Wie steht es um die Utopie im Strukturwandel? 30 Jahre nach dem Strukturbruch fordern die Wendekinder heute die Rehabilitation ihrer Eltern ein. Das sei verständlich, aber schade auch der Experimentierfreude, sagt die Kunsthistorikerin und Museumschefin Ulrike Kremeier.
Frau Kremeier, wir erleben gerade vielschichtige Transformationen. Die Pandemie ist halbwegs gewuppt. Der Krieg ist wieder da. Wo setzen wir da an mit einer guten Utopie?
Wie es aussieht, kommt die Utopie in der Lausitz, ebenso wie andernorts in Ostdeutschland im Moment ziemlich brav daher. Junge Leute wollen vielfach schnellstmöglich ein Haus, den Job im öffentlichen Dienst und einen Hund. So sehen die Lebensträume aus. Ich kann das nachvollziehen. Denn sie sind in einer Gesellschaft der Unsicherheit aufgewachsen, sie haben miterlebt, wie ihre Eltern und Großeltern sich in den 90er Jahren durchkämpfen mussten. Wie die Mütter von einem Ein-Euro-Job zum anderen durchgereicht wurden. Wie die Väter versucht haben, in all der Unsicherheit den Familienernährer zu spielen. Als Erwachsene fordern jetzt diese Kinder die Rehabilitation ihrer Eltern ein, die beizeiten resigniert haben.
Heißt das: Wir nennen es Wandel, aber eigentlich ist es eine Restauration?
Ein bisschen schon. Der Strukturwandel zielt auf eine Stabilisierung der Lebensverhältnisse. Haus, Heimatort und eine unbefristete Arbeitsstelle – wer will, kann sich da an die Vorwendezeit erinnert fühlen. Trotzdem verändert sich die Arbeitswelt. Heute geht es um ganz andere Jobs und um Arbeitsbiografien, die sich nicht mehr 40 Jahre lang in derselben Firma abspielen. Es wird darum gehen, Stabilität im ständigen Wandel zu finden. Das heißt, unser Begriff von Arbeit als gesellschaftlicher Identitätsfaktor erlebt einen radikalen Bruch…
Dies ist ein Beitrag aus dem Neue Lausitz Briefing vom 20. Juni 2023.

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