Bernsdorfs Bataillon

2. April 2024

HINTERGRUND / BUNDESWEHR IM KREIS BAUTZEN

Kaum eine Bundesbehörde zeigt so viel Präsenz auf dem Land wie die Bundeswehr. Jetzt investiert das Verteidigungsministerium groß im Kreis Bautzen. Und zeigt, was Zeitenwende wirklich bedeutet – nicht nur finanziell.

von Christine Keilholz

Boris Pistorius (li.) und Michael Kretschmer zeigen Flagge im Wald von Straßgräbchen. Früher waren hier 20 Sowjet-Raketen stationiert, demnächst kommt die Bundeswehr.
Boris Pistorius (li.) und Michael Kretschmer zeigen Flagge im Wald von Straßgräbchen. Früher waren hier 20 Sowjet-Raketen stationiert, demnächst kommt die Bundeswehr.

Für Bürgermeister Harry Habel (CDU) ist das Logistikbataillon 471 eine große Ansiedlung in seiner Stadt, aber nicht die größte. Der japanische Konzern TDDK investiert gerade 100 Millionen Euro ins Klimakompressorenwerk. Dort arbeiten aktuell 1.200 Menschen. Im August wollen zudem österreichische Investoren ein Werk für Wärmepumpen bauen, das sollen 500 Jobs werden. Der neue Bundeswehr-Standort mit seinen 800 Dienstposten liegt zahlenmäßig dazwischen, bringt aber eine ganz eigene Qualität in die 6.000-Einwohner-Stadt im Kreis Bautzen.

Für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist es der erste neue Standort der Bundeswehr, den er im Amt eröffnen darf. „In den vergangannen 30 Jahren ging es eigentlich immer nur darum, Standorte zu schließen“, sagte Pistorius, als er seine Deutschlandflagge symbolträchtig in die Brache rammte, die sein Ministerium neu zu besiedeln gedenkt. Früher schaute von diesem Gelände aus die Nationale Volksarmee wachsam gen Westen. Heute ist die Richtung vertauscht, aber der Ton ähnlich entschlossen: „Für mich wichtig, dass wir unsere Verteitigungsfähigkeit erhöhen“, sagte Pistorius. Die Bundeswehr müsse in einen Stand versetzt werden, „so schnell wie möglich abzuschrecken“.

Das lässt keinen Zweifel an der Dringlichkeit der Mission. Das, was im Gewerbegebiet des von Straßgräbchen entstehen soll, ist nicht einfach ein Stück Bundes-Struktur im Revier. Es ist ein Stück Militärpräsenz, die sichtbar und spürbar werden soll. Nicht nur für die Bevölkerung, die nach Leuchtturmprojekten im Strukturwandel verlangt. Bernsdorf ist damit eine Marke auf der Landkarte der europäischen Verteidigung gegen die drohende Aggression aus Russland.

Jobs, Lehrstellen, Aufträge und Bedeutung

Die Bundeswehr ist die Bundesbehörde mit wahrscheinlich stärkster Präsenz im ländlichen Raum. Jahrzehnte lang hielt die Armee Strukturen an Orten vor, wo andere verschwanden. Das schätzt man gerade in Ostdeutschland. Auf das Ende des Kalten Krieges folgte der Kampf gegen die Perspektivlosigkeit im ländlichen Raum. Dort sorgte die Bundeswehr für Jobs und Lehrstellen, Kaufkraft und Aufträge. Und für Bedeutung.

Letztere wurde oft dann augenfällig, wenn es zu Schließungen kam. Etwa in Schneeberg im Erzgebirge, wo die Jägerkaserne 2008 dem Sparzwang zum Opfer fiel, was 300 Jahre Regimentstradition beendete. Oder in Brandenburg, wo die Kaserne 2007 schloss und das Gelände wegen Unverkäuflichkeit zum Gewerbegebiet wurde. Beide Schließungen sind verbunden mit Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), jenem Verteidigungsminister, der die Truppe bis auf die Knochen verschlankte. Später machte Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) die Bundeswehr wieder zu einem Mittel der Strukturstärkung. Sie sagte der Oberlausitz den neuen Standort zu.

