ANALYSE / LANDTAGSWAHLEN UND KOHLEAUSSTIEG IN DER LAUSITZ
Vier Jahre ist der Beschluss für Deutschlands Kohleausstieg her. Bislang ist die Transformation in der Lausitz ganz gut gelaufen. Nun muss es richtig losgehen. Dafür müssen Dinge geändert werden. Hier sind die wichtigsten.
von Christine Keilholz

Mehr Harmonie über die Ländergenze
Im Duo kommen sie besser voran. Das betonten die Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg gerade bei einer gemeinsamen Kabinettskonferenz im Kraftwerk Boxberg. Das ist nicht nur ein Freundschaftsbekenntnis, sondern auch das Eingeständnis, dass der Weg der Länderegoismen nicht weiterführt. Genauso aber ist der Strukturwandel nach dem Kohleausstieg angelegt: Fördergeld wird getrennt über die Länder verteilt und abgerechnet.
Galt der Kohlekompromiss von 2019 noch als Sternstunde des Föderalismus, so hat auf die lange Sicht doch die Konkurrenz der Regionen gesiegt. Das Ringen um Investments und attraktive Ansiedlungen im jeweils eigenen Land war dann doch wichtiger als das Pflegen der gemeinsamen Marke Lausitz.
Dabei ist längst klar: Die Länder sind da am stärksten, wo sie zusammenarbeiten. Großprojekte wie das Bahnwerk oder das Großforschungszentrum für Astrophysik wirken über die Ländergrenze hinaus. Um sie zu bekommen, musste man gegenüber der Bundesregierung gemeinsam auftreten. Auch der Gier der Investoren um Subventionen lässt sich am besten im Team begegnen. Es hilft eben, wenn die Ministerpräsidenten Seit‘ an Seit‘ mit dem Kohleriesen Leag sprechen – und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.
Leag in die Schranken weisen
Die Lausitz muss ihre Beziehung zum Energiekonzern Leag neu bestimmen. Ja, es ist richtig, den Betreiber der Tagebaue und Kraftwerke für den politisch entschiedenen Verzicht auf sein Kerngeschäft angemessen zu entschädigen. Aber, nein, das ist kein Blankoscheck für staatliche Leistungen. Wenn die Leag an jedem ihrer drei Kraftwerksstandorte ein Gaskraftwerk bauen will, das irgendwann auch mal Wasserstoff kann, dann ist das verständliches wirtschaftliches Interesse des Konzerns. Aber eine Triple-Förderung ist nicht unbedingt Interesse der Allgemeinheit.
Nicht alles, was der Leag nützt, dient der Entwicklung der Lausitz. Das zeigen nicht zuletzt die aktuellen Konflikte mit Kommunen über die Rückgabe der Tagebau-Flächen, auf denen der Konzern Windparks errichten will.
Energie ist kein Monopolgeschäft mehr. Lausitzweit entstehen interessante große Energieprojekte, mit denen die Leag nichts zu tun hat. Versorgungssicherheit geht bald auch ohne den einstigen Kohle-Monopolisten. Das ist nicht schön für die Leag, aber gut für die Lausitz. Seit dem Kohleausstiegsbeschluss 2020 baut die EPH-Tochter neue Geschäftsfelder aus. Eins davon ist, in einer strukturschwachen Region anwesend und unverzichtbar zu sein. Das ist allerdings kein unumstößlicher Fakt, sondern eine Markenbotschaft. Die wurde zu lange geglaubt und bereitwillig in Politik umgesetzt. Dabei sind Fehler passiert.
Strukturwandel für alle
Die teils aggressiven Aktionen der Bauern und Kleinunternehmer Anfang des Jahres haben etwas deutlich gemacht: Ein Teil der Lausitzer Wirtschaft fühlt sich vom Strukturwandel nicht mitgenommen. Mehr noch: Manche haben sogar das Gefühl, dass die Neuordnung der Wirtschaft gegen sie gerichtet ist. Da läuft etwas aus dem Ruder in der öffentlichen Wahrnehmung.
