Die Wechselwirkungen von Förderung und Wirtschaftswachstum kennt Reint E. Gropp aus vielen Regionen. Milliardensubventionen wie für Intel oder TSMC hält der Ökonom für verfehlt. Er würde mit dem vielen Geld etwas anderes machen.
Herr Gropp, Intel kommt nach Magdeburg, TSMC nach Dresden. Ist das ein neuer Industrieboom im Osten?
Wir in Ostdeutschland sollten vermeiden, die Schlachten von gestern schlagen zu wollen. Also mit hohen Subventionen Industrieansiedlungen zu holen, um Arbeitsplätze zu schaffen. Das war ein nachvollziehbares Ziel, nach der Wiedervereinigung, weil die Arbeitslosigkeit sehr hoch war. Heute sind die Bedingungen ganz anders, da erfüllen solche Ansiedlungen nicht mehr den gewünschten Zweck. Sie machen die Probleme am Ende größer.
Intel bekommt zehn Milliarden an Subventionen, TSMC bekommt fünf Milliarden. Wie gut ist dieses Geld angelegt?
Ich würde etwas anderes mit diesem Geld machen, wenn es der Stärkung der regionalen Wirtschaft dienen soll. In den 1990er Jahren hat diese Subventionspolitik Sinn ergeben, denn da gab es hier 25 Prozent Arbeitslosigkeit. Große Ansiedlungen haben mehr Leute in Lohn und Brot gebracht, als ansonsten der Fall gewesen wäre. So wurde aber auch der Produktivitätsunterschied zwischen Ost und West zementiert.
Wie meinen Sie das?
Wenn der Staat eine Firma subventioniert, damit sie mehr Arbeitnehmer einstellt als sie eigentlich bräuchte, dann ist jeder dieser Arbeitnehmer statistisch weniger produktiv. Das ergab Sinn, als die Arbeitslosigkeit in Osten extrem hoch war, erklärt aber auch zumindest zum Teil den Produktivitätsunterschied zwischen ostdeutschen und westdeutschen Unternehmen. Heute haben wir das gegenteilige Problem. Die existerenden Firmen können ihre Stellen nicht füllen. Subventionen wie bei Intel oder TSMC verstärken diesen Effekt noch. Man sollte solche Subventionen aus Sicht das Arbeitsmarkts also lieber lassen.
Warum tut sich Politik so schwer damit?
Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass der Staat ein sehr langsamer Spieler ist. Die Ansiedlung von Intel in Magdeburg wurde zehn Jahre lang verhandelt. Was man jetzt sieht, ist Ergebnis von langer Vorbereitung. Übrigens sehen wir auch, dass man lieber neue Gründe für die alte Politik heranfährt, als neue Politik zu machen: Früher war die Rechtfertigung dafür, dass man Milliarden Subventionen für eine Ansiedlung zahlt, dass Jobs entstehen. Heute geht es um den geostrategischen Wert von Industrien. Chips sollen in Europa hergestellt werden, bei Elektroautos soll die ganze Wertschöpfungskette hier genutzt werden.
Regionen stehen auch in einem verschärften Wettbewerb. Da spielt es schon eine Rolle, ob zehn Milliarden nach Magdeburg kommen oder nach Marburg.
Wäre ich Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, wäre ich auch stolz und froh über so eine Ansiedlung. Politik hat immer Zeitdruck. Man hat vier oder fünf Jahre, um zu zeigen, dass man erfolgreiche Politik macht und sein Land voranbringt. Mit großen Ansiedlungen kommt man ins Fernsehen. Wenn Elon Musk in Brandenburg eine Gigafabrik aufmacht, kommt das in die Hauptnachrichten und der Ministerpräsident steht dabei. Wenn ich aber zehn Millionen auf 100 Forschungsprojekte verteile, interessiert das viel weniger, obwohl es langfristig mehr Wirkung zeigt. Es ist in gewisserweise eine Medienlogik, die hier bestimmt, welche Politik gemacht wird.
Welche Region in Ostdeutschland hat die besten Karten im Spiel um die großen Investments?
Brandenburg hat einen unschlagbaren Vorteil mit der Nähe zu Berlin. Sachsen-Anhalt hat keinen eigenen Ballungsraum. Halle ergibt zwar mit Leipzig zusammen den zweiten großen Ballungsraum in Ostdeutschland. Aber der nutzt sein Potenzial nicht, weil einer Ländergrenze dazwischen liegt und die Interessen auf beiden Seiten unterschiedlich sind. Dieses Problem kennt die Lausitz auch.
Kann man überhaupt nachprüfen, was solche Investitionen wirklich einbringen?
Das ist schwierig. Wenn in Cottbus in fünf Jahren Verwerfungen am Arbeitsmarkt entstehen, kann das viele Gründe haben. Ob wirklich das Bahnwerk Schuld ist, das dort hochgezogen wurde, lässt sich kaum zurückverfolgen.
Kann man einen Strukturwandel in den Kohlerevieren schaffen, indem man neue Industrien holt?
Ich bezweifle das. Es ist einfach so, dass die Industrie, wie man schon in den vergangenen Jahren beobachten konnte, langfristig weiter schrumpfen wird. Die Forschung zeigt, dass sich dieser Trend mit Subventionen nicht umkehren lässt. Der Anteil von Industrie am Bruttosozialprodukt liegt noch bei 20 Prozent und wird weiter abnehmen. Deutschland ist nicht wettbewerbsfähig in der reinen Massenproduktion. Wir haben in der Vergangenheit auch gesehen, dass Fabriken eben nur Produktionsstätten sind. Ostdeutschland ist immer noch weitgehend die verlängerte Werkbank. Es gibt Fabriken, aber hier werden nicht die strategischen Entscheidungen getroffen, was wo passiert. Forschung und Entwicklung findet an den Hauptsitzen der Konzerne statt. Wenn es Schließungen gibt, dann eher nicht das Stammwerk, sondern die Dependance. Wir haben das gesehen, als es um die Solarbranche in Bitterfeld ging. Davon ist praktisch nichts übrig geblieben.
Was also tun?
Wir sollten uns auf unsere Stärken besinnen. Das sind Forschung und Bildung, die müssen konsequent aufgebaut werden. Nichts sonst macht Deutschland auf Dauer wettbewerbsfähig. Das betrifft in erster Linie die Hochschulen, aber es zieht sich durch das ganz Bildungssystem, siehe die hohe Schulabbrecherquote. Selbst die am besten finanzierten Universitäten in Deutschland haben deutlich weniger Geld zur Verfügung, im Vergleich zu den großen, staatlich finanzierten Unis in den USA.
Der Strukturwandel setzt auf eine Vielzahl neuer Forschungsinstitute.
Ich bin nicht unbedingt der Meinung, dass wir neue Forschungseinrichtungen auf der grünen Wiese bauen sollten. Das dauert länger und ist mühsamer, als wenn man bestehende universitäre Forschungen ausbaut. Es ist auch nicht unbedingt sinnvoller. Man verschenkt existierende Expertise, wenn man nicht auf dem aufbaut, was schon da ist.
Reint E. Gropp, Jahrgang 1966, ist Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Gropp hat in Freiberg und Madison/Wisconsin, studiert und 1994 in Economics promoviert. Er war Professor in Frankfurt/Main und in verschiedenen Positionen für den Internationalen Währungsfonds und die Europäische Zentralbank tätig.
Mit Reint E. Gropp sprach Christine Keilholz
Dies ist ein Beitrag aus dem Neue Lausitz Briefing vom 7. November 2023.

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