Bergbau-Professor Drebenstedt will das Großforschungszentrum

24. Februar 2022

Der Freiberger Forscher Carsten Drebenstedt will in Ostsachsen ein deutsches Los Alamos bauen. Sein Konzept für ein Mond-Testzentrum ist im Rennen um die größte noch offene Wissenschaftsansiedlung des Strukturwandels. 

Von Christine Keilholz

Im Jahr 1982 kam Carsten Drebenstedt in die Lausitz, um im Bergbau sein Glück zu suchen. 2022 kommt er zurück, um seine Karriere als Wissenschaftler zu krönen. „Ich bin von Haus aus verbunden mit allen Bergbau-Aktivitäten in der Lausitz“, sagt der Bergbau-Professor aus Freiberg. Er ist überzeugt, dass die Lausitzer Industrie-Tradition in neue Forschungs- und Geschäftsfelder fließen kann – und dass sein Konzept eines „European Research Institute for Space Ressources” (ERIS) dafür das perfekte Vehikel darstellt. 

Im Wettbewerb um die beiden sächsischen Großforschungsinstitute hat es Drebenstedts Konzept bis in die Endrunde geschafft. Damit hat er gute Aussichten auf die größte noch offene Forschungsinvestition im Strukturwandel. Eines der beiden Zentren soll in der Oberlausitz entstehen. Genau dort will der 63-jährige Drebenstedt eine deutsche Version von Los Alamos errichten. Der Ort im US-Bundesstaat New Mexico ist nur klein, aber durch sein Forschungszentrum weltweit bekannt. 

Bauen im Tagebau heißt, überall bauen können

Die Lausitz ist Hochtechnologie-Region“, sagt Drebenstedt. Er will der Lausitz eine neue Hochtechnologie verschaffen, die auf der Kohle-Kompetenz aufbaut und sie dauerhaft ersetzen kann. Die Grundidee von ERIS ist die der Formel Eins: Es geht darum, unter extremen Bedingungen etwas zu entwickeln, das dann auf den Markt kann. Wenn es dafür ein Experimentierfeld auf Mutter Erde gibt, dann liegt es irgendwo zwischen Hoyerswerda und Zittau. Wo sonst könnte man Technologien für den Bau und Betrieb von Weltraumstationen entwickeln.

Ein Experimentierfeld für den Bau von Weltraumstationen, dafür wäre die Lausitz ideal, sagt Carsten Drebenstedt: „Die Lausitz ist eine Hochtechnologie-Region.“ Hier hat der 63-jährige Bergbau-Professor aus Freiberg mit Mitte 20 Löcher baggern und mit Mitte 30 Löcher zuschaufeln lassen. Foto: TU Freiberg



Was Drebenstedt vorschwebt, ist eine Art Testbetrieb für das Leben auf Mars und Mond. Viele Fragen, die damit verbunden sind, lassen sich am besten in Tagebau-Restlöchern beantworten: Wie sich Gebäude mit minimalen Ressourcen errichten lassen. Wie man Unterkünfte für Astronauten unter Schwerkraft-Bedingungen baut, in denen ein 60-Tonnen-Bagger nur zehn Tonnen wiegt. Wie man dabei mit Massen an Kohledreck umgeht, der genauso gut Mondstaub sein könnte. Wie man mit dem 3D-Drucker alles vor Ort herstellt, dessen Transport zu teuer wäre. Jeden Krümel dreimal umdrehen, das lehrt die Lausitz, wo Drebenstedt mit Mitte 20 Löcher baggern und mit Mitte 30 Löcher zuschaufeln ließ. Deshalb soll sein Großforschungszentrum kein abgehobenes Weltraum-Ding sein, sondern ein Reallabor für nachhaltiges Bauen – also etwas, das die irdische Welt dringend braucht. 

