So wandelt sich die Lausitzer Energiewirtschaft

13. August 2024

ANALYSE / DIE LAUSITZ VOR DEN LANDTAGSWAHLEN

Fünf Jahre nach dem Kohleausstiegsbeschluss zeigt sich, was die Energiewende für die Lausitz wirklich bedeutet. Nicht nur weg von der Kohle, sondern auch weg vom Monopol. Damit tut sich die Region noch schwer.

von Christine Keilholz

Per Wiesner, Bürgermeister von Neißeaue im Kreis Görlitz, hatte vor wenigen Tagen einen Spatenstich zu feiern. Die Photovoltaik-Anlage, um die es geht, bringt erstmal nur 1,5 Megawatt und hat einen Speicher von 500 Kilowatt. „Mehr können wir leider nicht installieren, denn mehr geben unsere Netze nicht her“, sagt der Bürgermeister der 1.800-Einwohner-Gemeinde.

Die PV-Anlage ist dreieinhalb Metern hoch, sodass der Eigentümer – ein Biobauer mit dem Traktor darunter fahren kann. Beim Aufstellen habe man Wünsche der Nachbarschaft berücksichtigt, sagt Wiesner. Das Unternehmen Next2Sun aus Berlin ist spezialisiert auf Sonnenstrom für Landwirtschaftsbetriebe, also Agri-PV-Anlagen und Solarzäune. Neißeaue hat keine großen Unternehmen und Erneuerbare auszubauen ist wirtschaftlich aussichtsreicher als ein Gewerbegebiet auszuweisen.

Was Wiesner beschreibt, ist die perfekte Symbiose der Interessen von Landwirtschaft, Energiegewinnung, kommunaler Prosperität und Lebensqualität auf dem Dorf. Doch ganz so idyllisch ist es dann doch nicht. „Ich bin sehr, sehr enttäuscht, dass wir nicht weiter kommen mit den wichtigen Infrastrukturthemen“, sagt Wiesner. „Wir brauchen diese Stromnetze als Grundlage für den Ausbau der Erneuerbaren. Und ganz wichtig ist der Anschluss an die Wasserstoffnetze als zumindest perspektivische Ergänzung und Alternative zum schleppenden Stromnetzausbau.

Flächen sind Goldstaub

Das beschreibt die Lage in der Energieregion sehr eindrücklich. Ambitionierte Kommunen wollen in die Erneuerbaren einsteigen. Doch die Kabel und Leitungen sind dafür nicht gerüstet. Kein Wunder, denn sie waren nie dafür gedacht. Energieregion sein, das hieß früher, dass ein paar Großkraftwerke Strom und Wärme für alle produzieren. Heute können alle Strom für sich selbst machen – und sogar in den Export gehen.

Innerhalb weniger Jahre hat sich die Anbieter-Kunden-Struktur gedreht und gleichzeitig aufgefächert. Gut für Bürgermeister Wiesner, der seinen Vier-Millionen-Euro-Haushalt künftig mit immerhin 1.500 Euro Beteiligung pro Jahr füttern kann. Weniger gut für die Länder, die mit dieser Auffächerung so nicht gerechnet hatten. Jedenfalls betreiben sie eine Energiewende und einen Strukturwandel, der nach wie vor auf einen einzigen Lieferanten von Energie zugeschnitten ist. Und sie lassen viele drängende Fragen, die mit dem Wandel dieser regionalen Energiewirtschaft zu tun haben, unbeantwortet.

Energiewende in der Lausitz bedeutet nicht nur, raus aus der Braunkohle. Es bedeutet auch: raus aus dem Monopol. Das hat wohl als erster der Mann begriffen, den es betrifft. Thorsten Kramer, CEO der Leag, verkündete vor zwei Jahren seinen Plan, den Bergbau-Betreiber zur Gigawatt Factory von grüner Energie umzubauen. Wichtig bei diesem Plan sind die Flächen, die der Konzern in der Lausitz besitzt. Die Tagebaue, Kippen und Verkehrszonen, die die DDR-Kohleindustrie hinterlassen hat, sind für die Leag heute „Goldstaub“.

