Berlin-Cottbus-Görlitz kommt ganz bald

Jetzt aber wirklich: Die wichtigste Bahnstrecke der Lausitz wird noch in diesem Monat geplant, sagt Verkehrsminister Volker Wissing. Warum er sich doch noch überzeugen ließ, hat Bedeutung für den ganzen Osten.

von Christine Keilholz

Die gute Nachricht kam kurz vor den Sommerferien. Die Ministerpräsidenten der Ost-Länder hatten auf ihrer Sonderkonferenz in Berlin eine Reihe von Themen mit dem Bundesverkehrsminister zu besprechen. Als Freund der Schiene ist der FDP-Mann Volker Wissing noch nicht aufgefallen. Aber dann sagte er doch in die Kameras etwas, das nicht weniger als eine Sensation ist: „Wir müssen die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung schaffen, und das tun wir jetzt gemeinsam.“ Und er schob nach: „Übrigens werden die Planungen noch in diesem Monat beginnen bei der Deutschen Bahn.

Es ging um die Verkehrsverbindungen, um die der Osten schon lange kämpft. Die will Wissing nun nicht länger blockieren. Die Bahnstrecken Gera-Leipzig und Halle-Naumburg sollen schneller ausgebaut werden. Und: Das gilt auch für die Schnellzugverbindung Berlin-Cottbus-Görlitz – jene Verkehrsader, ohne die der Strukturwandel in der Lausitz auf Dauer nicht funktionieren wird.

An diesem Projekt war bislang ein großes Fragezeichen. Berlin-Cottbus-Görlitz steht in diversen Verkehrsplänen, Absichtserklärungen bis hin zum Strukturstärkungsgesetz, wo ein zweigleisiger Ausbau mit Elektrifizierung für 160 oder 200 Kilometer pro Stunde vorgesehen ist. Doch Papier ist geduldig, gerade wenn es um Fernverkehrsverbindungen geht, die vom Plan bis zur Eröffnung Jahrzehnte brauchen, in denen sich wiederum vieles ändern kann.

Entsprechend beeilten sich Lausitzer Interessenvertreter, den Verkehrsminister laut und deutlich beim Wort zu nehmen: „Die jahrelangen Bemühungen der regionalen Wirtschaft zahlen sich nun endlich aus“, jubelte Jens Krause, Generalmanager der Cottbuser Industrie- und Handelskammer (IHK). Die Bereitschaft des Bunds, sich bei den Planungskosten zu engagieren, zeige, „wie wichtig dem Bund mittlerweile das Thema nachhaltiger Transport auf der Schiene für Menschen und Güter ist.

Selbst Ballungsräume erfüllen Kriterien nicht

Wissings Worte bedeuten für den Osten eine verkehrstechnische Zeitenwende. Aus seinem Haus war über Jahre meist ein schroffes Nein zu hören, wenn es um Fernverkehrsausbau im Osten ging. Es lohne sich nicht, so die Antwort. Zu wenig Bevölkerung, zu wenig Nachfrage. Ebenso wenig sah sich das Ministerium bemüßigt, die Unlust der Deutschen Bahn auf Engagement im Osten zu vertreiben. So wurden Großstädte wie Chemnitz und Cottbus vom ICE-Verkehr abgehängt und einzig dem Nahverkehr oder privaten Anbietern überlassen. Der Verweis auf harte Bedarfskriterien, die selbst ostdeutsche Ballungsräume nicht immer erfüllen konnten, konterte jeden noch so lauten regionalen Einspruch.

Wer von Berlin nach Görlitz fährt, trifft auf eine Reihe verkehrspolitischer Absurditäten. Zwischen Cottbus und Lübben wurde das zweite Gleis, das die Sowjets nach dem Krieg mitnahmen, nie ersetzt. Weshalb volle Pendlerzüge stets den Gegenverkehr abwarten müssen. In Cottbus wächst ein gigantisches ICE-Instandhaltungswerk in den Himmel, das kein ICE anfahren kann. Zwischen Cottbus und Görlitz hält der Zug an jeder Milchkanne. In der Stadt Weißwasser, die dringend eine Belebung braucht, verrottet der Bahnhof. Und in der imposanten Bahnhofshalle von Görlitz steht kein Fahrkartenautomat – weil der Görlitzer Bahnhof nicht von der Deutschen Bahn angefahren wird. Überhaupt läuft der Verkehr auf der wichtigsten Strecke der Lausitz nur, weil die Ostdeutsche Eisenbahn das Geschäft übernahm, das das Staatsunternehmen Bahn nicht lukrativ genug fand.

