HINTERGRUND / LAUSITZFORUM 2038 IN SCHWARZHEIDE
Auf dem Lausitzforum 2038 in Schwarzheide präsentiert sich der Lausitzer Mittelstand mit neuem Selbstbewusstsein. Und stellt sich hinter die Bewerbung als Europas erste grüne Sonderwirtschaftszone.
von Franziska Stölzel

Das Jahrestreffen des Lausitzer Mittelstands fand dann doch ohne ganz große Politik statt. Beide Ministerpräsidenten ließen sich kurzfristig entschuldigen. Dietmar Woidke (SPD) musste in Potsdam Koalition verhandeln. Michael Kretschmer (CDU) musste am Nachmittag in Dresden das Scheitern seines Koalitionsprojekts bekanntgeben. Auch Robert Habeck (Bündnis 90/die Grünen) hatte Dringendes zu verhandeln an diesem ereignisreichen Mittwoch nach der US-Präsidentschaftswahl – der Vizekanzler sollte eigentlich zugeschaltet sein zum Lausitzforum 2038 in Schwarzheide.
Das Forum der Unternehmerverbände ist im dritten Jahr seines Bestehens zum größten Event der Lausitzer Gestalterszene geworden. Rund 200 Gäste waren im Kulturhaus der BASF dabei, darunter viele Unternehmer aus beiden Ländern. Das zeigt auch, dass die kleinen und mittelständischen Firmen sich mehr Raum nehmen als Player in der Region, die eher mit Energie-Industrie verbunden wird. „Wir geben hier ein starkes Signal, dass wir als Mittelstand die Region mitgestalten wollen“, sagte Burkhardt Greiff, Präsident des Unternehmerverbands Berlin-Brandenburg.
Höhepunkt des Forums war die Übergabe der Bewerbung für das erste europäische Net Zero Valley an die beiden Landesregierungen. Der Antrag, den die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Lausitz-Runde Anfang des Jahres initiiert hatten, ist in weniger als drei Monaten ausformuliert worden. Die Wünsche und Ideen, die die Lausitzer Wirtschaft mit dieser Sonderwirtschaftszone für Transformationstechnologien verbindet, zogen sich durch die gesamte Konferenz.
Unternehmen fordern schnellere Planung
Mit dem Net Zero Valley soll die Lausitz zu einer Region für CO2-neutrale Technologien werden, wobei der Schwerpunkt auf der Unterstützung lokaler Unternehmen liegt. Den Plan, wie das gelingen soll, präsentierte Markus Niggemann, Beigeordneter aus Cottbus. Niggemann betonte, dass das Valley weit über die CO2-Neutralität hinausgehe. „Das Net Zero Valley zielt darauf ab, vier zentrale Schlüsseltechnologien zu fördern.“ Die Lausitz könne durch Solar, Windkraft und Wasserstoff mehr Energieüberschüsse produzieren. Batteriespeicher und intelligente Stromnetze können zudem Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen und für mehr Sicherheit sorgen.
Dieses Gesamtkonzept hat insbesondere für die Kommunen großen Reiz, die sich durch schnellere Planungsprozesse und einen Schub bei der Digitalisierung viel versprechen. „Gegen das Net Zero Valley kann keiner ernsthaft etwas haben“, sagte Sprembergs Bürgermeisterin Christine Herntier (parteilos), die das Projekt auf mehreren Brüsselreisen in diesem Jahr vertreten hat. Gerade im Angesicht der Schwierigkeiten, mit denen die Lausitz als Wirtschaftsraum noch immer ringt.
Deindustrialisierung ist keine Gefahr
Die warf der Ifo-Ökonom Joachim Ragnitz in aller Drastik an die Wand: Bevölkerungsschwund und Überalterung machen es immer schwerer, geeignete Arbeitskräfte zu finden. Andererseits, so Ragnitz, führe ein solcher Rückgang des oft zu einem Anstieg der Löhne, was zumindest in dieser Hinsicht zu einer Stabilisierung der Region beitragen könnte. Aber damit steht die Lausitz als Region nicht allein da. „Warum sollten Fachkräfte ausgerechnet in die Lausitz kommen?“, fragte der Wirtschaftswissenschaftler in seinem Vortrag – und provozierte damit viel Gegenrede.
Ragnitz betonte, dass kurzfristig keine positiven Effekte des Strukturwandels für die Lausitzer Wirtschaft zu erwarten seien. Die Entwicklung der Unternehmen zu sichtbarer Größe dauere einfach zu lange, insbesondere da Forschung und Entwicklung lange dauern. Um die Wirtschaftsstruktur nachhaltig zu stärken, empfahl Ragnitz mehr Konzentration auf Unternehmensansiedlungen, Gründungen und Startups. Der Ausbau von Infrastruktur und die CO2-Minderung böten dabei vielversprechende Chancen. Ragnitz unterstrich, dass trotz der Herausforderungen keine Deindustrialisierung zu erwarten sei. Vielmehr werde es zu einer Verschiebung der Industriesektoren kommen.
Lausitz wird bekannter
Darüber hinaus ging es in Schwarzheide um den Kohleausstieg und seine sozialen Folgen für die Beschäftigten in der Region. „Das Allerwichtigste wird sein, die Lausitz attraktiv für Fachkräfte von außen zu machen“, sagte Adolf Roesch, der neue Vorstandschef der Leag in einer Runde auf dem Podium. Roesch, der Mitte September überraschend vom Aufsichtsrat ins Amt gesetzt wurde, ist soeben nach Cottbus gezogen. Er hat insbesondere die Fachkräfte für Erneuerbare im Blick, die sein Unternehmen in den nächsten Jahren brauchen wird. Am Projekt Gigawatt-Factory seines Vorgängers Thorsten Kramer will Roesch weiterhin festhalten. „Dafür ist das Net Zero Valley ein Ansatz, der Sinn ergibt“, betonte Roesch.
Auch wenn das Net Zero Valley eine verheißungsvolle Vision für die Region darstellt, bleiben einige Fragen zur praktischen Umsetzung offen. Ob und wie viel Fördergeld für diese Maßnahmen bereitgestellt wird, ist derzeit noch unklar. Einige Unternehmer äußerten ihre Bedenken, ob ihre Unternehmen ohne erhebliche Investitionen mithalten können.
Unter den Politiker:innen der Lausitz überwiegt indes der Optimismus. „Ein Net Zero Valley gibt dem mit viel Bundesgeld unterlegten Strukturwandel die entscheidende Richtung in eine wirtschaftlich starke und grüne Zukunft in der Lausitz“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Kathrin Michel. „Ist die Region dann als Produktionsort von klimafreundlichen Technologien erst einmal international bekannt, werden auch weitere Investoren aus anderen Branchen angezogen.“ Ein Vorschlag zur Einrichtung einer Planungsstelle beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) wurde am Rande diskutiert, um die Ansiedlungsprozesse zu unterstützen. Die Bundesbehörde hat eine Niederlassung in Cottbus.