Casus sucht ein neues Domizil

22. Oktober 2024

HINTERGRUND / FORSCHUNG IN GÖRLITZ

Um das Center for Advanced Systems Understanding in Görlitz ist es zuletzt ruhig geworden. Dabei geht es jetzt erst richtig los, erklärt Direktor Thomas D. Kühne.

von Christine Keilholz

Thomas D. Kühne ist 44 Jahre alt und leitet seit Mai 2023 die Geschicke von Casus in Görlitz. Seine Aufgabe ist es, die Wissenschaftseinrichtung zu einem weltweit sichtbaren Leuchtturm auszubauen. Möglich ist das, davon ist er überzeugt. „Es wird viel in der Stadt aufgebaut. Natürlich wird man nicht sofort zur Wissenschaftsstadt“, sagt der Professor. Aber Görlitz werde gerade bekannter. Viele in der Wissenschaftsszene hören zum ersten Mal von der Stadt an der Neiße.

Görlitz als Wissensstadt, davon war erstmals vor fünf Jahren zu hören, als Sachsens Ministerpräsident die Gründung von Casus verkündete. Das Center for Advanced Systems Understanding sollte den Ruf der Stadt als IT-Cluster begründen. Doch in jüngster Zeit ist es ruhig geworden um die Einrichtung, die Zugpferd für eine ganze Branche von Datenverarbeitern werden sollte.

Für Direktor Kühne gibt es dafür einen einfachen Grund. Casus hat die Projektphase hinter sich und geht jetzt in die institutionelle Förderung. „Ich sehe meine Aufgabe in der Konsolidierung“, sagt er. „Nach einer Phase schnellen Wachstums fokussieren wir uns jetzt inhaltlich und bauen unsere Stärken aus.“ In dieser Phase wird die Wachstumsrate aber auch geringer.

Knapp über 100 Mitarbeiter sind derzeit an Bord. Darunter viele Jung-Wissenschaftler aus dem Ausland und unterschiedlichen Disziplinen. Was sie eint, ist die Arbeit an komplexen Systemen. Kühne beschreibt es so: „Die Teile eines solchen Systems sind untereinander vernetzt – und das auf oft überraschende und nicht intuitive Weise. Ein typisches Merkmal ist, dass das Wechselspiel der Teile zu Effekten führt, die man mit dem Blick auf die Teile allein nicht sofort erklären kann.“ Damit bietet Casus nach seiner Aussage ein Profil, das es so in Deutschland nicht gibt – und weltweit höchstens in den USA.

Interim im Waggonbau Werk 1

Casus wurde 2019 gegründet als Gemeinschaftsprojekt von vier großen Wissenschaftseinrichtungen. Am Institut beteiligt sind zwei Helmholtz-Zentren, ein Max-Planck-Institut und die TU Dresden. Der Bund hat Casus über die ersten drei Jahre mit zehn Millionen Euro finanziert, der Freistaat Sachsen mit einer Million.

Dieses Konstrukt ermöglichte personellen und inhaltlichen Input von gleich vier hochrangigen Institutionen und beschleunigte den Aufbau. Mit der frohen Botschaft, eine attraktive IT-orientierte Forschungseinrichtung in seine Heimatstadt geholt zu haben, ging Ministerpräsident Kretschmer in die Landtagswahl 2019. Fünf Jahre später ist mit dem Deutschen Zentrum für Astrophysik (DZA) ein noch größeres Wissenschaftsprojekt in den Vordergrund gerückt, das große Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Derweil sucht Casus nach einem neuen Domizil. Das Stadthaus am Untermarkt, das gleich nach der Gründung bezogen wurde, reicht längst nicht mehr für die 100 Mitarbeiter. Deshalb mussten zusätzliche Räume im alten Werk 1 auf dem Fabrikgelände des Waggonbaus Görlitz angemietet werden. Das Domizil ist nicht gerade repräsentativ, ist auch nur eine Interimslösing. Ursprünglich sollte das alte Kondensatorenwerk am Neißeufer für Casus ertüchtigt werden. Doch dieses Projekt erwies sich als schwierig. Wie es weitergeht, darüber hält sich Thomas D. Kühne bedeckt. Nur so viel: Man habe bereits ermittelt, wie viel Platz nötig sei und könne mit der Ausschreibung für die Planungsleistungen beginnen – sobald Bund und Freistaat grünes Licht geben.

Erste Postdocs fertig

Auch inhaltlich ist Casus auf der Suche nach dem gemeinsamen Dach. Die vier Gründungs-Institutionen wollen ihre Forschungsinteressen im Portfolio von Casus repräsentiert sehen. Die erste Generation an Casus-Forschern hat bereits die Postdoc absolviert und bewirbt sich nun auf Professuren oder Jobs in der Wirtschaft. Nach der Aufbauphase ist Casus nun eine Abteilung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf.

Für Kühne gibt es da viel zu synchronisieren. Er hat Informatik an der ETH Zürich studiert. Sein Fachgebiet ist die Entwicklung rechnergestützter Verfahren in der Chemie, der Biophysik oder Materialwissenschaften. Bevor er nach Görlitz kam, hatte er einen Lehrstuhl für Theoretische Chemie an der Universität Paderborn.

Casus macht keine klassischen Experimente in einem Labor, sondern rechnergestützte Wissenschaft. Die Forscher im Werk 1 arbeiten mit Hochleistungsrechnern, Big Data und Künstlicher Intelligenz. „Im Endeffekt versuchen wir, komplexe Systeme zu untersuchen, wie sie funktionieren und nach welchen Regeln sie ablaufen.“ Er sieht die große Stärke darin, für Probleme eine Vielzahl von Lösungen untersuchen zu können. In dieser Breite kann das keine andere Institution, sagt er.