Karriere geht im Osten anders

17. Oktober 2023

KOLUMNE / WIRTSCHAFT

Wer etwas erreichen will im Job, muss dahin gehen, wo Entscheidungen getroffen werden. Das ist für viele noch immer im Westen. Kommt drauf an, was man unter Karriere versteht.

von Christoph Scholze

In einer der vielen Fernsehbeiträge, die anlässlich des 3. Oktober liefen und sich mit dem Erfolg der Einheit befassten, sagte eine ostdeutsche Unternehmerin: „Was bringt es mir, im Lions Club Hoyerswerda Mitglied zu sein? Wenn ich wirklich vorankommen möchte, muss ich in den Westen ziehen und vielleicht sogar an einer westdeutschen Universität studiert haben.“ Mareike Rauchhaus kommt aus Thüringen und hat in Leipzig einen prosperierenden Fahrradverleih aufgebaut. Dass ihr das im Osten gelang, sei schon besonders, sagt sie. In ihrer Heimat sei ihr das nicht möglich gewesen. Sie sagte, dass Karrieren vorwiegend in Westdeutschland gemacht würden, da im Osten die entsprechenden Strukturen fehlten.

Ich bin in der Nachwendezeit aufgewachsen, war wie viele beruflich eine Zeitlang weg. In Görlitz konnte ich bei Siemens einsteigen, aber um bei dem Weltkonzern richtig durchzustarten, hätte ich wohl nach Erlangen oder Berlin wechseln müssen. Unter der klassischen Betrachtungsweise und dem allgegenwärtigen Meinungsbild zur perfekten Karriere ist da sicher etwas dran. Andererseits sind Ost und West keine beruflichen Kategorien mehr für mich. Es bringt schließlich wenig, Erfahrungsballast aus den schwierigen frühen 1990er Jahren ewig mit sich herumzuschleppen. Das verstellt den Blick darauf, dass die Dinge sich längst geändert haben.

Handlungsfähigkeit statt schnieke Visitenkarte

Ist Ostdeutschland wirklich ein Land, das in der Zeit feststeckt, wie einige es darstellen? Oder haben wir es hier mit tief verwurzelten Vorurteilen zu tun, die unseren Blick auf die Realität trüben? Verlaufen Karrieren in Ostdeutschland tatsächlich anders? Möglicherweise schon. Aber das ist auch gut so.

Ostdeutsche Karrieren sind nicht bloß ein Spiegelbild westdeutscher Erfolgswege. Sie sind geprägt von einer robusten Anpassungsfähigkeit, die in der Lausitz besonders sichtbar wird. Der Strukturwandel ist hier nicht nur ein abstraktes Konzept, sondern gelebte Realität. Der Übergang von einer kohlezentrierten Wirtschaft hin zu innovativen, nachhaltigen und technologiegetriebenen Sektoren verlangt den Menschen in der Region viel ab. Doch anstatt zu resignieren, nutzen viele Lausitzer die Gelegenheit, um sich neu zu erfinden.

Neue Technologieparks entstehen, Startups blühen von erneuerbaren Energien bis hin zu Digitalisierung. Traditionelle Berufe werden neu interpretiert. Das alles zeugt von einem unbändigen Willen, sich nicht nur den neuen Gegebenheiten anzupassen, sondern sie zu gestalten und zu prägen. Gestaltungswille, Handlungsfähigkeit und die Mittel dazu – das ist doch eigentlich das, was Karriere meint. Wenn ich das alles habe, dann habe ich es geschafft und kann tun, was ich für richtig halte. Karriere hat doch eher mit dieser Idee zu tun als mit Business-Anzug, geprägter Visitenkarte und einem breiten Schreibtisch im Büroturm einer Konzernzentrale. Leider sind es noch zu sehr diese Bilder, die unsere Vorstellung vom beruflichen Erfolg prägen.

Kein Hochdienen im System

Argumentiert wird oft anhand der altbekannten Fakten und Narrative. In den vergangenen fünf Jahren wurde über die Hälfte aller Top-Jobs in Deutschland neu besetzt, wobei Ostdeutsche auffällig unterrepräsentiert sind. Der Elitenaustausch zu Beginn der 90er Jahre schuf stabile Netzwerke, die die Besetzung von Führungspositionen im Osten ähnlich einer Erbfolge in westdeutschen Kreisen gestalteten. Überdies fehlen im Osten die Dax-Konzerne, die internationale Karrieren erst möglich machen. Das stimmt alles, ist aber nur ein kleiner Ausschnitt der Arbeitswelt.

Die ostdeutsche Karriere ist keine Reaktion, sondern eine Bewegung. Die Lausitz, oft unterschätzt und übersehen, muss dabei eine führende Rolle spielen. Der Strukturwandel führt dazu, dass die Definition von Karriere in Ostdeutschland anders klingt als im Westen oder Süden. Hier mag Karriere weniger mit dem Erklimmen einer Unternehmensleiter, dem Hochdienen in einem System, Macht und Einfluss zu tun haben als vielmehr mit der Fähigkeit, sich in wechselnden Umgebungen zu behaupten und persönliche sowie berufliche Zufriedenheit zu finden.

Viele blicken auf die Lausitz und sehen nur die Spuren einer vergangenen industriellen Ära, geprägt von Braunkohle und großen Tagebauen. Doch genau hier, im scheinbaren Schatten des wirtschaftlichen Fortschritts, könnte der Geheimtipp für Deutschlands wirtschaftliche Zukunft liegen, das Herzstück des ostdeutschen Karrierewandels. Warum? Die Lausitz symbolisiert den dynamischen Wandel ostdeutscher Berufswege, wobei das Augenmerk auf Initiative und aktiver Formgebung liegt. Es ist offensichtlich, dass Konzerne gegenwärtig mit der Transformation der Märkte konfrontiert sind und oft nicht adäquat darauf reagieren können. In diesem Kontext der globalen Veränderung wird derjenige erfolgreich sein, der nicht nur reagiert, sondern proaktiv gestaltet.

Resilient und anpassungsfähig

Übrigens gibt es sie ja, die erfolgreichen ostdeutschen Karrieresysteme. Nehmen wir den Leistungssport, der seinen Trainingszentren in Erfurt, Rostock oder Cottbus zu Fokuspunkten für die ganze Szene machen konnte. Inzwischen gibt es viele erfolgreiche Unternehmer, Politiker, Sportler, Wissenschaftler und Künstler aus Ostdeutschland, die national und international anerkannt und erfolgreich sind.

Während einige Westdeutsche möglicherweise denken, dass der Osten weniger Chancen bietet, sehen viele Ostdeutsche in ihrer Herkunft einen Vorteil – ein Zeichen für Resilienz, Anpassungsfähigkeit und den Willen, gegen Widerstände zu wachsen. Es ist wichtig zu betonen, dass es nicht die eine ostdeutsche oder westdeutsche Karriere gibt. Stattdessen gibt es eine Vielzahl von individuellen Erfahrungen und Geschichten.

Die erfolgreichsten Karrieren sind jene, die aus dem Wunsch heraus entstehen, etwas zu verändern, neu zu denken und Sinn zu stiften, die das Potenzial haben, ganz Deutschland voranzubringen. Das geht auch in Hoyerswerda. Insgesamt sollte die Frage also weniger lauten, ob ostdeutsche Karrieren anders verlaufen, sondern vielmehr, wie wir die Vielfalt und Einzigartigkeit jeder Karriere, unabhängig von ihrer geografischen Herkunft anerkennen und schätzen können.

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