Die Cottbuser KI-Studiengänge ziehen Hunderte Studis in die Lausitz. Und versprechen einen Wissenstransfer vom Forschungscluster bis zum Kleinunternehmer.
von Christian Füller
Wenn in der Lausitz von Clustern gesprochen wird, dann ist das meistens ein wolkiges Zukunftsversprechen. Die Cluster, also die Knubbel von Forschung, Lehre und praktischer Anwendung, lassen angeblich Hightech-Landschaften blühen. Wenn allerdings die Lausitzer KI-Forscher von Cluster sprechen, dann ist das sehr real – mit guten Aussichten auch für Kleinunternehmer. Daten muss künftig jeder intelligent verarbeiten, von der Lehrerin bis zum Chef, vom Tante-Emma-Laden bis zum multinationalen Konzern. Mit vier KI-Studiengängen und einem neuen KI-Labor beginnt diese Zukunft jetzt an der BTU.
Zwei der Programme greifen bereits im Bachelor das Thema Künstliche Intelligenz auf – das ist außergewöhnlich. Bisher findet KI in Deutschland vor allem in Masterstudiengängen statt. Im Cottbuser Bachelor-KI übersetzen die Studierenden mit ihren Profs einzelne Aufgaben in mathematische und algorithmische Modelle. Bei KI-Technologie geht es darum, komplexe hard- und softwarebasierte Systeme der Künstlichen Intelligenz zu verstehen. „Wir wollen junge Leute ausbilden, die die nächste Generation von Künstlicher Intelligenz entwerfen können“, sagt Douglas Cunningham, der einer der Erfinder des KI-Booms in Cottbus ist. Die beiden anderen Studiengänge führen zum Master. Der eine von beiden ist ein englischsprachiges Programm – das binnen drei Semestern rund 400 Studierende an die BTU geholt hat.
„Wir reagieren mit den KI-Studiengängen auf die Tatsache, dass bereits jetzt jeder mit Künstlicher Intelligenz zu tun hat“, sagt Professor Michael Breuß, der andere Vater der neuen Studienprogramme. „Wir brauchen Fachkräfte auf allen Ebenen, die die Bedeutung von Daten kennen und ihre Analyse selbst vornehmen können. ChatGPT und andere große Sprachmodelle werden diesen Bedarf sicher nicht verkleinern.“
Hochbegabte aus aller Welt kommen
Ein Forschungscluster bestand bereits mit dem „Lausitz-Zentrum für Künstliche Intelligenz“ (LZKI). Nun haben die 30 Professoren und Professorinnen das Quartett von Studiengängen dazu gestellt, das ihnen den Nachwuchs sichert – und eines der zentralen Entwicklungspotenziale für die Transformation in der Lausitz sein kann. Für den Studiengang Artificial Intelligence gibt es eine gigantische Nachfrage aus aller Welt. Und noch ein Zukunftsversprechen geben die Professoren ab: in ihrem Lehrlabor, dessen Grundstein in zwei Räumen der Uni gelegt ist, wollen sie Künstliche Intelligenz anfassbar machen.
Streng genommen geht das nicht, weil man Algorithmen nicht berühren kann. Aber es stimmt trotzdem, was Breuß sagt. Im Lehrlabor wird verständlich, wie die vielen Daten, die jeder produziert, mit einem Mechanismus der Ordnung und des Erkenntnisgewinns versehen werden (kurz dem Algorithmus). Eine Lehrkraft weiß künftig sehr genau, wo welcher Schüler steht – und was er als Nächstes für die Entwicklung seiner Talente braucht. Ein Kleinunternehmer wird bald nicht mehr monatlich Einnahmen und Ausgaben zusammenschreiben. Die KI wird seine Daten sammeln, ihm Auswertungen generieren sowie Steuerberater und Finanzamt mit Bilanzen versorgen.
Die Cottbusser KI-Forscher scheuen das Wort ChatGPT. Denn sie haben ihre Studiengänge bereits entwickelt und durch die Gremien der Universität gebracht, bevor der große Hype um die großen Sprachmodelle entstanden ist. Im Wintersemester 2022 begannen die vier Studiengänge für Künstliche Intelligenz und KI-Technologie – und die Nachfrage macht einen stutzig. Allein für den englischsprachigen Studiengang Artificial Intelligence ist das passiert, was in den großen Reden der Wirtschaftsbosse und der Politik immer so unwirklich bleibt. Dass sich Hochbegabte aus aller Welt in der vermeintlich ungastlichen Lausitz bewerben.
