INTERVIEW / KNUT ABRAHAM ÜBER RUSSLAND UND OSTDEUTSCHLAND
Die Solidarität mit der Ukraine ist groß in der Lausitz – aber auch das Verständnis für Russland, weiß der CDU-Bundestagsabgeordnete Knut Abraham. Die Idee, den Krieg einzufrieren, hält er für einen gefährlichen Irrtum.

Herr Abraham, es werden nun wieder Stimmen laut, die fordern, man solle den Krieg in der Ukraine „einfrieren“. Was halten Sie davon?
Ich höre das regional auch aus meiner Partei. Da heißt es: Gebt Russland, worauf es Anspruch erhebt, dann haben wir in Europa wieder stabile Verhältnisse. Ich kann davor nur warnen. Das wird sich nicht einstellen. Der Konflikt wird fortgesetzt werden.
Welche Folgen hätte eine Niederlage der Ukraine für uns?
Vor Kurzem war ich in Odessa. Seit Februar 2022 versuchen die Russen, diese Stadt zu erobern. Dort war die einhellige Meinung aller, dass ein Sieg Russlands dramatische Folgen für Europa hätte. Erleidet die Ukraine eine Niederlage, sind zehn Millionen Menschen auf der Flucht.
Hinter dem Einfrieren steckt ja der Wunsch nach Frieden.
Natürlich. Das haben wir vielleicht am Anfang unterschätzt. Ich argumentiere jetzt anders als von zwei Jahren. Es ist zu viel von Waffensystemen die Rede, gerade durch die Debatte um den Taurus. Das erweckt einen falschen Eindruck. Unser Ziel ist es ja, Frieden herzuzstellen und diesen Krieg zu beenden. Das muss deutlicher werden, um falsche Schlüsse zu vermeinden. Manche Leute glauben, wenn die Ukraine schlicht unterliegt, würde wieder eine gesicherte Ordnung entstehen. Dabei wird übersehen, dass Putin für den eigenen Machterhalt die permanente Auseinandersetzung mit dem Westen braucht. So, wie er es für die Ukraine angekündigt hat, werden viele Millionen Menschen dort nicht leben wollen. Die werden herkommen. Wenn die Ukrainer aufhören würden, sich zu verteidigen, warum sollten die Russen dann zu friedlichen Umständen zurückkehren? Die Rückkehr zum Status Quo ante wird es nicht geben.
Was haben Sie in den vergangenen zwei Jahren über Russland gelernt?
Putin hat uns gelehrt, ernst zu nehmen, was er sagt. Der Angriff auf die Ukraine, den wir uns noch zwei Tage vorher nicht haben vorstellen können, war seit Jahren Teil seiner Rhetorik. Deswegen müssen wir ernst nehmen, wenn er sagt, Lettland stehe Unglück ins Haus. Er hat auch über Finnland gesagt, man habe jetzt keine friedlichen Beziehungen mehr.
Die Idee unserer Sicherheitsordnung war immer: Wer Lettland angreift, legt sich mit der Nato an und ruft die USA auf den Plan. Können wir darauf noch vertrauen?
Die Frage nach der Zukunft amerikanischen Engagements in Europa können wir frühestens nach der Präsidentschaftswahl im November beantworten. Es wird auf jeden Fall auf Europa zukommen, mehr für die eigene Verteidigung zu tun. Und: Wir müssen zumindest damit rechnen, dass Putin das testen wird.
Indem ein russischer Marschflugkörper einen Schlenker in polnischen Luftraum macht?
Zum Beispiel. Oder dass nationale Konflikte in Transnistrien in Moldau aufflammen. Der Ablauf ist ja bekannt: Dann rufen russische Bevölkerungsgruppen um Hilfe und der Kreml macht mobil. Die Eskalationsszenarien sind vielfältig. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Gleichzeitig müssen wir unserer Bevölkerung vermitteln, dass wir alles tun, um Frieden zu schaffen.
Wie gut kommt diese Botschaft im ländlichen Brandenburg an? Wie reagieren die Menschen, wenn Sie sagen, wir müssen mehr in Verteidigung investieren?
Die Menschen hier bei uns stehen absolut hinter der Bundeswehr. Ich wage zu sagen, die Bundeswehr ist eine der positivsten Marken, die wir in der Region haben.
Sie meinen, als Bundesbehörde, die Strukturen auf dem Land unterhält?
Ja, auch, ganz klar. Der Flugplatz Holzdorf Ost, die Standorte Schönewalde und Doberlug-Kirchhain sind gut verankerte Bundes-Institutionen. Die Leute sind nicht nur froh, dass es diesen Arbeitgeber gibt, sie identifizieren sich auch damit. Schwieriger ist das mit dem Renommee der Nato. Die ist in Ostdeutschland noch immer ein unbekannter Player. Es wurde ja im Einheitsvertrag festgelegt, dass auf dem Gebiet der DDR keine Nato-Soldaten stehen dürfen. Deshalb konnten keine positiven Beziehungen zustande kommen. Ich glaube, dass die Leute bei aller Sympathie für die Ukraine weiterhin sehr kritisch sind gegenüber der Nato-Haltung. Ich sehe bei unseren Konkurrenten von rechts außen oft Plakate, auf denen „Ami go home“ steht. Was interessant ist, weil der Ami gar nicht hier ist. Daran wird aber deutlich, es wird in Ostdeutschland unterschieden zwischen der Bundeswehr, die als unsere Armee anerkannt ist, und dem Westen, das sind die Amerikaner.
Dagegen sind „die Russen“ nicht selten persönliche Freunde oder Geschäftspartner, die man lange kennt.
Mir fällt auf, dass die Leute unglaublich solidarisch mit den Flüchtlingen aus der Ukraine sind, aber gleichzeitig ein gewisses Grundverständnis für Russland vorgetragen wird. Es gibt auch viele Menschen, die die Existenzberechtigung der Ukraine in Frage stellen. Da wird etwa aus der Erfahrung, die man mit der Sowjetarmee gesammelt hat, eine besondere Kompetenz zu Russland gezogen. Ich höre nicht selten in meinem Wahlkreis: Du bist ein prima Kerl und ich wähle Dich auch, aber das mit Russland verstehst Du nicht richtig.
Knut Abraham, Jahrgang 1966, vertritt seit 2021 den Wahlkreis Elbe-Elster/ Oberspreewald-Lausitz II im Bundestag. Der gebürtige Hamburger hat Jura studiert, war Zeitsoldat im Dienst der Nato in den Niederlanden und später im diplomatischen Dienst. 2011 bis 2015 war er Generalkonsul in Washington D.C. und ab 2018 Gesandter an der Deutschen Botschaft Warschau. Abraham ist Träger der Ehrenmedaille der Bundeswehr. Mit Knut Abraham sprach Christine Keilholz.