Leag-Chef wird Giga-Fabrikant

7. Oktober 2022

PORTRAIT / ENERGIEWIRTSCHAFT IN DER LAUSITZ

Thorsten Kramer ist der Herr der Lausitzer Kohlekraftwerke. Jetzt will der Leag-Vorstandschef den Bergbau-Konzern Richtung zum grünen Powerhouse machen. Um Kollegen, Kommunen und Kunden zu überzeugen, kopiert er ein weltberühmtes Vorbild.

von Christine Keilholz

Wenn Thorsten Kramer öffentlich über Braunkohle reden muss, scheint er sich zu schämen. So in der vergangenen Woche beim Ostdeutschen Energieforum in Leipzig. Angesprochen auf sein Kerngeschäft, schwenkt der Vorstandsvorsitzende der Lausitzer Energie AG (Leag) schnell über zu Sonne und Wind. Er habe vor, „das Unternehmen einmal um 180 Grad zu wenden“, sagte Kramer dort in einer Gesprächsrunde. „Dann wird die Leag in ein paar Jahren 100 Prozent des Stroms, den sie jetzt aus Kohle gewinnt, aus Erneuerbaren gewinnen.“ 

Für jene, die die Tektonik des Bergbauriesen aus der Nähe beobachten, kommt eine solche Aussage kaum überraschend. Dennoch gelang Kramer damit auf dem wichtigsten Treffen der ostdeutschen Wirtschaft ein großer Nachrichtenaufschlag. Die Leag will in der Lausitz das größte Zentrum grüner Energie in Deutschland entstehen lassen. Bis 2030 will der Konzern mit Windkraft und Photovoltaik sieben Gigawatt Leistung generieren. Der Name der Strategie: „Gigawatt Factory“. Die Anlehnung an Teslas Grünheider Gigafactory ist kein Zufall. Die Leag will ein „grünes Powerhouse“ in Brandenburg werden. In größtmöglichem Ausmaß. 

“Wir kaufen uns Zeit“

Die Leag hat ein Imageproblem. Seit dem Kohleausstiegsbeschluss gilt ihr Geschäft mit der Braunkohle als Auslaufmodell. Als modernes Energieunternehmen muss die Leag aber mit grünen Energien assoziiert werden. Anders lässt sich nicht beim qualifizierten Nachwuchs punkten, den der Konzern am Stammsitz in Cottbus dringend braucht. Für einen Konzern, der den Bergbau im Namen trägt, ist das eine Gratwanderung. Aber es hilft nichts: Der Kohlestaub soll weg. 

Das ist in Zeiten der Versorgungskrise kein leichtes Unterfangen. Die Kohle, die aus brandenburgischer und sächsischer Erde gebaggert wird, liefert die Grundlast für die Einnahmen des Konzerns. Jetzt ist sie wieder gefragt. Vor eineinhalb Jahren hat die Leag die Weichen auf grüne Energien gestellt – nun verkauft sie wieder Briketts. Die Kraftwerke laufen auf Volllast. Kramer berichtet von Mitarbeitern, die wochenlang auf Freizeit verzichtet hätten, um sicherzustellen, dass genug Strom eingespeist wird. Die Blöcke E und F des Kraftwerks Jänschwalde sollen bis Juni 2023 weiter Strom produzieren. Sechs Monate hat Kramer mit dem grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verhandelt, um zu erreichen, was eigentlich seiner Strategie widerspricht. Das Revival der Kohle macht den Leag-Chef nicht froh. „Mein Gefühl ist eher, wir kaufen uns Zeit, die hintenraus wieder abgeschnitten wird“, gab Kramer in Leipzig zu bedenken. 

