert das Ganze noch einmal auf schönste Weise.
Mut haben, um Idyllen zu brechen
Vielleicht sollte versucht werden, mehr Pückler in die Industrielandschaft zu implantieren. Pückler hat bei seiner Gestaltung von Landschaften noch keine sektoralen Trennlinien gezogen zwischen Arbeit und Erholung, zwischen Produktion und Park. Für ihn gehörte alles zusammen unter der Prämisse holistischer Ästhetik. Wie weit damals diese Gedanken gingen, zeigt ein Parkbeispiel seines großen Konkurrenten Joseph Peter Lenné. In Brühl integrierte er die Eisenbahn bewusst als Zeichen des Fortschritts in den Landschaftsgarten. Das hat die Idylle zwar gebrochen, aber auch lebensnah gemacht. Wir haben spannende Bilder im Fundus der „Stiftung Fürst-Pückler-Park Bad Muskau“, die belegen, wie Schornsteine und Fabriken in die authentische Landschaft eingebettet wurden.
Dieser ganzheitliche Ansatz ist uns verloren gegangen. Warum, ist nicht ganz einzusehen. Wir denken heute partout und à priori sektoral. Hier sind Wohngebiete, dort Gewerbe, da drüben die laute Umgehungsstraße. Wir sehen heute Windräder und Solarparks als Zumutung der Moderne, haben uns aber daran gewöhnt, dass Autobahnen Schneisen in die Landschaft schlagen, wenn die Autos nur weit genug am eigenen Bett vorbei rauschen. Das gilt nicht nur für Autobahnen, auch die Bahnschneise zwischen Knappenrode und Horka ist Teil eines transnationalen Verkehrskorridors, der – bitte nicht falsch verstehen – volkswirtschaftlich natürlich Sinn macht, aber Dörfer, Wälder, Wiesen emotionslos zerschneidet und die anthropogenen Sehnsüchte vom Landleben konterkariert.

Autobahnen machen Landschaft zur Transitzone
Auf diese Weise wird der Zuzug in die sich leerende, ländliche Lausitz nur schwerlich gelingen. Leider hat sich – wirtschaftlich wiederum nachvollziehbar – Schnelligkeit als Wert an sich etabliert. Die Autobahn, die direkte Verbindung zu den großen Zentren schafft, ist zum unverzichtbaren Bestandteil im ländlichen Raum und zum Symbol positiver Entwicklung geworden. Es scheint, als wäre eine Region nur lebenswert, wenn man schnell genug wieder weg kommt.
Autobahnen degradieren Landschaften zu transitorischen Zonen, Übergangs- und Durchfahrarealen – die entzückende Fluren links und rechts sind Staffage. Bei Infrastruktur, die als unverzichtbar angesehen wird für die ländliche Entwicklung, denkt keiner: Schönheit, Landschaft und Lebensqualität. Solche Sehnsüchte erschöpfen sich in dekorativen Elementen wie hausgärtnerischen Natursuggeraten oder Baggerseeidyllen.
Oder sie werden gleich in den Urlaub verschoben. Diese Denkweise hat in Deutschland Tradition, seit im Sommer die ersten Staus auf den Autobahnen nach Süden entstanden. Menschen arbeiten, verdrängen im Alltag die Landschaftsästhetik ihres Umfeldes, um dann im Urlaub dieses Defizit in der Toskana kompakt zu kompensieren. Diese Denke hat sich überholt. In Zeiten, wo Regionen um Zuzügler konkurrieren und die Arbeit mobil geworden ist, wird die authentische Schönheit einer Gegend zum Unique Selling Point, der Perspektiven schafft.
Seele streicheln ohne Safari
Die Lausitz ist immer eine arme Gegend gewesen. Erstaunlicherweise sind aus dem Mangel Kulturlandschaften hervorgegangen, die wir heute als touristische Magneten vermarkten. Das Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft entstand, weil in der Not Spreewasser aufgestaut wurde, um Fischzucht zu betreiben. Die Gegend um Weißwasser ist zur größten Produktionsstätte für Rohglas avanciert, weil ein großer Gletscher die benötigten Rohstoffschichten so schön abbaufreudig an der Erdoberfläche feilbot und damit eine Industrialisierung ermöglichte. Eine ökonomische, unternehmerische Leistung, auf die man schon im 19. Jahrhundert stolz war. Und der Energiebezirk Lausitz verdankt seine industrielle Potenz den mächtigen Kohlenflözen, die vor Millionen von Jahren aus dem Sumpf entstanden.
Die Prosperität der Lausitz basiert auf den standortgebundenen Rohstoffen. Deren Abbau hatte stets Vorrang vor dem Erhalt intakter Landschaften. Die Kopplung des Wohlstands an die Rohstoffe unter den Füßen gelangt mit dem Kohleausstieg an ein Ende. Die Wissenschafts- und Industrieeinrichtungen der Zukunft werden florieren können ohne großflächige Inanspruchnahme von Landschaft. Somit ist der Zeitpunkt gekommen, konsequenter auf die Vielfalt und Schönheit der Lausitzer Landschaften, mit den bekannten UNESCO-Stätten vorneweg, zu setzen und mit ihnen als Chiffren hoher Lebensqualität Menschen für die Region zu begeistern.
Die Lausitz bietet die Möglichkeit, in die Landschaft einzutauchen und zu verweilen, um die Seele zu streicheln. Das kann man hier genießen, ohne eine Safari buchen zu müssen. Das hat schon Hermann von Pückler hellsichtig erkannt und mit seinen „Andeutungen über Landschaftgärtnerei“ einen Bestseller verfasst, der international inspirierte, sich dem Thema Landschaftsästhetik zu verschreiben. Sogar die „Big Five“ Afrikas lassen sich auf die Lausitzsafari übertragen. Bei uns heißen sie nicht Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard. Wir haben Seeadler, Kranich, Wolf, Biber und Fischotter.

Cord Panning, Jahrgang 1960, leitet seit 1997 die Stiftung „Fürst-Pückler-Park Bad Muskau“. Der gelernte Gärtner hat Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung an der TU Hannover studiert. Ab 1992 leitete er die Herrenhäuser Gärten in Hannover, bevor er nach Muskau wechselte. Panning sitzt im Aufsichtsrat der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen.
Dies ist ein Beitrag aus dem Neue Lausitz Briefing vom 31. Mai 2023.