Schleifes langer Weg zum Ärztehaus

Zum dritten Mal versucht die Gemeinde im Kreis Görlitz, Geld aus dem Transformationsfonds zu bekommen. Doch dem Bau eines Medizinischen Versorgungszentrums steht etwas im Weg: Der Freistaat hat die Millionen bereits verplant – für sich. 

Von Christine Keilholz

Mit der alten Villa, in der zuletzt nur noch ein älterer Herr lebte, hat Schleife Großes vor. Hier soll die Keimzelle des Aufschwungs entstehen. Die Gemeindeverwaltung will ein Ärztehaus in der Mitte des Orts bauen. Ein Allgemein-Arzt und ein Facharzt sollen dort Praxen haben, vielleicht noch eine Medizinerin im Ruhestand, die ein paar Mal die Woche Sprechstunden anbietet. Damit die Menschen es leicht erreichen, soll gleich daneben ein Busbahnhof entstehen. Bürgermeister Jörg Funda sagt lieber das Wort „ÖPNV-Verknüpfungsstelle“, denn Busbahnhof klingt nach viel Verkehr für einen Ort mit 2.400 Einwohnern. 

Für Schleife ist das Ärztehaus der dritte Anlauf, Geld aus einem der milliardenschweren Fördertöpfe zu bekommen – und ein Strukturwandelprojekt heimzuholen. Zwei vorherige sind gescheitert. Allerdings dürfte es diesmal nicht leichter werden. Die Hürden im sächsischen Strukturwandel-Verfahren werden immer höher. Diesen verbreiteten Eindruck teilt Uwe Garack. Der Projektmanager der Entwicklungsgesellschaft Niederschlesische Oberlausitz (Eno) ist nach Schleife geeilt, um das Ärztehaus fördertauglich zu machen. „Ist es eilig oder nicht?„, ist Garacks erste Frage an den Bürgermeister. „Wenn es eilig ist, brauchen wir über Strukturmittel nicht nachdenken.“ 

Turbostrecke beim Antrag – kein Geld vor Ende 2025 

Der Strukturwandel in Sachsen befindet sich in einer kritischen Phase. Bis 2026 sind die Mittel  bereits verplant. Der Freistaat hat sich großzügig aus den Fördertöpfen selbstbedient. Nur weil einige der großen Landesprojekte länger dauern, können andere Antragsteller überhaupt noch hoffen. Es muss Ersatz organisiert werden, damit die Millionen nicht wieder an den Bund zurückfließen. Für eine Gemeinde wie Schleife, die den Strukturwandel nutzen will, erfordert das neben der korrekten Antragsprosa auch cleveres Timing. 
 
Uwe Garack rechnet vor, was kaum glaublich erscheint: Wer heute anfängt, Anträge zu formulieren, kann erst 2025 mit Mitteln rechnen. Im Detail: Ein Projekt, das jetzt bei Null startet, könnte rechtzeitig für den übernächsten Regionalen Begleitausschuss fertig sein – das bedeutet Abgabe bis Ende Oktober. Erst Anfang 2024 wäre dann mit einem Bescheid der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung (SAS) zu rechnen. Was wie ein Schnecke anmutet, nennen Förderbürokraten die Turbostrecke. Das bedeutet: Vor Ende 2025 wird kein Geld fließen. Bürgermeister Funda zieht die Augenbrauen hoch: „Da bin ich ja schon fast wieder weg.“ 

Mit Butterbrot-Geschäft allein genug zu tun 

Der CDU-Mann ist seit Anfang 2021 Bürgermeister der Gemeinde, die am Tagebau Nochten klebt. „Als ich ins Amt kam, gab es einen großen Investitionsstau„, sagt er. Schleife hat sich neu aufstellen, ja völlig neu erfinden müssen. Mit dem Revierkonzept des Bergbauunternehmens Leag stand die Gemeinde 2019 vor neuen Realitäten. Die Orte Rohne und Mulkwitz und auch ein Teil von Schleife selbst mussten nicht umsiedeln. Eine Zukunft ohne Abbaggerung war jahrzehntelang undenkbar gewesen. „Wir brauchten erstmal eine Idee, was diese Dörfer sein können„, sagt Funda. „Es waren ja alle darauf eingestellt, dass sie bald dem Tagebau weichen.“ 

