In Sachsens Revier-Kommunen regt sich Unmut gegen die Strukturwandel-Bürokratie des Freistaats. Denn die hat offenbar das Fördergeld bis zum Jahr 2026 bereits verplant. Bürgermeister müssen nun ihre Projekte neu berechnen.
Von Christine Keilholz
Bürgermeister Ralf Brehmer träumte davon, dass ihm der Strukturwandel endlich ein ansehnliches Gewerbegebiet bringen würde. Dieser Traum starb vor drei Wochen. Da fiel eine E-Mail in sein Fach, geschickt von der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung (SAS). Darin stand eine Zahl, die seitdem die sächsischen Kohle-Gemeinden in Wallung bringt: 2026. Bis zu diesem Jahr, teilte die Agentur mit, sei das Geld aus dem Strukturwandel mehr oder weniger verplant.
Brehmer nimmt es einigermaßen locker. In zwölf Jahren als Bürgermeister der Gemeinde Rietschen im Kreis Görlitz sind viele Förderaufrufe über seinen Tisch geflattert. Er weiß, dass immer ein neuer kommt. Aber brummig ist der 54-jährige Verwaltungs-Fachwirt schon angesichts solcher Neuigkeiten: „Wer will denn jetzt noch einreichen?“ Praktisch jede Stadt und jede Gemeinde in Ostsachsen habe an Projekten gearbeitet. Überdies ist der Strukturwandel nicht irgendein Förderding. Es ist das große Zukunftsprojekt der Lausitz, das neue Wirtschaft, hoffnungsvolle Technologien und schöne Ortschaften bringen soll. „Und jetzt ist das Geld nicht da. Das ist eine niederschmetternde Nachricht.“
Eine knappe Milliarde verfrühstückt
Für die SAS und ihren Dienstherrn, Regionalentwicklungs-Minister Thomas Schmidt (CDU), ist der Schaden immens. Die Gemeindeverwaltungen sind sauer. Die vielen Projekt-Initiativen sind enttäuscht. Und überall macht das Wort „Anmeldestopp“ die Runde. Erst erhitzte die Jahreszahl 2038 die Gemüter in den Revieren – der Kohleausstieg. Dann 2030, der frühere Kohleausstieg. Und jetzt 2026, das Ende der ersten Förderperiode, das de facto erreicht ist. Eine knappe Milliarde an Mitteln für die Kommunen sind demnach bereits gebunden – verfrühstückt vom Regionalen Begleitausschuss, dessen Tun die kommunale Ebene ohnehin aufregt. Damit könnte die sächsische Strukturwandel-Bürokratie für die nächsten vier Jahre ihre Arbeit einstellen. Die Linken im Landtag sagen: „Davor hatten wir gewarnt.“ Und jetzt muss der Wandel noch schneller gehen, wenn die Bundesregierung bis 2030 aus der Kohle aussteigen will.

