Verlängerte Sicherheitsreserve kommt

25. Juni 2022

Die Lausitzer Braunkohle wird wieder gebraucht, um die Unabhängigkeit der Stromversorgung von russischem Gas zu gewährleisten. Doch ein auslaufendes Kraftwerk wie Jänschwalde lässt sich nicht so einfach wiederbeleben.

von Christine Keilholz

Fred Mahro ist nicht ganz unparteiisch, wenn es um Jänschwalde geht. In einem früheren Leben hat der Bürgermeister von Guben im Kraftwerk gelernt und gearbeitet. Mehr als zehn Jahre waren das. Für seine Stadt hat das größte Kraftwerk mit angeschlossenem Tagebau eine unumstrittene Bedeutung. Mahro schätzt, dass 60 Gubenerinnen und Gubener dort ihre Jobs haben. Seit Jahren hat sich die Stadt daran gewöhnt, dass Jänschwalde mit dem Kohleausstieg sein Ende findet. Die letzten Monate allerdings haben neue Realitäten geschaffen. Der Ukrainekrieg mit den Risiken für die Versorgungssicherheit macht wieder interessant, was Jänschwalde leisten kann. „Solche Sondersituationen verlangen pragmatische Entscheidungen“, sagt der CDU-Politiker Mahro. „Ich kann nur hoffen, dass die Politik unabhängig von parteipolitischen Zielsetzungen das große Ganze sieht und die Lösungen präferiert, die den Verbrauchern am meisten nutzen.“ 

Solcher Pragmatismus ist zum Markenzeichen von Robert Habeck geworden. Der Bundeswirtschaftsminister der Grünen hat am Wochenende verkündet, was sich schon länger angedeutet hat. Er will die Kohlekraftwerke wieder ans Netz nehmen, wenn Gas und Öl infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nicht mehr fließen. Sein entsprechendes „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“, das am 8. Juli den Bundesrat passieren soll, nennt Habeck selbst einen Tabubruch. „Wir rufen die Gasersatz-Reserve ab, sobald das Gesetz in Kraft getreten ist. Das bedeutet, so ehrlich muss man sein, dann für eine Übergangszeit mehr Kohlekraftwerke“, sagte der Minister am Wochenende. 

Längere Reserve macht Investitionen nötig 

Nun scheint es zwischen dem Ministerium und dem Bergbau-Unternehmen Leag zu einer Einigung gekommen zu sein. Demnach soll der Betreiber, die zwei Blöcke bis Ende März 2024 bereit halten, um drohende Engpässe bei der Stromversorgung abfedern zu können. Es handelt sich um jene Blöcke E und F, die im Herbst dieses und des nächsten Jahres abgeschaltet werden sollen. Wenn es so kommt, bedeutet das für Jänschwalde knapp eineinhalb Jahre Kohleausstiegs-Aufschub. 

Jänschwalde kann mit 1000 Megawatt die größte Reservekapazität aller deutschen Kohlekraftwerke aufbieten. Die beiden 500-Megawatt-Blöcke E und F müssen zur Zeit innerhalb von zehn Tagen Strom liefern können, wenn Engpässe entstehen. Das gilt bis Herbst 2023. Eine Reserve-Verlängerung, für die sich Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) bereits im März in einem Brief an Habeck ausgesprochen hat, führt nun allerdings zu neuen Erfordernissen. Einfach gesagt: An dem Kraftwerk, das über Jahre als Auslaufmodell galt, muss investiert werden.

Jänschwalde verfügt weder über die Technik noch über das Personal, um die Reserve zu leisten. Das ließ der Bergbau-Vorstand der Leag, Philipp Nellessen, kürzlich in einem Interview durchblicken. Er verwies auf die Technik zur Abgasreinigung, die in den beiden Blöcken nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entspreche – anders als bei den noch aktiven Blöcken, die 2017 nachgerüstet worden seien. Die Blöcke E und F dürften laut Gesetzeslage nicht einfach in Betrieb genommen werden. 

Nachrüstungen übernehmen – oder Vorgaben lockern 

Auch hier müssen also pragmatische Lösungen her. Wie die aussehen könnten, ist aus Unternehmenskreisen zu hören. Erstens müsste der Bund die Kosten für die Nachrüstungen übernehmen – denn das ist in Habecks Gesetz nicht geklärt. Die Bundesregierung plant die Kosten für die Sicherheitsbereitschaft zu tragen. Ob dazu auch die Nachrüstungen gehören, darüber wird derzeit noch verhandelt. Zweitens könnten die Regelungen zum CO2-Ausstoß zeitweilig gelockert werden. Dazu verweist das Unternehmen auf günstige Werte bei Stickstoff und Feinstaub, die man durch Investitionen über die Jahre erreicht habe. Der Austausch von Schwefeldioxid etwa sei laut Leag seit 1990 um 97 Prozent gesunken – Feinstaub sogar um 99 Prozent. 

Eine Verlängerung der Sicherheitsbereitschaft hätte für das Umfeld keine direkten Auswirkungen. In Guben würde man das kaum mitbekommen, davon geht Bürgermeister Mahro aus. „Das Kraftwerk Jänschwalde ist der größte Arbeitgeber weit und breit“, sagt der CDU-Politiker. Aber das bedeutet nicht mehr, dass man von diesem Arbeitgeber abhängig wäre. „Ich glaube, dass wir mit Strukturwandel genug Instrumente in die Hand bekommen haben, um das erfolgreich zu meistern.“ Er meint die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die der Kohleausstieg für die Region bedeutet. Ansiedlungen wie Rock Tech im Gubener Industriegebiet oder die Investition der Bahn in Cottbus wären kaum gekommen, hätte nicht der Kohleausstieg die Lausitz bekannt gemacht. Jänschwalde nun zu reaktivieren, sieht Fred Mahro als eine Lösungsmöglichkeit für die akute Krise. „Das wird uns allerdings nicht die Dauerlösung bringen.“ Dauerhaft müsse die Energieversorgung sauber werden.

Dies ist ein Text aus dem Neue Lausitz Briefing vom 21. Juni 2022.

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