So weit das Außergewöhnliche der Schleifer Verhältnisse. Der Rest ist kommunales Butterbrot-Geschäft: Breitband, Abwasser, Kitas, die ewig zu kurze Decke eines Jahreshaushalts von acht Millionen Euro. „Mit dem, was wir ohnehin investieren müssen, sind wir bis unters Dach dicht“, sagt der Bürgermeister. Der Strukturwandel käme als Sahnekirsche obendrauf. Aber zunächst mal bedeutet er haufenweise Extra-Arbeit. Einen Projektantrag absendefertig zu bekommen, kostet eine kleine Verwaltung mehrere Wochen Arbeit – bei unsicherem Erfolg. 

Intransparente Bewertungskriterien 

Ein Ärztehaus ist nach reiner Lehre im Strukturwandel nicht vorgesehen. Aber es kommt drauf an, dem Ganzen einen innovativen Ansatz zu geben, sagt Uwe Garack. „Wenn wir Fördermittel haben wollen, müssen wir folgende Frage beantworten: Wie nutzt das Ärztehaus der Vertiefung der Wertschöpfungsketten der gesamten Region. Das wird eine schöne Hausaufgabe.“ Wertschöpfung ist ein dehnbarer Begriff, wenn es um Fördergeld geht. Schleife hat eine Allgemeinmedizinerin im Ort, die bald aufhören wird. Ohne einen Nachfolger ist an Wertschöpfung nicht zu denken. Die Kassenärztliche Vereinigung hat die Region als unterversorgt eingestuft. Die Landkreise wollen diese Art von Daseinsvorsorge gern finanziell von der Strukturstärkung abgedeckt wissen. 

Projektmanager Garack hat ein solches Ärztehaus in der Gemeinde Hohendubrau durchbekommen. Vier Seiten Antrag hätten dafür gereicht. Aber das war vor einem Jahr – inzwischen ist viel mehr Aufwand nötig. „Es wird eine wesentlich höhere Qualität und Planungstiefe bereits im Vorschlagsverfahren erwartet“, so sein Eindruck. „Problematisch ist nach wie vor die Intransparenz bei den Bewertungskriterien.“ Das macht eine zielgerichtete Antragstellung sehr schwierig. Es müsse klar sein, dass man immer mit einem finanziellen Risiko reingeht. Das sagt Garack allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die er berät. 

SAS fördert streng nach Richtlinie 

Laut SAS hat sich im Verfahren nichts Wesentliches im Verfahren verändert. „Grundlage für die Förderfähigkeits- und Förderwürdigkeitsprüfung der SAS ist die jeweils geltende Förderrichtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Regionalentwicklung (…) vom 8. August 2020, der Bund-Länder-Vereinbarung vom 27. August 2020 und dem Handlungsprogramm des Freistaates Sachsen zur Umsetzung des Strukturstärkungsgesetzes des Bundes in den sächsischen Braunkohlerevieren“, teilt die Agentur auf Anfrage der Neuen Lausitz mit. 

Lediglich im Mai 2021 hat sich demnach etwas verändert durch eine Novelle der Richtlinie. Dabei wurden Fördervoraussetzungen und Zuwendungsvoraussetzungen getrennt. Letztere würden seitdem erst durch die Sächsische Aufbaubank (SAB) abschließend geprüft. Die Agentur arbeitet zurzeit an 42 Projektvorschlägen für das Lausitzer Revier, 13 Vorschläge befinden sich in der engeren Prüfung und werden qualifiziert. Insgesamt 221 Projekte hat die Agentur bereits bearbeitet. 

Dies ist ein Text aus dem Neue Lausitz Briefing vom 14. Juni 2022.

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