Brandenburgs Unternehmen sind bei Künstlicher Intelligenz zu ängstlich. Das will die Landesregierung ändern. Doch was bringt die Hype-Technologie der Lausitzer Wirtschaft wirklich?
Von Anja Paumen
Bei der Erforschung von Künstlicher Intelligenz ist Deutschland mit an der Weltspitze – aber bei der Anwendung hinkt man hinterher, sagt Matthias Wolff. Der Informatik-Professor ist Kopf des Lausitzer Zentrums für Künstliche Intelligenz (LZKI), einem Forschungsverbund an der Brandenburgischen-Technischen Universität Cottbus-Senftenberg mit rund 30 Gründungsmitgliedern. Die Crème der Lausitzer IT-Forschung hat sich darin zusammengefunden. Neben Wissenschaftlern der BTU kommen weitere aus zwei Fraunhofer-Instituten in Cottbus und einem Leibniz-Institut in Frankfurt (Oder) dazu. Sie haben zusammen für mehrere Projekte Strukturmittel beantragt. „Wir brauchen eine zündfähige Masse“, sagt Wolff. „Das können unsere Lehrstühle an der BTU allein nicht leisten.“
Die Masse macht’s. Das gilt für die virtuelle Welt der Künstlichen Intelligenz genauso wie für die reale der praktischen Umsetzung. Damit KI eingesetzt werden kann, braucht es sehr viele Daten. In der realen Welt braucht es wiederum ausreichend Wissenschaftlerinnen, KI-Entwickler und Unternehmer, KI-Anwenderinnen, die sich untereinander und miteinander vernetzen. Wolf und seine Mitstreiter haben das schon vor vielen Jahren begonnen – aber noch wartet die KI in der Lausitz auf den Durchbruch.
Die kleinen Unternehmen im Blick
Das soll sich ändern, deshalb hat Brandenburg soeben eine KI-Strategie enthüllt. Vor allem die Unternehmen sollen die Welt der Daten als Chance begreifen. Bei der Vorstellung beschrieb Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) die besondere Herausforderung: „Wir haben eine extrem kleinteilige Unternehmenslandschaft in Brandenburg.“ Rund 100.000 Unternehmen waren laut Strategiepapier im Jahr 2019 in Brandenburg gemeldet, davon haben 90.000 höchstens zehn Mitarbeiter und nur ein paar hundert mehr als 250. Daraus leitet sich die Schlagrichtung ab. Denn so schlussfolgerte Steinbach: „Die großen Firmen schaffen die Implementierung von KI von alleine, aber nicht die kleinen. Entweder man hat die kritische Masse wie Rolls Royce oder man braucht Dienstleister für die kleinen und mittelständischen Unternehmen.“
Es ist die gleiche Mobilisierung, wie sie die Lausitz aktuell auch bei anderen Hype-Technologien erlebt. Nach Wasserstoff und Batterierecycling soll sich die Lausitzer Wissenschaft nun auf eine weitere fantastische Reise begeben – in der Hoffnung, dass die Wirtschaft mitzieht. Dazu braucht es zunächst regionale Netzwerke – im Falle der KI ist das ein Konstrukt namens NET4AI, dessen Gründung mit der Vorstellung der KI-Strategie verknüpft wurde. Der Projektleiter von NET4AI, Jörg Reiff-Stephan, beschreibt es als ein Netzwerk für die Wirtschaft. Ziel sei es, so der Professor für Automatisierungstechnik an der Technischen Hochschule Wildau, Partner zu vernetzen, die gemeinsam KI-Lösungen schneller zur Marktreife bringen.
Auch NET4AI hat wie das LZKI in Cottbus vom Start an eine Gruppe von Mitgliedern an Bord. Dazu gehören neben der TH Wildau, wo die Geschäftsstelle eingerichtet ist, acht weitere Forschungsinstitute und Firmen aus der Region. Das Netzwerk wird über ein Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums für drei Jahre gefördert. Es soll aber verstetigt und zu einem „wesentlichen Knotenpunkt für die Umsetzung von Teilen der KI-Strategie des Landes werden“, erläutert die Netzwerkmanagerin Anne Hirsch.
