Europa braucht ein gigantisches Gravitationsteleskop, um ferne Sterne zu erforschen. Dank Strukturwandel kann es in die Lausitz kommen – aber die Fördermillionen sind nicht der einzige Standortvorteil.
Von Christine Keilholz
Günther Hasinger will von der Lausitz ins Universum. Oder besser: vom Universum in die Lausitz. Noch arbeitet der renommierte Astrophysiker aus Oberbayern als Forschungsdirektor der European Space Agency (ESA) in Madrid. Aber bald will er in der Lausitz den Traum eines Wissenschaftlers wahr machen. In Ostsachsen will Hasinger einen neuen Wissenschaftszweig etablieren – und dafür einen eigenen Wissenschaftsbetrieb aufbauen, der das Bild einer ganze Region prägen soll. Sein Konzept für ein Deutsches Zentrum für Astrophysik ist im Rennen um das Großforschungszentrum, das in der Oberlausitz entstehen soll. „So eine Chance bekommt man nur einmal in einem Forscherleben“, sagte der 67-jährige Hasinger der Neuen Lausitz. Ihm gehe es nicht nur um die Wissenschaft, sondern um ein zukunftsfähiges Konzept, das der Lausitz zugute kommen soll. „Wenn es klappt, dann haben wir einen Leuchtturm in ganz Europa.“
Ein solcher Leuchtturm wird gebraucht. Das Großforschungszentrum ist eines der Kernvorhaben des Strukturwandels in der Lausitz. Mit 1800 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von 170 Millionen Euro – doppelt so viel wie das der TU Dresden – wird es eine der größten Wissenseinrichtungen Deutschlands sein. Zusammen mit dem gleich großen Zentrum, das im mitteldeutschen Revier entstehen soll. Noch ist völlig offen, wo genau diese beiden gigantischen Forschungsfabriken stehen sollen. Denn bewerben konnten sich nicht Städte dafür, sondern nur Wissenschaftler mit ihren Forschungsideen. Von den sechs Finalisten werden im Herbst zwei Siegerprojekte ausgewählt. Eines davon soll in der Lausitz realisiert werden.
Einzigartiger Granit und einzigartige Förderkulisse
Hasingers Astrophysik-Zentrum hat das Zeug, gleich mehrere europäische Wissenschaftsprobleme zu lösen: Erstens braucht die Astronomie weltweit immer größere Teleskope, deren Datenmengen gebündelt und verarbeitet werden müssen. Zweitens brauchen diese Teleskope ein Technologiezentrum, wo etwa Regelungstechniken für Observatorien entwickelt werden. Drittens wird der passende Platz für ein Gravitationsteleskop gesucht, das die ESA bauen will. Viertens wäre die Lösung von alledem: die Lausitz.
Das liegt an einem Bodenschatz, der bisher in der Lausitzer Industrie noch keine Rolle gespielt hat: Granit. Die Lausitz sitzt auf einem gigantischen Granitstock, der sich auf 150 Kilometern von Dresden bis nach Tschechien zieht. Normalerweise liegen solche Vorkommen zwölf Kilometer unter der Erdoberfläche. Aber dieser hier wurde dank tektonischer Bewegungen um zehn Kilometer angehoben. Dieser Monolith, ist am stärksten zwischen Hoyerswerda, Bautzen und Kamenz – und macht die Lausitz für die ESA überhaupt erst interessant. Er bildet das perfekte Fundament, um darauf ein Riesenteleskop aufzustellen, das ruhig genug steht, um ferne Sterne exakt auszumessen. Für diesen Giganten kommen nur drei Standorte in Europa in Frage. Einer auf der Mittelmeer-Insel Sardinien, ein zweiter in den Niederlanden nahe Maastricht. Der dritte ist die Lausitz, wo genau jetzt der Bund die Mittel bereitstellt, um Forschung in großem Stil zu installieren. Die Braunkohle geht, der Granit kommt. Da passt vieles auf wundersame Weise zusammen.
Wie das Atom-Ei in Bayern
Das Deutsche Zentrum für Astrophysik ist prominent besetzt. Neben Hasinger firmieren als Antragsteller Michael Kramer, Max-Planck-Direktor und Präsident der Astronomischen Gesellschaft, nebst Christian Stegmann, dem Direktor für Astroteilchenphysik am Deutschen Elektronen-Synchroton (Desy) in Zeuthen. Daneben sind Matthias Steinmetz vom Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam (AIP) und Wolfgang E. Nagel von der TU Dresden dabei. „Ein Großteil der deutschen Astrophysik steht hinter mir“, sagt Günther Hasinger. Überdies sind als sächsische Partner-Institute das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) und das Casus-Zentrum Görlitz an Bord – die bringen den Super-Computer mit, um die Teleskopdaten zu verarbeiten. Womit aber ausdrücklich noch keine Standortaussage getroffen sein soll, betont der ESA-Professor, obwohl „Görlitz in der Mitte Europas sehr günstig“ gelegen sei.

Eine Chance wie das Großforschungszentrum in der Lausitz kommt nur einmal im Leben eines Wissenschaftlers, sagt ESA-Astrophysiker Günther Hasinger. Der gebürtige Bayer ist zuversichtlich: „Ein Großteil der deutschen Astrophysik steht hinter mir.“ Foto: ESA
Gleichwohl ist der Standort wichtig für den Erfolg eines solchen Unternehmens. Als Bayer weiß Hasinger, was gut platzierte Wissenschaft aus strukturschwachen Regionen machen kann. In Bayern schuf der Strukturwandel in den 1950er Jahren das „Atom-Ei“, den ersten Forschungsreaktor Deutschlands, auf einer grünen Wiese bei Garching. Der Reaktor ist seit fast einem Vierteljahrhundert abgeschaltet – aber er schärfte das Image des Großraums München als Region, die sich in der Forschung etwas traut. Das will Sachsen auch. Hasinger ist überzeugt, dass seine Forschung in der Lausitz heimisch werden kann. „Wir haben die Attraktion, dass wir ein Tunnelsystem bauen wollen, das dockt an die Bergbautradition an“, sagt der Astrophysiker. „Da kann der Baggerfahrer die Arbeiten machen und seine Tochter die Daten auswerten.“ Sogar Ausbildungsplätze sollen am Astrophysik-Zentrum entstehen.
Nachdem im vergangenen Sommer die erste Runde im Auswahlprozess gemacht wurde, wobei das Zentrum für Astrophysik sich mit fünf weiteren Finalisten gegen etwa 90 weitere Projekte durchsetzte, laufen nun schon erste Erdarbeiten. Ob der Lausitzer Granit sich besser eignet als der sardinische und wallonische, muss erst noch geprüft werden. Dafür bohrt Hasingers Team bis Ende Februar ein Probeloch in Cunnewitz in der Gemeinde Ralbitz-Rosenthal. Die ersten Baustellen sind also bereits da. Das ausgefeilte Konzept muss Hasinger bis Ende April einreichen. Bis zum Herbst ist alles noch offen.