Der für das Jahr 2038 beschlossene Kohleausstieg war ein Handel zwischen Bund, den Kohlekonzernen und ihrer Belegschaften, den betroffenen Ländern und den Anrainer-Kommunen der Kraftwerke. Es ging um Perspektiven für eine Branche, die viele als privilegiert ansehen, und um Jobgarantien für gut verdienende Kohle-Beschäftigte. Das ist nachvollziehbar, denn es sind nun mal die direkt Betroffenen. Zudem sind die Betriebsräte der Kohle-Industrie der mit Abstand bestorganisierte Teil der Lausitzer Öffentlichkeit – und damit deutlich besser in der Lage, sich Gehör zu verschaffen.
Inzwischen haben sich auch andere zu Wort gemeldet: mittelständische Unternehmen ohne Bezug zur Kohle, Handwerksbetriebe und die Landwirtschaft. Der Kohleausstieg darf sich nicht nur an den Bagger fahrenden Teil der Lausitzer Arbeitswelt richten. Sondern auch an den Teil, der Traktor und Kleintransporter fährt. Jenen Teil, für den keine spezialisierte Konzernabteilung die Förderanträge stellt. Und dem selbst zehn Prozent Eigenanteil weh tun. Kurzum: Die Mehrheit der kleinen und mittelständischen Unternehmen muss wissen, dass sie als Teil des Aufschwungs ernst genommen wird.
Schnellere Förderung
Geld verteilen ist gar nicht so einfach, wie es klingt. Die kurze Geschichte des Strukturwandels in der Lausitz verdeutlicht das. Am Anfang gab es viel Geld, aber keine Projekte. Wenig wurde beantragt, viel wurde genehmigt. Als das Geld für die erste Förderperiode verplant war, stand plötzlich eine Schlange von Antragstellern vor der Tür. Die haben oft bessere Konzepte in der Mappe als diejenigen der ersten Welle, gehen aber nicht selten leer aus. Diese Crux zeigt sich in Sachsen wie in Brandenburg nach vier Jahren Förderung.
In dieser Zeit ist einiges zusammengekommen. In der sächsischen Lausitz wurden 121 Projekte für mehr als eine Milliarde Euro ausgewählt. 78 davon sind bewilligt, was einer Summe von 684 Millionen Euro entsprich. Brandenburg hat derweil 129 Maßnahmen mit 5,6 Milliarden Euro aus Landes- und Bundesförderung bestätigt. Beide Länder schufen mit der Wirtschaftsregion Lausitz (WRL) und der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung (SAS) Behördenapparate, die die Förderung kanalisieren und gleichzeitig dafür werben sollen. Dadurch werden die Förderprozesse weder leichter noch transparenter.
Aktuell liegt das Problem indes beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), wo sich aufgrund von Personalmangel die Anträge für das Stark-Förderprogramm stapeln. Manche Anträge sollen dort sogar ein Jahr lang auf eine Eingangsbestätigung warten. Für das wichtigste Förderprogramm im Strukturwandel ist das inakzeptabel.
Mehr S-Bahn-Verkehr
Das ICE-Instandhaltungswerk in Cottbus wird eine sehr teure Absurdität bleiben, wenn nicht auch der ICE nach Cottbus fahren kann. Denn das ist noch nicht der Fall. Kommt die Anbindung doch, wird es auch dem Bahnwerk in Cottbus zu verdanken sein. Es ist ein originelles politisches Manöver der Lausitz – Brandenburg und Sachsen zusammen -, das Bahnwerk zu holen und damit dem Konzern Deutsche Bahn, der bei Investitionen in Ostdeutschland schnell abwinkt, auch noch die wichtigste Verkehrsader für die ganze Region abzutrotzen. Wenn es denn klappt. Momentan sind die Schienenprojekte des Strukturwandels noch nicht einmal in Planung.
Die Fernstrecke Berlin-Cottbus-Görlitz ist für die Infrastruktur der Lausitz eine Art flach gelegter Leuchtturm. Es ist das Projekt, über das alle sprechen und das die Ministerpäsidenten nicht müde werden, vom Bund zu fordern. Dabei kommt diese Strecke – Achtung Spoiler – frühestens in 15 Jahren. Wichtiger ist es jetzt, die Verästelungen in Angriff zu nehmen.
Etwa Arnsdorf-Kamenz-Hosena oder natürlich Dresden-Görlitz. Wenn die S-Bahn aus Dresden bis Bernsdorf im Kreis Bautzen fährt, rückt einer der wichtigsten Industrieorte Ostsachsens näher an die Landeshauptstadt. Wenn der Zug von Berlin nach Cottbus endlich planbar fährt, ohne unterwegs auf Gegenverkehr zu warten, wird die Hauptstadt der Lausitz sofort attraktiver. Um das zu erreichen, braucht es keine Fingerhakeleien mit dem Bundesverkehrsminister, sondern Ansagen an die regionalen Verkehrsverbünde, die ihre Prioritäten bisher anders setzen.
