Russisches Erdgas war als Brücken-Energieträger für den Kohleausstieg fest eingeplant. Der russische Krieg gegen die Ukraine kann diese Pläne zunichte machen. Mit unschätzbaren Folgen für die Lausitz.
Von Christine Keilholz
Im Sonderausschuss des Landtags in Potsdam ging es bei der jüngsten Sitzung zu wie in Friedenszeiten. Die Parlamentarier mit besonderer Zuständigkeit für die Lausitz beschäftigten sich unverdrossen mit dem Gang des Strukturwandels im Revier. Der Abgeordnete Dr. Philip Zeschmann von den Freien Wählern wollte genau wissen, wie weit der Bau dieser und jener Umgehungsstraße fortgeschritten sei. Die Abgeordnete Marianne Spring-Räumschüssel von der AfD wollte es noch genauer wissen. Ein leichtes Wortgemenge entstand, als die fürs Antworten zuständige Ministerin, Kathrin Schneider von der SPD, sich die Bemerkung erlaubte, dass es jetzt vielleicht mal reiche mit der Genauigkeit. Dann sagte die Ministerin noch etwas: Die Debatte über Energiepreise habe keinen Einfluss auf den Termin des Kohleausstiegs – „ganz klar nein“. Das fand keiner diskussionswürdig. Man kehrte zurück zu den Straßen.
Das ist bezeichnend. Noch vor wenigen Wochen hat die Aussicht auf einen möglicherweise vorgezogenen Kohleausstieg die Lausitzer Politik in helle Aufregung versetzt. Nun herrscht Krieg in der Ukraine. Aber es fällt kaum ein Wort darüber, dass infolge unsicher gewordener Gaslieferungen möglicherweise der Kohleausstieg verschoben werden muss – und damit der Strukturwandel. Kein Wort darüber, dass der Bund darüber nachdenkt, die Sicherheitsreserve der Braunkohle um vier Jahre zu verlängern. Das Generationenprojekt Strukturwandel kann infolge der ukrainischen Tragödie aus dem Zeitplan geraten.
Kein Plan B zum Gas
Die Lausitz hat Putins Gas doppelt nötig – nicht nur zum Heizen von Häusern. Der Wandel der Lausitzer Energiebranche basiert darauf, dass Gas aus dem Osten fließt. Es gibt keinen Plan B. Fürs Heizen mögen sich schnell Alternativen finden – für die Stromversorgung von Industriebetrieben nicht. Daraus resultiert eine Ratlosigkeit, die Brandenburgs Ministerpräsident kürzlich als nötige „Evaluation der Möglichkeiten des Kohleausstiegs“ umschrieb. Diese Evaluation, sagte Dietmar Woidke (SPD) „muss erfolgen, weil wir schnellstmöglich Sicherheit haben müssen, wie die Versorgung in der Zukunft aussehen soll“. Woidkes Wirtschaftsminister, Jörg Steinbach (SPD), räumte bei einem Treffen mit Wirtschaftsvertretern in der vergangenen Woche sogar ein: „Ich bin naiv gewesen.“ Jetzt erst werde klar, was diese Abhängigkeit von Russland bedeute.
Diese Ratlosigkeit bezieht sich zunächst auf das naheliegende Problem, nämlich die Versorgung von Haushalten und Fabrikhallen mit Strom und Wärme. Die besondere Problematik der Kohlereviere bekommt noch wenig Beachtung. In den Staatskanzleien und Energieministerien ist von Panik die Rede, die jetzt nicht aufkommen dürfe beim Gedanken an kalte Wohnungen. Die steigenden Spritpreise sind zum Symbol einer drohenden Energiekrise geworden, deren Vorzeichen für fast jeden spürbar werden. Aber in der Lausitz stellt sich eine weitere Frage: Fällt der Strukturwandel mit all den Umgehungsstraßen, Forschungsinstituten und dekarbonisierten Industrien nun aus?
Zurück zu Briketts und Kohlestrom
Aussagen dazu kommen noch keine. Signale aber schon, etwa vom Leagplatz in Cottbus. Das Lausitzer Braunkohleunternehmen gibt in diesen Tagen bekannt, dass die Kraftwerke wieder auf Hochtouren laufen. Das Unternehmen, das sich sonst gern als moderner und klimafreundlicher Energieversorger zeigt, wirbt jetzt wieder mit Briketts und Kohlestrom als Rettung aus der russischen Umklammerung. Dabei setzt auch die Leag auf das Gas aus Russland. Über Monate wurden Konzernleitung und Betriebsrat nicht müde, einen Gasanschluss für Jänschwalde zu fordern, wo ein Hybridkraftwerk entstehen soll. Dieses Werk verdeutlicht das Dilemma der Lausitzer Energiewende wie kein anderes: Irgendwann soll es grünen Wasserstoff aus Windkraft gewinnen. Bis dahin braucht es Gas – dessen Herkunft in all den schillernden Präsentationen bisher unerwähnt blieb.
Deutschland hat sich auf dem Weg in eine CO2-freie Zukunft auf das Gas verlassen. Die Gaskraftwerke, die im Koalitionsvertrag von Ampelregierung stehen, waren nicht zuletzt ein Erfolg für Woidke, der damit die brandenburgischen Kraftwerksstandorte begünstigen wollte. Bei der allgemeinen Freude darüber, einen Weg gefunden zu haben vom Klimakiller Kohle zum noch nicht rentablen Wasserstoff, übersah man leicht, dass diese Brücken-Energieträger aus Geschäften mit dem Putin-Regime kommt und nicht, wie die Braunkohle, aus heimischem Boden.
Mit Tesla-Tempo erneuerbar werden
Doch laute Gedanken an ein Comeback der Braunkohle lassen sich bisher kaum vernehmen. Wolfram Günther von Bündnis 90/Die Grünen etwa wiegelt sofort ab. Sachsens Energieminister erteilt solchen Überlegungen eine Absage. „Wer jetzt pauschal den Ausstieg aus Kohle und Atom in Frage stellt, führt eine Zombie-Debatte“, sagte Günther nach einem Treffen mit den Amtskollegen von Bund und Ländern. Sein Nein begründet er kühl sachlich: Russisches Erdgas werde weit überwiegend für Wärme und Industrieprozesse benötigt. Braunkohle und Kernkraft seien hier schon technisch keine Hilfe. Das Mantra der Grünen: Nur der schnellere Ausbau von regenerativen Energien führt zur Autarkie. „Der Ausbau der Erneuerbaren ist eine Frage der nationalen Sicherheit“, sagt Günther. Und der müsse noch schneller gehen. Mit „Tesla-Geschwindigkeit“, wie bei der Energieminister-Konferenz zu hören war. Will heißen: Auf Planungsschleifen verzichten, um Windräder schneller zum Laufen zu bringen.
Doch auch diese Variante wäre nicht ohne Opfer zu haben. Schneller erneuerbar werden hieße auch, über Bürgereinwände hinwegzuwalzen. Hinter den langen Planungsverfahren stehen oft Widerstände in der Bevölkerung. Dass die nun kleiner geworden sind angesichts der intensiven Energiedebatte seit drei Wochen, ist nicht erkennbar. Auch eine Studie zur Akzeptanz der Energiewende, die Minister Günthers Haus jüngst präsentiert hat, liefert darauf keine Antworten. Laut der Umfrage stehen zwar zwei Drittel den erneuerbaren Energien positiv gegenüber. Aber die Befragung von rund 1500 Sächsinnen und Sachsen wurde im September 2021 durchgeführt – als Krieg in der Ukraine noch undenkbar war.