Studiengänge strategisch wichtig für die Lausitz
Etwa 1.000 Kandidaten wollten allein im Wintersemester 2023 in Cottbus ein Studium der Artificial Intelligence beginnen – auf Englisch. 160 junge Leute wurden ausgewählt, darunter zehn Deutsche, die seit Mitte Oktober alles lernen, um Künstliche Intelligenz zu beherrschen. Und sich nicht beherrschen zu lassen. Die deutschsprachigen Studiengänge sind nicht ganz so stürmisch angelaufen. Entscheidend ist aber die internationale Magnetwirkung. „Ich habe den Eindruck, dass die Mehrheit der KI-Studierenden hierbleiben will“, sagt Cunningham. Der US-Amerikaner hat das an sich selbst erlebt. Vor 25 Jahren kam er ans Tübinger Max-Planck Institut für biologische Kybernetik und nennt sich inzwischen einen echten Cottbuser. Deswegen meint er mit „Hier bleiben“ auch Deutschland und die Lausitz.
Warum sind die Studiengänge für das Lausitz-Zentrum Künstliche Intelligenz (LZKI) so wichtig? Die Studierenden werden ganz früh an die Forschung herangeführt. „Wir können mit diesen Studierenden viel schneller in die Tiefe der KI gehen“, sagt Cunningham. Davon profitieren die Professoren der Lausitzer KI-Bubble. Sie können Hilfswissenschaftler, wissenschaftliche Hilfskräfte und Doktoranden gewinnen. „Für uns Professoren sind die KI-Studiengänge schon jetzt ein großer Gewinn“, ergänzt der Mitgründer und Sprecher des LZKI, Breuß. „Wir sehen im Studium ein erhöhtes Potenzial an jungen Leuten, die auch in der Forschung mithelfen können.“
KI als Heatmap des Mittelstands
Wer wissen will, was KI eigentlich mit dem Alltag von Bürgern und Betrieben in der Lausitz zu tun hat, muss Svetlana Meissner fragen. Sie ist am Zentrum für Künstliche Intelligenz für das zuständig, was KI so besonders macht: sie ist KI-Trainerin. Das heißt, sie übt die Programme mithilfe von Daten auf die spezifischen Aufgaben ein, die sie erledigen sollen. Als Meissner jüngst gefragt wurde, woher die Unternehmer die ganzen Daten denn hernehmen sollen, reagiert sie überrascht. „So groß ist die Aufgabe gar nicht“, sagte Meissner. „Jede noch so kleine Firma hat Daten: Rechnungen, Excel-Dateien, Mails, PDFs. Mit Cloud-Lösungen können sie einfach abgelegt und sortiert werden.“
Meissner ist als Person das, was der Cluster strukturell werden soll. Sie trainiert, erstens, am LZKI die Algorithmen mithilfe der vielen Daten. Sie übersetzt, zweitens, als Beraterin kleinen und mittleren Unternehmen, wie ihnen die KI konkret nutzen kann. Und sie vermittelt dabei, drittens, Studierende direkt in die Betriebe – um in kleinen Forschungsarbeiten am konkreten Beispiel zu untersuchen, wie eine KI für den Mittelständler zu einer Heatmap für seine Geschäfte werden kann. Auf wen zielt mein Marketing? Wie kann ein Chatbot dem Kunden im Dialog mein Angebot erklären?
Und wie steht es mit den Folgen etwa von ChatGPT auf die KI-Studiengänge selbst? Das Sprachmodell nimmt den KI-Studierenden vielerlei Programmieraufgaben ab. Das Studium nach ChatGPT ist ein anderes als vor der KI mit ChatBot. „Wir haben für unsere Studierenden noch keine verbindlichen Regeln aufgestellt, wie man mit dem großen Sprachmodell umgehen soll bei Haus- oder Bachelorarbeiten“, sagt Peer Schmidt, BTU-Vizepräsident für Forschung und Lehre. Aber die Verwendung müsse kenntlich gemacht werden, stellt der Vize-Präsident klar.
Dies ist ein Beitrag aus dem Neue Lausitz Briefing vom 14. November 2023.

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