Ohne Gendern kein Wirtschaftswachstum

Mit dem Kulturkampf gegen das Gendern wollen Konservative der AfD das Wasser abgraben. In der Lausitz verprellen sie damit die für den Strukturwandel wichtigste Zielgruppe. 


von Franziska Stölzel

Ein hochrangiger Politiker, der mich zum Gespräch eingeladen hatte, wurde plötzlich sehr ungehalten. Wir wollten eigentlich über meine Forschungsprojekte in der Lausitz sprechen. Aber dann störte ihn, dass ich hörbar gendere. Ich spreche ein hörbares Binnen-I. Er unterbrach mich mit der Bemerkung, ich würde die Sprache verschandeln, das sei schlechtes Deutsch. „Damit erreichen Sie niemanden in der Lausitz“, sagte er. Ich war schockiert – und konterte mit der Diversität der Menschen vor Ort. Denn meine Erfahrung in der Lausitz ist eine ganz andere.

Die Diskussion ging weiter. Die Themen, für die ich eingeladen war, konnten wir allerdings nicht mehr besprechen. Wichtige Erkenntnisse zur Akzeptanz von Wandel in der Bevölkerung kamen nicht zur Sprache. Wie die Politik darauf reagieren kann, wurde nicht einmal gefragt. Stattdessen dozierte der Mann, dass er von gendergerechter Sprache nichts hält. Auch die Mehrheit der Menschen in der Lausitz tue das nicht. Alles drehte sich um dieses Stückchen Kommunikation, das in meinem Umfeld selbstverständlich ist – aber für manche andere offenbar ein Prüfstein politischer Haltung.

Diese Haltung ignoriert eine wichtige Zielgruppe in der Lausitz, wie die jungen und aktiven Menschen. Und sie verprellt jene, auf die die Lausitz angewiesen ist: gut ausgebildete Fachkräfte. Oder besser: Die Zukunft. Immer noch gehen sehr viele junge und gut ausgebildete Menschen weg. Sie sehen keine Möglichkeiten für sich in einer Umgebung, die sie – ganz wörtlich – nicht anspricht. 

Politik darf Skepsis nicht verstärken

Der Wolf, das Windrad, das Gendern. Alles das sind Neuerungen. Sie kommen von außen und stören die Gewohnheiten der Leute. Veränderungen im Alltag sind anstrengend, manchmal nerven sie sogar. Ja, sie haben das Potenzial zum Protest. Trotzdem darf verantwortliche Politik nicht nur den Wünschen nach Erhalt des Gewohnten stattgeben. Sie darf Skepsis nicht bestärken. Verantwortliche Politik muss für Veränderung werben, deren Sinn allgemein eingesehen wird. Die Lausitz braucht mehr Frauen? Bitte schön: Dann soll sie Frauen auch respektvoll ansprechen.

Doch davon ist in der Lausitz wenig zu spüren. Immer öfter gefallen sich maßgebliche Politiker:innen mit Sprüchen wie: „Mich stört, wenn Gendern vorgeschrieben ist.“ (Bitte, wer schreibt geschlechtsneutrale Sprache vor?) Die CDU nutzt die Gender-Debatte, um ihr konservatives Profil im ländlichen Raum zu schärfen, denn die Basis bröckelt zusehends. Sachsens Kultusministerium hat den Lehrkräften das Gendern verboten – und nun auch allen Schul- und Kultusbehörden. So wird versucht, die Position gegen die AfD zu halten, die Rechtsextremismus mit identitätsstiftenden Angeboten an konservative Wähler verbindet. Kommunen lehnen Anfragen ab, die Verfassungen und Satzungen gendergerecht zu gestalten. Dahinter steckt offenbar die Annahme, dass das Gendern nicht zum Lebensgefühl der Bürger:innen passt. Aber das ist falsch. 

Fast alle jungen engagierten Menschen, die ich in der Lausitz kenne, sind auf eine gerechte Sprache bedacht. Sie definieren sich darüber. Diversität spiegelt sich eben auch in geschlechtergerechter Sprache wider. Eine Politik, die sich gegen das Gendern wendet, spricht nur jenen Teil der Bevölkerung an, der Veränderung ablehnt. Und wendet sich gegen jene, die Zukunft gestalten wollen.  

Agitieren gegen Diversität 

Eine Region, der die jungen Leute abhandenkommen, kann sich meines Erachtens eine Antihaltung gegen das Gendern nicht leisten. Zumal die Lausitz ja nun erkannt hat, dass sie sich nur mit Zuzug vor der Entleerung und Überalterung retten kann. Egal, ob es sich um internationale Astrophysiker:innen handelt oder um die eigenen Kinder, die nach dem Studium in Dresden, München oder Harvard zurückkommen sollen – sie alle haben keine Lust mehr auf generisches Maskulinum. Zu Recht. 

Die Lausitz will Wissenschaftsregion werden. Ob das klappt, hängt nicht nur davon ab, ob Fördermilliarden fließen. Wichtiger ist, ob die High Potentials, die man dafür braucht, in die Region kommen. Hunderte von Wissenschaftler:innen werden gebraucht, um die Institute zu füllen, die gegründet wurden. Diese Leute kommen aber nicht gern in Regionen, die auf jede Zukunftsfrage nur mit Status Quo antwortet. Sie wollen nicht in einer Region leben, die ihre Diversität ignoriert – und sogar gegen sie agitiert.

Für die Suche nach Fachkräften hat das Gendern eine Bedeutung. Es ist nachgewiesen, dass Gendern die Berufswahl beeinflusst. Je diverser eine Stellenanzeige geschrieben ist, umso mehr Frauen bewerben sich auf die Stelle. Jugendliche trauen sich mehr Berufe zu, wenn diese geschlechtergerecht formuliert wurden. Das sei all denen gesagt, die gern Herrenwitze über das Gendern reißen – und gleich danach jammern, dass sie für freie Stellen keine Bewerber:innen finden. Oder anders gesagt: Ohne Gendersprache kein Wirtschaftswachstum.

In meinen Augen wird das Gendern, das manchen als Luxus-Problem gilt, zu einer Überlebensfrage für den ländlichen Raum. Es ist ein Indikator dafür, wie offen eine Gesellschaft ist. Ob sie reflektiert und den Zeitgeist aufnimmt und interpretiert. Wenn wir durch gendergerechte Sprache alle Menschen einbeziehen können, Stereotype aufbrechen und Gleichheit fördern können, dann gibt es keinen guten Grund, dagegen zu sein. 

Franziska Stölzel, 29, ist Sozialwissenschaftlerin für Transformationsprozesse. Sie lebt in Weißwasser und ist dort in verschiedenen Projekten aktiv, wie dem Soziokulturellen Zentrum Telux und dem Frauennetzwerk „F wie Kraft“.

Dies ist ein Beitrag aus dem Neue Lausitz Briefing vom 18. Juli 2023.

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