Kein Anschluss an die Wasserstoff-Autobahn

8. Oktober 2024

HINTERGRUND / KERNNETZ IN SACHSEN UND BRANDENBURG

Die Entscheidung über das Wasserstoffnetz dauert doch länger. Das gibt dem übergangenen Sachsen Zeit, mehr Pipelines durchzusetzen. Doch daran sind bisher schon andere gescheitert.

von Christine Keilholz

Der Entwurf der Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) für das Wasserstoff-Kernnetz 2038 sieht für die Lausitz nur eine Neubauleitung vor – mit Ende in Schwarze Pumpe. Grafik: FNB

Die Verabschiedung der Pläne für das Wasserstoff-Kernnetz verzögert sich. Mitte Oktober sollte das Kernnetz final festgelegt werden. Wie Neue Lausitz nun aus dem Bundestag erfuhr, fällt die Entscheidung frühestens am Monatsende. Damit sind die Würfel bei der folgenschwersten Infrastruktur-Entscheidung der deutschen Wirtschaft zwei weitere Wochen in der Luft. Es dürften wichtige Wochen für die Lausitz werden.

Grund für die Verzögerung ist der Widerstand aus einigen Bundesländern, etwa aus Sachsen, das in den Plänen kaum Berücksichtigung findet. Vorgesehen ist nur eine einzige Leitung, die von Berlin nach Tschechien über sächsisches Gebiet führen soll. Diese eine Leitung ist als Gasleitung bereits vorhanden.

Das provoziert Widerstand in Dresden. „Das Kernnetz kann in dieser Form nicht beschlossen werden“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Lars Rohwer zu Neue Lausitz. „Wenn Minister Habeck die Pläne unverändert rausgibt, dann ist das ein Schlag für Sachsen. Wir werden nicht an die Autobahnen der Zukunft angeschlossen sein.

Zweite Ausbaustufe fraglich

Als Autobahnen hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/die Grünen) das Wasserstoff-Kernnetz bezeichnet, um die Bedeutung dieser Infrastruktur hervorzuheben. Die Botschaft ist angekommen, denn die Regionen bemühen sich um um Anschlussstellen. Doch seit die Netzbetreiber im Sommer 2023 einen ersten Plan vorlegten, brodelt es in den sächsischen Wirtschaftskammern. Die Befürchtung ist groß, bei der wichtigsten Energietransport-Infrastruktur dauerhaft abgehängt zu werden.

Die bisherigen Pläne teilen etwa die Lausitz in brandenburgische Gewinner und sächsische Verlierer. Die vorgesehene Leitung endet in Schwarze Pumpe. Die Oberlausitz, die sich als Wasserstoff-Lieferant wirtschaftlich neu aufstellen will, hat keinen eigenen Anschluss.

Der Chemnitzer SPD-Abgeordnete Detlef Müller versucht auf Anfrage, diese Befürchtungen zu dämpfen: „Was jetzt vorliegt, ist die Planung für die allererste Ausbaustufe. Alles was die Bundesländer mit belastbaren Zahlen geliefert haben, ist berücksichtigt worden.“ Müller betont jedoch: „Nach der ersten Ausbaustufe gibt es auch eine zweite.

Das ist die optimistische Version der Dinge. Es gibt aber auch eine weniger günstige. Die stellt infrage, ob es eine zweite Ausbaustufe überhaupt geben wird. Nach den Bundestagswahlen im kommenden Jahr könnte eine neue Koalition dem Thema Wasserstoff weniger freundlich gesinnt sein als die jetzige.

Kraftwerksstrategie ungünstig

in jedem Fall ist der aktuelle Entwurf auch ein politisches Statement. Er konzentriert die Leitungen an Rhein und Ruhr, wo große Industriecluster großen Bedarf am kommenden Energieträger angemeldet haben. Im Osten sind allein im Großraum Berlin und im Chemie-Dreieck in Sachsen-Anhalt dichte Leitungen mit mehreren Ein- und Ausspeisepunkten vorgesehen.

Damit wird deutlich, welche Regionen von den Netzbetreibern als wirtschaftlich aussichtsreich angesehen werden – und die Netze schaffen dauerhafte Fakten. Am anderen Ende werden Regionen wie die Lausitz bei der Transformation ausgebremst.

Das sah anscheinend auch Thorsten Kramer so. Der vor Kurzem entlassene Vorstandsvorsitzende der Leag hatte massiv versucht, das einzige sächsische Leag-Kraftwerk als Boxberg auf Gas umrüsten zu können. Doch in den ersten Plänen der Kraftwerksstrategie des Bundeswirtschaftministers kommt die Lausitz nicht gut weg. „Ostdeutschland darf in den Ausschreibungen als Energie- aber auch als Wirtschaftsstandort nicht gegenüber dem Süden benachteiligt werden“, warnte Kramer nach der Veröffentlichung der ersten Pläne für die Strategie.

Hilflose Appelle aus Dresden

Die Folgen zeichnen sich bereits ab: Ohne einen Wasserstoff-Großverbraucher in Ostsachsen sinkt das Interesse der Wasserstoff-Netzbetreiber. „Das Henne-Ei-Prinzip trifft uns als Lausitz sehr hart“, sagt Jens Krause, Sprecher des Lausitzer Wasserstoff-Netzwerks „Durch2atmen“. „Unsere Befürchtung ist, dass das mit einer neuen Regierung schwieriger wird, die Mittel nicht mehr in jetziger Höhe zur Verfügung stehen.

Bezeichnend ist, dass nicht einmal das größte ostdeutsche Energieunternehmen beim Bundesministerium für Wirtschaft genug Druck aufbauen konnte, um die Infrastruktur zu bekommen, die in Zukunft die Prosperität ganzer Regionen beeinflusst. Auch Habecks Parteifreunde in Sachsen haben das bisher nicht geschafft.

Sachsens grüner Energieminister Wolfram Günther schickte nach Erscheinen der Pläne im Sommer 2023 hilflose Appelle nach Berlin, dass eine „Ausdehnung des Netzes nötig“ sei. Nun hält sich Günther bei dem Thema öffentlich zurück. Auf Anfrage von Neue Lausitz teilte sein Ministerium mit, man strebe weiterhin an, dass die sächsische Lausitz und der Raum Chemnitz „bei den weiteren Planungen ausreichend berücksichtigt werden“.