Zur Rettung der sorbischen Sprache reichen Kindergärten und Schulunterricht nicht aus. Denn dabei wird die wichtigste Zielgruppe vergessen.
von Maximilian Hassatzky
Das Niedersorbische gehört zu den am stärksten bedrohten Sprachen Europas. Die jahrhundertelange Unterdrückung der sorbischen Volksgruppe hat Narben hinterlassen. Mehr als 100 sorbische Dörfer sind den Kohlebaggern zum Opfer gefallen. Heute sprechen nach Einschätzung verschiedener Experten noch zwischen wenigen Hundert bis wenigen Tausend Menschen die Ur-Sprache der Niederlausitz. Dabei soll es nicht bleiben, das ist politischer Konsens. Deshalb ist Sprachrevitalisierung ein großes Thema geworden. In politischen Programmen und Absichtserklärungen wird die sorbische Sprache im Gespräch gehalten. Aber wie schafft man es, dass sie tatsächlich gesprochen wird?
Das Sorbische genießt als eines der wichtigsten Lausitzer Kulturgüter einen guten Ruf und viele Sympathien. Eine 1500 Jahre alte Regionalsprache, die so anders ist als die Mehrheitsprache, können die wenigsten Regionen vorweisen. Trachten und Bräuche sind wieder angesagt. Sie schaffen regionale Verbundenheit in einer schnelllebigen, globalisierten Welt.
Fast alle alteingesessenen Lausitzer und Lausitzerinnen haben sorbische Wurzeln, aber nur wenige sind sich dessen noch bewusst. Rund um Cottbus haben viele noch Erinnerungen an wendische Großeltern. Aber die Sprache zu mögen ist das eine – das Erlernen ist jedoch aufwendig und anstrengend. Das braucht Willen, Ausdauer und hohe Motivation. Kurzum: Es braucht die Überzeugung, dass es einem auch persönlich etwas bringt.
Basken und Bretonen machen etwas besser
Eine bedrohte Sprache zu retten, ist nicht leicht, aber möglich. Das lehren uns zahlreiche Beispiele auf der ganzen Welt. Die Sprache der indigenen Māori ist auf Neuseeland als Amtssprache anerkannt. Das Baskische wird weit über das nordspanische Baskenland hinaus aktiv genutzt. Die Bretonen in Frankreich nutzen ihre uralte Sprache so selbstverständlich im Alltag, wie es kaum einer anderen Regionalsprache vergönnt ist. Alle drei Sprachgemeinschaften haben es geschafft, ihre Sprecherzahlen in den letzten Jahrzehnten deutlich zu erhöhen. Scheinbar machen all diese Sprachen und ihre Verteidiger etwas richtig, was wir in der Lausitz noch nicht wissen. Es hat sicher auch etwas mit der Lernmethode zu tun.
Intuitiv denken viele zuerst an die Kinder als Ausgangspunkt von Revitalisierungsbemühungen. Gute Kitas und Schulen sind jedem wichtig, daher galt lange das Investieren in sorbischen Unterricht für die Jüngsten als das Mittel der Wahl. Aber trotz einiger sorbischer Angebote vom Kindergarten bis zum Abitur kommen viel zu wenige neue Sprecher und Sprecherinnen hinzu. Die Kindergärten, Schulen und sorbischen Institutionen leiden dadurch doppelt unter dem Mangel an Lehrerinnen und Fachleuten – und können ihren Aufgaben nur eingeschränkt nachkommen.
Es ist ein sich selbst verstärkendes Problem. Von anderen Minderheitensprachen wissen wir, dass es notwendig ist, sich zuerst auf die Erwachsenen zu konzentrieren. Sie sind es, welche sich aktiv für den Erwerb und die Anwendung einer Sprache entscheiden, um diese dann auch in Job, Familie und Freizeit anzuwenden. Erwachsene bilden somit erst die Grundlage für die enorm wichtige sprachliche Arbeit mit Kindern. Aber wie kann man mit 20, 30, 40 Jahren eine Sprache so lernen, dass man sie irgendwann fließend sprechen kann? Schulähnliche Sprachkurse bringen erfahrungsgemäß wenig. Nur wenige schaffen all die Vokabeln, Grammatik und den Satzbau autodidaktisch.
Grammatik nach Feierabend ist anstrengend
Wir sollten stattdessen fragen: Wie haben wir alle unsere Muttersprache gelernt? Bevor Kinder nur einen Fuß in ein Klassenzimmer setzen, haben Sie in Zehntausenden Stunden ihre Sprache bereits intuitiv, spielerisch und mit viel Geduld ihrer Mitmenschen gelernt. Erwachsene dagegen müssen ihren Lebensalltag bewältigen und haben oft nur wenig Zeit und Kraft nebenbei eine neue Sprache zu lernen. Wenn diese wenige Zeit dann auch noch in grammatiklastigen Abendkursen – wie sie für alle Sprachen leider immer noch verbreitet sind – verbracht wird, dürfen wir keine großen Fortschritte erwarten.
Unser Projekt „Zorja“ (niedersorbisch für „Morgenröte“) soll Erwachsenen einen völlig neuen Weg in die niedersorbische Sprache ebenen. Gefördert mit Strukturstärkungsmitteln, haben wir es uns zur Mission gemacht, eine positive und intensive Lernumgebung zu schaffen. Zehn Monate, fünf Tage die Woche und sechs Stunden am Tag können Menschen die sorbische Sprache hier leben und atmen. Das Eintauchen (engl. „Immersion“) in ein Sprachumfeld gilt als die effektivste Methode, um eine Sprache zu lernen. Das weiß jeder, der mal zwei Wochen im Urlaub war und sich dort nicht in einer Bettenburg verkroch, sondern einkaufte, ins Kino und zum Tanzen ging.
Mit Zorja versuchen wir, diesen Effekt für das Sorbische nutzbar zu machen – auch wenn die Bedingungen andere sind. Viele Menschen gehen ins Ausland und leben dort Spanisch oder Englisch im natürlichen Umfeld. Dieses Privileg hat das Sorbische jedoch nicht. Der sorbische Sprachraum wird kleiner. Und selbst mitten im Sorbenland ist der Anreiz, sich dieser Sprache zu bedienen, nicht immer vorhanden. Da ist jeder, der ein paar Worte kann und sie gern benutzt, eine Hilfe. Wenn das künftig ein paar mehr Leute sind, dann haben wir schon viel erreicht.
Maximilian Hassatzky, 25, kommt aus Dešno/Dissen und lernt Sorbisch seit dem Kindergarten. In Leipzig und London hat er Chemie studiert. Nach drei Jahren in seinem Beruf entschied er sich, die Rettung des Sorbischen zu seiner Hauptaufgabe zu machen. Seit Juli 2022 leitet er das Strukturwandelvorhaben „Zorja – Aufbau eines Pilotprogramms für innovative Sprachvermittlungsformen“ bei der Domowina Niederlausitz.
Für den Zorja-Sprachkurs sind bis 31. März Bewerbungen über www.zorja.org möglich.
Die Teilnehmenden werden mit einem monatlichen Stipendium unterstützt. Zum Programm gehören Exkursionen in die Lausitz und persönliche Sprachmentoren, die für einen nachhaltigen Erwerb von Sprachkompetenzen sorgen sollen.
Dies ist ein Beitrag aus dem Neue Lausitz Briefing vom 14. März 2023.
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