KOMMENTAR / RECHTSEXTREMISMUS IN DER NIEDERLAUSITZ
Brandenburg bekommt mit der Schule, an der es rechtsextreme Vorfälle gab, erwartbar ein Dauerproblem. Schließen und neu gründen wäre besser. Das lässt sich von einer berüchtigten Berliner Schule lernen.
von Christian Füller
Die Schule „Mina Witkojc“ in Burg im Landkreis Spree-Neiße ist bereits nach wenigen Monaten ein Dauerbrenner. Immer wieder erscheinen Geschichten über rechtsextreme Vorfälle an der Schule, die an Dramatik stets zunehmen. Obwohl nichts Neues passiert ist. Obwohl die Situation so kompliziert ist wie eh. Und obwohl viele der Autoren noch nie in der Lausitz, geschweige denn in der Schule waren. Brandenburg hat sich entschieden, die angeschlagene Schule in einem gründlichen Prozess zu befrieden. Das ist ein ehrenvoller Plan – aber er wird dem Land und der Schule zehn Jahre schlechte Presse bringen. Niemandem wäre damit geholfen.
Was allen Beteiligten helfen könnte, wäre ein radikaler Schnitt: eine Auflösung der Schule – und ihre Neueröffnung kurze Zeit später. Alle Lehrkräfte, die jetzt in der Schule sind, müssen gehen – und können sich für die neue „Mina Witkojc“ wieder bewerben. Zugleich wird die Schule von Grund auf saniert. Und künftig bietet die nach einer sorbischen Dichterin benannte Schule auch das Abitur an. Diese radikale Methode des Zerstörens und Neugründens, die in der Verwaltungswissenschaft Bombenanwurfstrategie heißt, ist hierzulande kaum bekannt.
Ihre Idee dahinter lautet: Aus einer öffentlichen Einrichtung eine ungute Kultur zu vertreiben – und zwar auf einen Schlag. In den USA ist diese Methode durchaus üblich. Der Chicagoer Schuldezernent Arne Duncan wendete sie immer wieder an – und wurde auch deswegen unter Barack Obama Bildungsminister. Die Grundidee eines solchen schnellen „school turnaround“: Wechsle bei gescheiterten Schulen die Leitung und jene Lehrkräfte aus, die resigniert haben.
Rechtsextremismus oder Dumme-Jungen-Spaß?
Auch in Deutschland gibt es ein Exempel, das sehr gut funktioniert hat. Die Rütli-Schule. Obwohl sie an einem ganz anderen, mit Burg scheinbar unvergleichlichen Ort liegt, nämlich in Berlin-Neukölln. Trotzdem gab es an dieser Schule ganz ähnliche Tendenzen wie in Burg: Verwahrlosung, Gewalt, Ohnmacht.
Was ist in Burg passiert? In der Kleinstadt, wo Justiz und Behörden seit vielen Jahren gegen Rechtsextremismus versagen, ist eine Schule umgekippt. An der Mina Witkojc sollen immer wieder Hakenkreuz-Schmierereien und Hitlergrüße vorgekommen sein. So richtig hat sich darum scheinbar keiner gekümmert. Die Rechtfertigung dafür, die man intern hört, lautet in etwa so: Der X und der Y, die den Hitlergruß zeigen, tun dies nicht aus rechtsextremer Gesinnung. Sie sind verhaltensauffällig oder erlauben sich einen Dumme-Jungen-Spaß. Auch die Schulleitung, so ist zu erfahren, hat von Hinweisen der Lehrer in dieser Richtung kaum Notiz genommen. Das Schulamt hat möglicherweise nie von den Vorfällen erfahren – bis zwei mutige Lehrer sie öffentlich machten.
Und was ist an der Rütli-Schule passiert? Dort gab es 2006 keine rechtsextremen Vorfälle, aber Gewalt gegen Sachen, Schüler – und Lehrer. Auch an der Rütli-Hauptschule mit knapp 300 Schülern schwelten über Jahre Verzweiflung und Scheitern. Hilferufe innerhalb der Schule wurden überhört – bis ein Brief von Lehrerinnen und Lehrern die sofortige Auflösung der Schule forderte.
Genau wie in Burg ging ein Aufschrei durch die Nation. (Die Öffentlichkeit schreit in Schulfragen gerne auf, wenn etwas passiert, was vor Ort irgendwie Normalität geworden ist, wovon aber die naive Nation nichts ahnt.) Die Rütli-Schule hat sich dann innerhalb kürzester Zeit von einer kaputten Ghetto-Schule in ein Modell-Einrichtung verwandelt. Wie das?
Professionelles Helferumfeld nötig
Die Rütli-Schule wurde zwar de jure nicht geschlossen und neu eröffnet. Aber de facto war das so. In kürzester Zeit kam eine neue Schulleitung ans Ruder, große Teile des Kollegiums wurden ausgewechselt. Jede Stiftung, die etwas auf sich hielt, machte dort Angebote. Aus der Hauptschule wurde eine Gemeinschaftsschule, die auch die Möglichkeit zum Abitur beinhaltet.
Und es geschah etwas, das in Deutschland wohl noch nie für eine Schule gemacht wurde: Eine Straße wurde stillgelegt, um den Rütli-Campus eröffnen zu können. Kurz, es wurde alles das ins Werk gesetzt, was man mit kaputten Schulen am besten tun sollte. Was aber nie gemacht wird außer ein Brandbrief entzündet eine Schule medial.
Die Schule in Burg wieder aufzurichten, wäre ungleich schwerer. Keine 1.000 Meter vom Rütli-Kiez entfernt sitzt in Kreuzberg eine Vielzahl von Akteuren pädagogisch-politischer Experimente. Das heißt, es gab ein schnell mobilisierbares positives Umfeld für die Schule. Das wird in Burg sicherlich nicht so leicht – obwohl es auch dort überzeugte Demokraten, mutige Bürger und engagierte Menschen gibt. Aber sie können im Moment keine Mehrheit öffentlich darstellen. Obwohl sie es wahrscheinlich noch sind. Tatsächlich könnte die Schule, wenn sie demokratisch neu erfunden wird, der Kristallisationskern für die Zivilgesellschaft des ganzen Orts werden.
Code für Hoffnung statt gescheiterte Schule
Warum sollten nicht mutige und interessante Lehrer aus dem ganzen Land Burg als ihren neuen Arbeits- und Lebensraum wählen? Warum sollten die Bildungs-Stiftungen in Deutschland, die jedes Modell für gute Schulen kennen, nicht in Burg Ideen und Philantropie investieren? Warum sollte die Landesregierung sich nicht anstrengen, in Burg einen Alltag möglich zu machen, der nicht von Hass und Gewalt geprägt ist? Warum sollte die Justiz nicht endlich beginnen, schnell und konsequent Anklagen gegen gewalttätige Neonazis zu erheben?
Aus der Schulentwicklung weiß man, dass es ziemlich fix geht, den Ruf einer Schule zu ruinieren. Dass es aber wahnsinnig lange dauern kann, eine funktionierende Schule mit guten Bedingungen für Schüler wie Lehrer zu kreieren – außer man wendet die radikale Methode der Neugründung an. Das Land Brandenburg muss sich entscheiden. Will es in einer toxischen Umgebung eine komplizierte Schulreparatur, die nervöse Reporter aus der Hauptstadt jederzeit konterkarieren können? Oder will es ein positives Fanal wie Rütli? Dem Symbol dafür, wie man aus einer gescheiterten Schule binnen kürzester Zeit einen Code für Hoffnung erschafft.