Durch den Krieg, den Wladimir Putin gegen die Ukraine führt, muss Ostdeutschland seine Wirtschaft neu denken. Ein Business as usual mit Russland kann es nicht mehr geben. Aber wie groß ist dieses Business wirklich?
Von Christine Keilholz
Die Endstation der Freundschaft zwischen Brandenburg und Russland ist in Schwedt erreicht. Dort, wo die Gas-Pipeline Druschba – russisch für Freundschaft – anlandet, wollte der russische Ölkonzern Rosneft zuletzt seine Macht vergrößern und seine Anteile an der PCK-Raffinerie vergrößern. Mit der Übernahme der Anteile von Shell hätten 92 Prozent des Betriebs Rosneft gehört, statt bisher 54. Doch nun steht der Deal in Frage. Das Bundeswirtschaftsministerium, das die Übernahme genehmigen muss, hat ein Prüfverfahren angekündigt. Rosneft gehört dem Russischen Milliardär Igor Setschin, einem engen Freund von Russlands Präsident Putin, der gerade in der Ukraine Wohnblöcke und Kindergärten bombardieren lässt.
Dass der Sperrriegel aus dem Ministerium mit dem Angriffskrieg zu tun hat, kommentiert man im Haus des Grünen-Ministers Robert Habeck nicht weiter. Deutlicher sind die Briten, deren Konzern BP sich aus Rosneft zurückzieht – auf Druck der Regierung von Premierminister Boris Johnson, wie es heißt. Setschin hat sein verstärktes Engagement in Ostbrandenburg stets dargestellt als „Beweis für die strategische Bedeutung, die der deutsche Markt für Rosneft besitzt“. Nun wird klar, dass das nicht nur die pünktliche und verlässliche Versorgung mit Rohöl aus dem Ural meint – sondern auch ein Erpressungspotenzial gegenüber Deutschland.
Bis auf die Knochen angebiedert
Dessen Ausmaß wurde Dietmar Woidke (SPD) erst an diesem Sonntag öffentlich bewusst. Da zeigte sich Brandenburgs Ministerpräsident im Bundestag „tief enttäuscht, verbittert und frustriert“ – auch persönlich, wie er sagte. Es war ihm anzusehen. Angesichts der Bilder aus der Ukraine verbieten sich weitere Deals mit Putin und seinen Schergen. Für Brandenburg heißt das, es muss einen empfindlichen Teil seiner Wirtschaft neu denken.
Weiter südlich ist diese Erkenntnis noch nicht gereift. Dort betonte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) noch am Montag, wie wichtig es gerade jetzt sei, wirtschaftliche Verflechtungen mit Russland zu intensivieren: „Wir wollen mit diesem wichtigen Land, mit diesem wichtigen Nachbarn eine gute Partnerschaft haben. Das muss immer auch gesagt werden.“ Das wird Kretschmer auch vor einem Jahr zu Putin gesagt haben, als er extra nach Moskau flog, um dort mit dem Kreml-Chef zu telefonieren. Schon Kretschmers Amtsvorgänger hatten die Bande Putins zu seinem früheren Arbeitsort Dresden gern genutzt, um sich gelegentlich im imperialen Glanz zu sonnen. Das hatte immer auch etwas Peinliches. Fast so peinlich wie die jetzigen Bemühungen, dem Kriegsherrn Putin den St.Georgs-Orden, den man ihm beim Semperopernball 2009 verliehen hat, wieder abzunehmen.
Außer Öl und Gas nicht viel
Der Osten Deutschlands und Russland, das war immer eine Beziehung der Selbstverständlichkeit. Es war auch immer klar, dass da etwas Großes dahintersteckt, nach dessen genauer Größe man nicht fragen musste. Dabei stehen hinter den oft gepriesenen Handelsbeziehungen zu Russland eher mittelmäßige Zahlen. Für Brandenburg etwa gehört Russland nicht zu den wichtigsten Ausfuhrdestinationen. Im Jahr 2021 kam Russland laut Wirtschaftsministerium in Potsdam gerade mal auf Platz 19 der Exportländer Brandenburgs – nicht weit vor der Ukraine auf Platz 23. Anders sieht es aus bei den Importen. 19 Prozent der brandenburgischen Gesamteinfuhren kommen aus Russland. Das hat zwei Gründe: Öl und Gas, die das Land zu 97,7 Prozent aus Russland bezieht. Umgekehrt heißt das: Außer fossilen Energieträgern hat Russland nicht viel zu bieten.
Diese Zahlen belegen das Mittelmaß der Volkswirtschaft, die hinter der Kriegsmacht steht. Alles in allem bewegt sich seit den Sanktionen von 2014 der Anteil Russlands am deutschen Außenhandel um die zwei Prozent. Das ist wenig, gemessen an der großen Freundschaft, die gerade im Osten Tradition hat. Fast jeder Ostdeutsche hat Freunde in Russland – Menschen mit gleichem Hintergrund, die die Welt ähnlich sehen und die mit ihrer politischen Führung mehr oder weniger glücklich sind. Die wenigen mittelständischen Betriebe zwischen Anklam und Zittau, die sich auf den internationalen Markt wagten, taten das am ehesten in Richtung Osten.
Im Lichte dieser Verbundenheit fiel es nicht mal unangenehm auf, wenn sich ostdeutsche Regierungschef bei der Kreml-Führung bis auf die Knochen anbiederten. Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) hat sich mit der zweifelhaften deutsch-russischen „Klimaschutzstiftung“ kompromittiert. Doch nirgendwo sonst wird die deutsche Abhängigkeit vom russischen Öl und Gas so deutlich wie in Brandenburg. Mit der es möglichst bald zu Ende sein soll.
Russland abkoppeln vom industriellen Fortschritt
Wirtschaftsminister Habeck versprach am Sonntag ein „scharfes Sanktionspaket, das die russische Wirtschaft abkoppeln wird vom industriellen Fortschritt“. Das dürfte unter den Lausitzer Energiemanagern für Unruhe sorgen, die davon ausgehen, dass Wind und Sonne erst in vielen Jahren das einbringen werden, was durch den Kohleausstieg wegfällt. Zwar will die Ampel-Regierung nun erst recht den Ausbau erneuerbarer Energien forcieren – doch die Widerstände gegen Windräder und Solarparks dürften trotz der entsetzlichen Kriegsbilder nicht kleiner werden. „Vieles spricht dafür, dass Preise wohl länger auf einem hohen Niveau bleiben“, sagte Stephan Lowis, Vorstandsvorsitzender des Energieversorger EnviaM, zu Neue Lausitz.
Auch die von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte Einrichtung von Flüssiggas-Terminals dürfte weitreichende Folgen für die Energiewirtschaft haben. Das bedeutet nicht nur, dass die Lösung aus der russischen Umklammerung zumindest langfristig denkbar wird. Es kann auch bedeuten, dass die wichtigen Zentren deutscher Energieversorgung künftig nicht mehr in Ostdeutschland liegen werden.