Angst vor KI
Neben den Forschungsinstituten und den frühen Anwenderfirmen gibt es noch einen dritten Akteur im Feld, der laut KI-Strategie gebraucht wird. Es sind Einrichtungen, die weder KI entwickeln noch sie selbst einsetzen, „aber die Rahmenbedingungen schaffen, damit KI in der Wirtschaft zum Einsatz kommt“. Dazu gehören neben Industrie- und Handelskammern auch spezielle Dienstleister für die Digitalisierung in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sie heißen Mittelstand 4.0 Kompetenzzentren und sind Teil der Digitalisierungsinitiative des Bundes. Jedes Bundesland hat ein Zentrum. Das Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Cottbus übernimmt diese Aufgabe für Brandenburg. Denn Digitalisierung ist die wesentliche Voraussetzung für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
Das Zentrum mit Sitz in Cottbus startete 2017 von Beginn an mit weiteren Partnern. Mit dabei sind neben der BTU Cottbus-Senftenberg, die TH Wildau, die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde, das Leibniz Institut für innovative Mikroelektronik in Frankfurt (Oder) und die IHK Cottbus. Wieder ist es eine Mischung aus Wissenschafts- und Praxispartnern. Neben Informationsveranstaltungen und Schulungen bietet das Zentrum auch passgenaue KI-Entwicklungen an, berichtet die Leiterin Grit Rehe. Falls die Voraussetzungen für den Einsatz von KI gegeben sind, könne man gemeinsam mit dem Unternehmen KI-Lösungen bis zum Prototypen entwickeln. Diese würden dann auch anderen Unternehmen der Region zur Verfügung stehen. „Wir können damit den Anstoß geben, um KI in der Firma einzusetzen“, sagt Rehe.
Bei vielen müssten sie erst einmal Ängste abbauen, sagt Sascha Vökler vom Kompetenzzentrum Cottbus. Doch Künstliche Intelligenz werde nicht den Menschen ersetzen. „Bei jeder großen industriellen Revolution hat man gedacht, es wird Massenarbeitslosigkeit geben. Aber das Gegenteil war der Fall“, bekundet der KI-Trainer Vökler. Auch Wirtschaftsminister Steinbach zitierte aus einer Studie aus dem Jahr 2018, die ergab, dass sich nicht die Anzahl der Jobs durch den Einsatz von KI ändern werde. Aber 20 Prozent der Jobs werden andere sein – mit neuen Aufgaben.
Intelligentes Lernen und Anwenden
Die Folge: Lebenslanges Lernen wird noch wichtiger werden. Das kann die Künstliche Intelligenz den Menschen nicht abnehmen. Denn auch die Maschinen, die KI anwenden, müssten intelligent bedient werden, so brachte es die brandenburgische Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) auf den Punkt. Ihr Haus wird bis 2024 die komplette KI-Strategie für das Land Brandenburg ausarbeiten. Bis dahin werden die Erfahrungen aus der KI-Strategie für Unternehmen ausgewertet und mit eingebaut. Um diesen Austausch sicherzustellen, soll es Gremien geben, in denen die verschiedenen Akteure im Feld ihre Kritik an beide involvierten Ministerien zurückmelden können.
Denn Intelligenz lebt nicht von der Vielzahl an Neuronen oder der Menge an Knotenpunkten allein. Die Eigenschaft der Intelligenz zeichnet sich dadurch aus, dass aus Fehlern gelernt und Neues aufgenommen wird. Dann sind die zukünftigen Entscheidungen intelligenter als die früheren. Das ist im virtuellen Netz so wie im wirklichen Leben – idealerweise.