Sachsen ist noch widerwillig

Auf Flächen kommt es an, auch für die Gemeinden. Wer keine hat, ist beim Boom außen vor. Diese Erfahrung macht die Stadt Ortrand im Kreis Oberspreewald-Lausitz. „Wir sind eingezäunt von Landschaftsschutzgebieten“, sagt Bürgermeister Maik Bethke, der als Berater viele Energieprojekte von Kommunen begleitet hat. Viele seiner Kollegen, sagt er, setzen aktuell die Priorität bei der Eigenversorgung. Früher sei eher die Frage gewesen, wie viel Pacht fließt. „Was wir immer öfter sehen in der Lausitz: Energieprojekte kriegt man nur hin, wenn man die Bürger von Anfang an mitnimmt und ihnen monetär etwas anbieten kann“, ist Bethke überzeugt. „Am besten, dass der Strompreis unter dem der Grundversorger liegt.

Die Bürger mitzunehmen, das ist etlichen Gemeinden gut gelungen. Manche haben schon früh angefangen und haben längst die dritte Generation Windräder stehen. Wie die Gemeinde Schipkau in Oberspreewald-Lausitz, wo auf der Kippe in Klettwitz eins der größten Energiecluster Ostdeutschlands entstanden ist.

Schwerer tun sich die Kommunen, die erst spät eingestiegen sind. Wo jetzt erst die Erneuerbaren zum großen Thema geworden sind, muss es schnell gehen – das provoziert Konflikte. Die Auseinandersetzungen um Windparks bieten dann auch Anlässe für Streits, in denen allerlei anderes mitverhandelt wird. Wie die Zurücksetzung des ländlichen Raums, Ost-West-Erfahrungen oder die Eigentumsverhältnisse bei Grund und Boden. In Spremberg und Schleife war das vor den Kommunalwahlen im Juni zu spüren. Dort geht es jeweils um große Projekte auf siedlungsnahen Flächen.

In diese Bereiche dringen die Erneuerbaren nun vor, weil außerhalb das Feld weitgehend abgesteckt ist. Investoren wie Energiequelle, Enercity aus Leer oder Enertrag sind gerade in Brandenburg in vielen Projekten engagiert. Sachsen hatte sich dem Ausbau lange verschlossen und setzt erst jetzt allmählich zum Sprung in die Erneuerbaren an.

Blöcke abgeschaltet

Beide Lausitz-Länder betrachten die Energiewende in erster Linie als eine Chance, dem heimischen Konzern Leag neue Geschäftsfelder zu sichern. Dabei entsteht hier vor aller Augen ein neuer Markt, auf dem nicht nur Strom und Wärme gehandelt werden. Sondern auch die Landschaft. Selbst die, die schon verschwunden war. Östlich von Cottbus ist ein Konflikt um den Tagebau Jänschwalde entstanden. Die Leag als Eigentümerin will dort in großem Stil grüne Energien gewinnen. Aber auch die Kommunen erheben Anspruch auf das Land, das ihnen nach dem Ende des Bergbaus zurückgegeben werden soll.

Das zeigt einmal mehr, dass die Energie von der Lausitzer Politik als Wirtschaftsthema betrachtet werden muss – nicht mehr nur als Teil der Regionalentwicklung. Es geht auch nicht mehr nur darum, einen Konzern zu entschädigen für den Verzicht aufs Kohlegeschäft. Wenn am Ende des Kohleausstiegs wirklich eine diverse regionale Wirtschaftsstruktur stehen soll, muss der Zugang aller auf diesen Markt gesichert sein.

Im Kraftwerk Jänschwalde ging vor einem halben Jahr eine Ära zu Ende. Am Ostermontag wurden die Blöcke E und F endgültig stillgelegt. Der reguläre Betrieb im Tagebau Jänschwalde endete bereits zum Jahreswechsel mit einer feierlichen letzten Schicht, bei der auch Politiker anwesend waren. Trotzdem wurde das in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die Lausitz hat längst neue Energieträger.