Mit dem SPD-Mann Pistorius geht es nun wieder um Verteidigungsfähigkeit. 118 Millionen Euro hat die Bundeswehr in den vergangenen zehn Jahren in Sachsen investiert – bis 2033 sollen weitere 700 Millionen folgen. Die Zahlen verdeutlichen den Richtungswechsel, der auch in Bernsdorf vollzogen wird: Gespart wird an diesem Ende nicht mehr. Notfalls müsse man für diesen neuen Standort „eine Schippe drauflegen“, kündigte Pistorius an – aber keinesfalls auf Kosten der bestehenden Infrastruktur. In Zeithain im Kreis Meißen wird parallel ein neues Materiallager gebaut, in Delitzsch die Offiziersschule erweitert.

Holzdorf für 600 Millionen erweitert

Wäre die Bundeswehr ein Unternehmen, wäre sie eines der größten. Zu den 180.000 Soldatinnen und Soldaten kommen 80.000 zivile Beschäftigte, darunter Ärztinnen, Professoren und Spezialisten für Cyber-Sicherheit. Die Bundeswehr ist als Arbeitgeber und Ausbilder in vielen Berufen gerade für Regionen wichtig, denen große Unternehmen fehlen.

In Sachsen ist die Bundeswehr neben Leipzig und Dresden an fünf kleineren Standorten vertreten. Die Kerntruppe, die Panzergrenadierbrigade 37 Freistaat Sachsen, ist mit 400 Soldaten in der Wettiner Kaserne in Frankenberg stationiert. Weitere 700 Panzergrenadiere sitzen in Marienberg im Erzgebirge. Beide Einheiten bilden Sachsens kämpfende Truppe. In Dresden beschäftigt das Militärhistorische Museum 150 Mitarbeiter. Die Unteroffizierschule passieren jedes Jahr mehr als 7.000 Auszubildende. Brandenburg mit seiner hohen Dichte an Militärstützpunkten verfügt über zwei höhere Kommandobehörden, das Einsatzführungskommando in Schwielowsee und das Kommando Heer in Strausberg. Größere Einheiten sind in Prenzlau und Beelitz versammelt.

Die Lausitz verfügte – abgesehen vom Truppenübungsplatz Oberlausitz – lange nur über kleinere Stützpunkte. Das Kalibrierlabor in Cottbus und das Dienstleistungszentrum Doberlug-Kirchhain sind Überreste geschlossener Kasernen. Der Heeresflugplatz in Cottbus-Nord ist seit 2004 Geschichte. Nun stehen gleich zwei große Investitionen des Verteidigungsministeriums ins Haus. Der Fliegerhorst Holzdorf im Kreis Elbe-Elster wird für 600 Millionen Euro zum größten Luftwaffen-Stützpunkt in Ostdeutschland erweitert.

Das sächsische Logistikbataillon wird laut Plan im niedersächischen Osterheide aufgebaut und dann nach Bernsdorf verlagert. Dort entstehen auf der 320 Hektar großen NVA-Fläche eine neue Kaserne, ein Übungsplatz und eine Schießanlage. Vorher müssen noch 48 Hektar von Altlasten bereinigt werden. Alles in allem wird in Bernsdorf ein hoher dreistelliger Millionenbetrag nötig sein, hieß es aus dem Verteidigungsministerium.

Willkommen im Freistaat

Doch wie kommt so viel Verteidigungsfähigkeit in der Bevölkerung an? Überwiegend positiv, sagt Bernsdorfs Bürgermeister Habel. „Wir haben ja gesehen international, dass es nicht geht ohne Truppe. Wir brauchen die Bundeswehr.“ Gewohnt ist man es ja in der Umgebung. Zu DDR-Zeiten waren hier Raketen stationiert. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kathrin Michel ist in der Nähe aufgewachsen: „Wir hatten einen riesigen Truppenübungsplatz vor der Haustür“, sagt sie. „Nachts hat man die Panzerketten quietschen gehört. Das ist den Menschen hier nicht so fremd. Sie wissen, was es heißt, Militär im Umfeld zu haben.“ Michel hat sich aktiv für die Ansiedlung eingesetzt, für die es 20 mögliche Standorte gab.

Bei den Linken hält man das für keine gute Idee: „Aufrüstung ist nie ein Grund zur Freude“, kommentierte die Landtagsabgeordnete Antonia Mertsching die Ansiedlung. „Wir sind skeptisch, ob die Bundeswehr-Ansiedlung der Region hilft.

Sachsens Ministerpräsident sieht das anders. „Die Bundeswehr ist im Freistaat Sachsen willkommen“, versicherte er dem Verteidigungsminister. Die gesellschaftliche Akzeptanz steige mit der persönlichen Begegnung.