Leag muss weg von der Ein-Produkt-Strategie

Umso lauter fiel der Wumms aus, mit dem der Leag-Chef wenig später die Geburt seiner Gigawatt Factory bekannt gab. Thorsten Kramer ist angetreten, um die Position der Leag als Industriebetrieb unter neuen Vorzeichen zu halten. Der 59-Jährige war viele Jahre lang Berater für Unternehmen der Erneuerbaren Energien, bevor er Anfang 2022 die Leitung der Leag übernahm. Eine überraschende Personalie, denn als Nachfolger des langjährigen Vorstandschefs Helmar Rendez galt ein anderer als gesetzt. Vorstand Andreas Huck hatte die grüne Transformation bereits eingeleitet, die Kramer nun mit großen Schritten nach vorn treibt. Die tschechischen Leag-Eigentümer vom Konzernverbund EPH wissen, dass sie auf grünen Strom setzen müssen, damit ihre Lausitzer Filiale die Energiewende übersteht. Kramer sagt es so: „Wir wollen weg von der Ein-Produkt-Strategie: Wir bauen Kohle ab, verbrennen die und machen Strom.“ Auf einem Bein kann selbst die Leag nicht stehen. 

Thorsten Kramer setzt unablässig Marken. Seit seinem Antritt legte er mehr öffentliche Auftritte hin als seine Vorgänger. Auf jedem Podium betont er, dass die Leag mehr kann als Kohle. „Wir müssen versuchen, aus einer doch etwas verkrusteten Struktur eines Braunkohle-Verstromers auszubrechen“, sagte er im Juni beim Festakt für den iCampus an der BTU in Cottbus. Wie groß die internen Widerstände dagegen sind, ließ er nun, drei Monate später, in Leipzig durchblicken: „Über die Kohleausstiegs-Szenarien werden Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Aber ich bin sicher, dass neue kommen werden.

Grüne Grundlast

Nicht nur unter den noch 6.500 Beschäftigten herrscht Skepsis angesichts der 180-Grad-Wendung, die der Tanker Leag in vollem Tempo vollführt. Der Noch-Braunkohle-Verstromer ist vielen in der Lausitz der Garant für regionale Wirtschaftskraft – und für bezahlbare Energie, auf die Kommunen und Unternehmen bauen. Die Worte „Grundlast“ und „Erneuerbare“ in einem Satz gebraucht, entlockten den Bürgermeistern und Firmenchefs lange nur ein müdes Lächeln. Jetzt will ausgerechnet der Leag-Chef seine nächsten Abnehmer von der Grundlastfähigkeit von Wind und Sonne überzeugen. Dafür hat Kramer in vielen Amtsstuben gesessen. 

Offenbar mit Erfolg: Die Lausitzrunde äußert Zustimmung zur Gigawatt Factory, „wenn bezahlbare Versorgung zukünftig auch mit stabilem grünen Direktstrom möglich sein wird“, erklärten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der kernbetroffenen Gemeinden in einer Stellungnahme zu den Leag-Plänen. Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Cottbus äußerte sich zustimmend. Nun sei aber die Politik gefordert, „die notwendigen Anpassungen im Bau-, Raumordnungs- und Bergbaurecht schnellstmöglich umzusetzen sowie die notwendigen Weichen in den Genehmigungsbehörden zu stellen“, wie IHK-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Krüger betonte. „Konversionsflächen“, so Krüger, „bergen weniger Konfliktpotenzial und sollten daher prioritär zur Energieerzeugung genutzt werden.“ 

Tagebau-Flächen als Goldstaub

Gemeint sind die 30.000 Hektar Grundbesitz, über den die Leag in der Lausitz verfügt. Vieles davon sind Tagebaue und sonstige Brachen, für die sich noch keine Anschlussverwendung gefunden hat. Kramer sieht in diesen Flächen Goldstaub, den er versilbern will. Nirgendwo sonst in Deutschland gebe es solche Flächen, in denen sich Windparks errichten lassen ohne Nachbarn weit und breit. 

Die Gigawatt Factory will hier neue Wind- und Solarparks mit großen Speichern und zukunftsfähigen Kraftwerken verbinden. Die so gewonnene Energie soll Häuser heizen, Busse antreiben und Fabriken und Haushalte mit Strom versorgen. Grüner Wasserstoff, grüne Wärme aus Pufferspeichern und direkt gelieferter Grünstrom – damit will die Leag in Zukunft Geld verdienen. Thorsten Kramers Vision: „Wir werden eine Landschaft der Erneuerbaren aufbauen, die bis 2038 gleiche Gigawattleistung ans Netz bringt, die wir jetzt aus Kohle gewinnen.“