Das ist ein Jahrzehnte altes Provisorium als Ergebnis von Unentschlossenheit und politischem Streit. Die fehlende Wirtschaftlichkeit war das Totschlagargument des Bunds für alle Bemühungen. Da hat es die Lausitz doppelt schwer. Die Lage am Rand der Republik stufte die Dringlichkeit im Bundesverkehrsministerium in den Keller.

Wichtig für Europa

Deshalb zogen die Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen eine andere Karte. Dietmar Woidke (SPD) und Michael Kretschmer (CDU) betonten einmal mehr, dass es nicht nur um die Lausitz gehe – sondern um eine Verkehrslinie von europäischer Bedeutung. Und nicht nur sie. Alle Ost-Regierungschefs betonen nun unisono die Rolle ihrer Länder als Bindeglied zwischen Ost- und Westeuropa. Das soll den Osten aus dem toten Winkel herausholen, wo er in der Bundesverkehrsplanung seit Jahren feststeckt.

Nun kommt die Geopolitik als Argument zu Hilfe. Für das weitere Zusammenwachsen Europas falle den ostdeutschen Ländern „durch ihre Mittellage im Kontinent eine besondere Bedeutung zu“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Ost-Ministerpräsidentenkonferenz. Die Schienenverbindungen nach Polen und Tschechien müssen deutlich schneller als derzeit geplant und ausgebaut werden. „Im Vergleich zur Anbindung nach Westeuropa ist bei der Straßen- und besonders bei der Schienenanbindung nach Mittel- und Osteuropa jedoch nach wie vor ein erheblicher Nachholbedarf festzustellen“, betonten die Länderchefs im Chor und wiesen darauf hin. „Eine enge Auslegung der Wirtschaftlichkeit bei solchen Projekten berücksichtigt nicht deren gesamtgesellschaftliche Bedeutung.

Teuerstes Schienenprojekt im Strukturwandel

Schiene als Wachstumsbeschleuniger, das hat sich im Osten bewährt. Wo ein Schnellzug hält, entscheidet über die Prosperität von Städten und ihrem Umland. Erfurt blüht auf, seit der ICE von Berlin nur noch zwei Stunden braucht. Das kleine Wittenberge versammelte eine Kreativen-Community, die in weniger als zwei Stunden nach Berlin oder Hamburg fahren kann.

Verkehrsplanung ist auch ein Herrschaftsinstrument, das die einen begünstigt und die anderen eben nicht. Das weiß man spätestens seit die Regierung Kohl die Trasse Berlin-München durch Thüringen baute – statt durch Sachsen. Nicht umsonst tippen die Länderchefs heute auf ein Regelungsungetüm von 1991 mit Namen „Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz“. Damit soll zeitlich befristet der Rechtsweg für Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse auf die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts beschränkt werden. Einfacher gesagt: Lokaler Widerstand kann auch mal abgebügelt werden, wenn es dem Fortkommen dient.

Berlin-Cottbus-Görlitz ist mit ursprünglich angesetzten 1,6 Milliarden Euro das teuerste Verkehrsvorhaben aller deutschen Kohleregionen. Der Bau soll plangemäß 2026 beginnen und 2038 fertiggestellt sein. Die Strecke gehört aber zu einem Paket von 40 Verkehrsvorhaben, die durch den Strukturwandel eine Sonderbehandlung vom Bundesverkehrsministerium bekommen. Sie können demnach am Bundesverkehrswegeplan vorbei geplant werden. Diese Vorhaben wurden in der Bund-Länder-Koordinierung zum Strukturwandel für wichtig erachtet, um die Kohlereviere wirtschaftlich zu entwickeln. Eigens dafür wurde eine Sammelvereinbarung geschlossen, die die Finanzierung als Teil des Kohleausstiegs sichert.

Dies ist ein Beitrag aus dem Neue Lausitz Briefing vom 11. Juli 2023.

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