Keine Verteilungskämpfe ums Wasser
Man muss es leider sagen: Wassermangel hat, als er nur ein Klimaphänomen war, kaum jemanden interessiert. Das ist nun anders. Wassermangel ist ein Top-Nachrichtenthema in der Lausitz geworden, ist Gegenstand von Landtagsdebatten und Ausschuss-Anhörungen. Die Lausitz-Runde, das Bündnis der Kommunen, verlangt mit großer Dringlichkeit Studien zum Grundwasserstand und Maßnahmen von Bund und Ländern.
Das ist nicht nur die Folge mehrerer Dürresommer. Wasser ist ein Wirtschaftsthema geworden. Investoren investieren nur noch, wenn ihnen auf Jahre hinaus genug Wasser zugesichert wird. Kein Industriegebiet wird mehr besiedelt, wenn dort Trockenheit droht. Das hat die Rathauschefs aufgeschreckt, von denen entsprechende Zusicherungen gefordert werden. Das drohende Austrocknen des Spreewalds hat erst dann eine Dringlichkeit erfahren, als Tourismus-Manager den möglichen Verlust an Jobs vorrechneten. Immerhin wird das Problem nun nicht mehr kleingeredet. Und es wird als Folge des Kohleabbaus anerkannt.
„Wasser ist auch ein wichtiger Standortfaktor“, stellten die Landesregierungen in Boxberg einstimmig fest. Allein die wirtschaftlichen Interessen am Wasser fächern sich vielfältig auf. Hier die Landwirte, die volle Speicher fordern. Da die Touristiker, die Wasserski anbieten wollen. Dort die Betreiber von schwimmender Photovoltaik, die ruhige Wasserstände brauchen. Ganz zu schweigen von BASF und anderen Industriebetrieben, bei denen ohne genug Wasser nichts geht. Wassermanagement wird auch bedeuten, zwischen all diesen Nutzern gut zu moderieren. Mit Geldzusagen wird man nicht weiterkommen. So wie es auch nicht reicht, dass die Leag den Nachbargemeinden der Tagebaue Gieswasser-Zuschüsse zahlt, um fehlendes Grundwasser zu ersetzen. Der Konzern wird Lösungen bieten müssen, die Wasser herbeischaffen.
Kein Festbeißen an 2038
Der Kohlekompromiss ist eine Leistung, auf die alle stolz sein können, die daran beteiligt waren. Sind sie auch, wenn man sie so reden hört: „Sachsen und Brandenburg haben gemeinsam für den Kohlekompromiss und die damit verbundene Milliardenunterstützung beim Strukturwandel gekämpft“, sagt Michael Kretschmer (CDU). Und Dietmar Woidke (SPD) betont ebenfalls dass man für „die vielen Milliarden“ aus dem Strukturstärkungsgesetz „hart gekämpft“ habe. Das heißt aber nicht, dass sich beide Länder einen Gefallen tun, wenn sie weiter lautstark auf dem Kohleausstieg 2038 bestehen. In einer Welt, die ihre Versorgung neu verteilt, gelten sie damit nämlich als Kohle-Länder – nicht als moderne Energie-Regionen.
Verstanden hat das die Leag-Führung und setzt entsprechende Signale. Vorstandschef Thorsten Kramer hat schon einmal durchblicken lassen, er könnte auch 2033 ohne Kohle den Strombedarf decken. Vorher hatte er mit dem Bundeswirtschaftsminister gesprochen – und die Länderchefs damit brüskiert. Beim rheinischen Konkurrenten RWE haben jüngst die Aktionäre gefordert, den Kohleausstieg vorzuziehen. Grund: Es schadet dem Geschäft, weiterhin als Kohleproduzent bekannt zu sein. Am Kapitalmarkt würden CO2-Emissionen von immer mehr Aktionären als Risiko gesehen.
Solche Effekte waren vor vier Jahren noch nicht abzusehen. Sie stehen für völlig neue Realitäten auf dem Energiemarkt. Wenn die Lausitz als Energieregion bedeutsam bleiben soll, müssen die Länder das zur Kenntnis nehmen.