Bürgermeister Brehmers Gewerbegebiet hätte so schön werden können. 55 Hektar Acker hat er dafür vorgesehen. Eine Wertsteigerung von 40 Cent pro Quadratmeter auf zehn Euro – vorausgesetzt, er findet einen Investor. Brehmer hat sogar Google angeschrieben, ob die bei ihm ein Rechenzentrum aufmachen wollen. Der Traum eines jeden Bürgermeisters wäre das gewesen: Ein paar Dutzend Nerds, die geräuschlos vor sich hin programmieren. Kein zusätzlicher Verkehr auf der Dorfstraße. Gewerbesteuer wäre geflossen. Und wenn das mit dem ICE-Halt in Weißwasser tatsächlich etwas würde, dann kämen die Google-Leute auch noch schnell zum Zug. Doch nun muss die 2500-Einwohner-Gemeinde Rietschen ihren Aufstieg in die Hochtechnologie neu kalkulieren.
Nackenschlag für die Projektträger
Fahrende Züge und aufragende Neubauten, so sollte der Strukturwandel eigentlich laufen. Aber auf dem langen Weg dahin gilt es, die Langweiligkeit eines Prozesses zu durchleiden, der drei Ebenen von Staat – Bund, Land und Kommune – in Einklang bringen muss, sich dabei aber fest vorgenommen hat, die Menschen vor Ort mitzunehmen. Indes reicht eine Vokabel wie „Regionaler Begleitausschuss“, um Menschen zu vertreiben. Im Bemühen, den kommunikativen Schaden zu begrenzen, erklärte Sachsens Lausitz-Beauftragter, Jörg Huntemann, jüngst in einem Interview nochmals ausführlich, was es mit dieser Institution auf sich hat: „Der Regionale Begleitausschuss setzt sich aus stimmberechtigten Mitgliedern der Kommunen und des Regionalministeriums sowie beratenden Mitgliedern der Wirtschafts- und Sozialpartner bzw. der Zivilgesellschaft zusammen“, so Huntemann. „Dort wird entschieden, ob das Projekt förderwürdig im Sinne eines nachhaltigen Strukturwandels ist.“ Einfacher gesagt: Der Ausschuss ist der Kessel, in dem alles kocht. Aber offenbar nach Menüplan aus Dresden, diese Überzeugung macht sich längst in den Gemeindeämtern breit.

Das Verfahren sei eben „sehr komplex“, sagt Sven Mimus, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Niederschlesische Oberlausitz (Eno). „Es wurde ein Konstrukt gebaut, das schwierig zu durchblicken ist.“ Die Nachricht von einem möglichen Anmeldestopp wirke da, gelinde gesagt, kontraproduktiv. Mimus, 41, ist der Mann, der im Kreis Görlitz die Strukturwandel-Träume von Bürgermeistern und kleinen Projektträgern zu Plänen formt. Eigentlich könnte er froh sein. Nach einer Anfangsphase voller Anträge für neue Gemeindehaus-Dachrinnen und Kita-Waschbecken, kommen nun endlich Projekte rein, die das Zeug haben, Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft zu bringen. Aber jetzt kämen auch Nackenschläge, sagt Mimus. Nachrichten über einen früheren Kohleausstieg und die Ansage über verplantes Geld – „das ergibt in der Summe einen Cocktail, der es schwieriger macht, die Leute zu motivieren.“
SAS rudert zurück
Wie viel Geld nun wirklich noch zu haben ist, weiß keiner so recht. Für Klarheit konnte weder eine Anhörung im Landtag noch eine weitere E-Mail aus der Agentur für Strukturentwicklung sorgen. Dieses Schriftstück, verschickt in der vergangenen Woche an die Bürgermeister, enthält unter dem Titel „weiterführende Informationen“ ein bemerkenswertes Zurückrudern. Darin zeigt sich die Lausitzer Bereichsleiterin, Romy Reinisch, zerknirscht darüber, gänzlich falsch verstanden worden zu sein. Von einem Antragsstopp könne keine Rede sein. „Im Gegenteil.“ Vielmehr schaffe man „mit der Möglichkeit der Einreichung von Vorratsprojekten“ die Voraussetzungen für die „vollständige Mittelbindung und den fristgerechten Mittelabfluss“.

Stephan Meyer, CDU-Landratskandidat in Görlitz, versteht nach Rücksprache mit SAS und Regionalministerium die Sache so: „Die Mittel und die Projekte sind ja beschlossen. Jetzt geht es darum, in welchen Jahresscheiben das Geld ausgezahlt wird.“ So oder so habe die Agentur „eine sehr unglückliche Formulierung gefunden“, sagte Meyer der Neuen Lausitz. Rietschens Bürgermeister lässt sich davon nicht beirren. Ralf Brehmer will sein Gewerbegebiet auf jeden Fall weiter entwickeln. „Notfalls mit Fördermitteln, die nicht aus dem Strukturtopf kommen.“ Google hat ihm inzwischen abgesagt. Aber immerhin haben sie geschrieben.