Hohe politische Erwartungen an das Zentrum

Für solche Ideen, die das Zeug zum Gamechanger haben, ist das Großforschungszentrum gedacht. Die Einrichtung, die eine der größten in Deutschland sein wird, hat mit einem Jahresbudget von 175 Millionen Euro etwa dreimal so viel Geld zur Verfügung wie die traditionsreiche TU Bergakademie Freiberg, wo Drebenstedt seit 1999 die Professur für Bergbau und Spezialtiefbau innehat. Die politischen Erwartungen an dieses Zentrum sind immens. Entstehen soll eine Forschung mit internationaler Ausstrahlung, die der Lausitz ein Image als Technologieregion sichert. Gleichzeitig soll das Zentrum Mittelpunkt einer neuen Wirtschaft werden, die Unternehmensgründungen und Ansiedlungen bringt. Bund und Land hoffen auf neue Arbeitsplätze, Kommunen hoffen auf eine Neubelebung ihrer alten Fabriken. 

All das weiß Drebenstedt, deshalb betont er, wie viel Wirtschaft im Projekt ERIS steckt. Das Zentrum brächte nach vorläufiger Rechnung Bauinvestitionen in Höhe von 600 Millionen Euro, 6000 Arbeitsplätze könnten entstehen. Von der Kohle mitsamt ihrem Maschinenbau über die Chemie bis hin zur Glasindustrie hat er praktisch jede Branche, die in der Lausitz Bedeutung hat, in seinem Weltraumforschungs-Institut vorgesehen. Der Bergbau-Betreiber Leag etwa könnte aus ERIS Impulse für Material- und Transportlogistik ziehen, die BASF in Schwarzheide für die chemische Stoffumwandlung. Der Anlagenbauer Takraf könnte Raumstationen bauen, Siemens und Bosch wären für Automation und Robotik zuständig. Auch für Künstliche Intelligenz wäre mit dem Casus-Institut in Görlitz ein regionaler Partner eingebunden. 

Raumfahrt ist Imagefaktor und Magnet

Mit Forschung die alten Industrien neu beleben – das ist, was Carsten Drebenstedt nach eigenen Worten sein Leben lang machen wollte. Der gebürtige Magdeburger hat lange als Ingenieur in der Lausitz gearbeitet. In den späten Jahren der DDR war er stellvertretender Direktor des Tagebaus Reichwalde mit Verantwortung für 800 Mitarbeiter. Nach der Wiedervereinigung wechselte er in die Hauptverwaltung der neu gegründeten Lausitzer Braunkohle AG (Laubag) in Senftenberg, wo er sich um Rekultivierung kümmerte. Später gründete er ein Ingenieurbüro, schrieb ein Buch und promovierte, bevor er den Ruf an die weltberühmte Ressourcenuniversität bekam. Drebenstedt weiß, dass extreme Bedingungen Kreativität freisetzen und Technologiesprünge ermöglichen. 

Doch der Sprung in die Weltraumforschung erscheint manchen Lausitzern dann doch zu weit. Zumindest war die Begeisterung nicht eben groß, als im vergangenen Sommer von den knapp 100 Bewerbungen für das Großforschungszentrum gleich zwei übrig blieben, die das Leben im All in den Blick nehmen. Neben ERIS ist noch das Deutsche Zentrum für Astrophysik des ESA-Forschers Günther Hasinger im Rennen. Städte, die sich Hoffnungen auf das millionenschwere Zentrum machen, hatten eher auf bodenständige Forschung spekuliert – und bereits entsprechende Kooperationen eingeleitet. Doch Drebenstedt weiß: Raumfahrt ist Imagefaktor und Magnet für Kapital und Spitzenforscher. „Wir bauen damit eine weltweit einzigartige wissenschaftliche Infrastruktur auf“, sagt er. Die ganze Welt soll in die Lausitz kommen, um diese Infrastruktur zu nutzen. Ob ERIS das Großforschungszentrum bauen darf, entscheidet eine Auswahlkommission im Herbst.