ANALYSE / POLITIK IM KREIS GÖRLITZ
Als neue Oberbürgermeisterin von Weißwasser spielt Katja Dietrich künftig eine Schlüsselrolle in der Lausitzer Kommunalpolitik. Sie wird unter schwierigen Bedingungen schnelle Erfolge liefern müssen.

Weißwasser hat wieder eine Frau an die Spitze gewählt. Die 43-jährige Katja Dietrich wird die Geschicke der Stadt für die nächsten acht Jahre leiten. Mit 42,76 Prozent wählten die Weißwasseraner die Einzelbewerberin am Sonntag ins Rathaus. Damit endet eine nervenaufreibende Wahl für die 16.000-Einwohner-Stadt. Im ersten wie im zweiten Wahlgang hatten es die Bürger mit denselben drei Personen zu tun. Stadtkämmerin Swantje Schneider-Trunsch, die vom Wählerbündnis Klartext des scheidenden OB Torsten Pötzsch ins Rennen geschickt wurde, hatte nach dem ersten Wahlgang am 1. September vorn gelegen. In der zweiten Runde landete die 46-Jährige mit 37,34 Prozent auf dem zweiten Platz.
Eine Schlappe musste die AfD einstecken. Deren Kandidat David Kreiselmeier ging mit 19,9 Prozent aus dem entscheidenden Rennen. Der 39-jährige Musiklehrer Kreiselmeier hatte es sich trotz Niederlage gegen seine Mitbewerberinnen nicht nehmen lassen, im zweiten Wahlgang noch einmal anzutreten. Die von der AfD erwartete Mobilisierung blieb allerdings aus. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 48 Prozent. Nur knapp die Hälfte der Wahlbürger wollten schließlich darüber abstimmen, wer auf Torsten Pötzsch im Rathaus folgen soll.
Der langjährige Oberbürgermeister – einer der bekanntesten Kommunalpolitiker der Lausitz – hatte im Juni sein Amt zur Verfügung gestellt. Er nannte private und gesundheitliche Gründe für seine Entscheidung. Zudem sprach er in einer persönlichen Erklärung von „Gerüchten, Verleumdungen, Unterstellungen oder Anschuldigungen, insbesondere über soziale Medien und im privaten Briefkasten“, die er nicht mehr hinnehmen könne. Das zeigt: Weißwasser ist politisch kein einfaches Pflaster.
Zentrale Strukturprojekte gescheitert
Weißwasser sieht sich in Sachsen als das Zentrum des Strukturwandels – und ist auch dessen Ausgangspunkt. Von der 16.000 Einwohner-Stadt ging die Initiative aus, bei Bund und EU für Strukturmittel als Kompensation für den Kohleausstieg zu werben. Das war das Verdienst von Pötzsch in seiner 14 Jahre währenden Amtszeit. Weißwassers Bürgermeister warb in Berlin und Brüssel intensiv um Finanzhilfen.
Weißwassers jüngere Geschichte ist geprägt von Industrieabbau und Bevölkerungsverlust. Die Stadt, die Ende der 1980er Jahre noch 38.000 Einwohner hatte, ist auf weniger als die Hälfte geschrumpft. Den weitgehenden Verlust der Glasindustrie, die 150 Jahre lang einer der größten Wirtschaftsfaktoren war, hat Weißwasser noch nicht überwunden.
Doch hat sich die Hoffnung, zum Zentrum des Strukturwandels zu werden, nur teilweise erfüllt. Einerseits bekam die Stadt Ansiedlungen von Behörden. Der Bund siedelte 2020 das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) an, die Sächsische Agentur für Strukturentwicklung hat ihren Hauptsitz in Weißwasser bekommen.
Allerdings scheiterten bis jetzt die Strukturprojekte der Stadt. Die alte Glasarbeiterschule, die Pötzsch mit Strukturmitteln neu beleben wollte, wird immer teurer. Die internationale Sportakademie, die den Einshockey-Traditionsverein „Lausitzer Füchse“ stärken sollte, fand keine Zustimmung bei den Genehmigungsbehörden. Das Bahnhofsgebäude kann nicht mit Strukturmitteln saniert werden. Mehr Personal für die Verwaltung bekam Weißwasser auch nicht. „Von den Entwicklungen, die Pötzsch eingeleitet hat, profitiert jetzt eine ganze Region“, sagte Jörg Funda (CDU), Bürgermeister der Gemeinde Schleife zu Neue Lausitz. „Das Tragische ist, dass es in Weißwasser nicht so greift.“
Noch kein Stimmungswandel
Das hat die politisch schwierige Lage der Stadt verschärft. Im Stadtrat stellt die AfD mit sieben Abgeordneten die stärkste Fraktion. Wegen der notorisch schlechten Haushaltslage droht jetzt die Haushaltssperre. Den OB-Wahlkampf bestimmte die verbreitete Sorge um den Abbau der Strukturen. Als eine massiv geschrumpfte Stadt verfügt Weißwasser über Kultur- und Sporteinrichtungen für noch immer 30.000 Einwohner. „Wir sind hier noch weit weg von einem Stimmungswandel hin zum Positiven“, sagte der Pfarrer der evangelischen Kirchgemeinde, Lars Städter, zu Neue Lausitz. Städter hofft, dass die Stadt auch unter der neuen Oberbürgermeisterin die Strukturmaßnahmen weiter intensiv verfolgt.
Der Hotelier Daniel Piche, Inhaber des Hotel Kristall, erwartet von der neuen Rathauschefin, dass sie die lokale Wirtschaft stärkt, den Tourismus fördert und die Infrastruktur sowie Digitalisierung vorantreibt. „Weißwasser muss attraktiv für Fachkräfte und Familien bleiben. Zudem wünsche ich mir einen offenen Dialog zwischen Stadt, Bürgern und Wirtschaft, um gemeinsam die Zukunft zu gestalten.“
Als Mittelzentrum liegt Weißwasser inmitten der kernbetroffenen Gemeinden rund um den Tagebau Nochten, die der Kohleausstieg direkt betrifft. „Weißwasser muss mehr Führung für die Gemeinden im Umland übernehmen“, ist Jörg Funda aus Schleife überzeugt. „Weißwasser hat eine koordinierende Funktion für die Anliegen, die wir im nördlichen Teil des Landkreises haben.“