INTERVIEW / LANDRAT STEPHAN MEYER ÜBER DEN GELDMANGEL DER KOMMUNEN UND DIE NEUE BUNDESREGIERUNG
Görlitz ist der Lausitzer Landkreis mit den größten demografischen und wirtschaftlichen Problemen. Landrat Stephan Meyer muss einen Haushalt durchbekommen und Kliniken schrumpfen. An die neue Bundesregierung hat er klare Erwartungen.

Herr Meyer, was muss die neue Bundesregierung jetzt tun?
Das Ergebnis der Bundestagswahl zeigt leider eine klare Trennung innerhalb Deutschlands. Ich erwarte, dass eine neue Bundesregierung sich Ostdeutschland stärker annimmt. Wir sind im Kreis Görlitz in gewisser Weise Vorreiter, was demografische Probleme und finanzielle Schieflage betrifft. Diese Lage wird sich perspektivisch auf ganz Deutschland ausweiten. Deswegen ist für mich eine wichtige Erkenntnis, dass der Osten in der nächsten Bundesregierung besonders in den Fokus rücken muss.
Wie konkret?
Natürlich braucht die neue Bundesregierung ostdeutsche Minister für Schlüsselministerien. Die Ostdeutschen verdienen Wertschätzung auf Augenhöhe. Da helfen Aussagen von Friedrich Merz nicht weiter, die widerspiegeln, dass er den Osten nicht ganz verstanden hat. Ich sage nicht, wir brauchen eine Sonderwirtschaftszone, denn wir sind in vielen Bereichen besser aufgestellt als der Westen. Es geht vielmehr darum, wie man mit den Menschen umgeht, die sich ungerecht behandelt fühlen, sei es bei der Lohnentwicklung oder bei den Renten.
Bei der Bundestagswahl konnte die AfD trotz rechtsextremer Botschaften fast alle Ost-Wahlkreise holen. Warum?
Die AfD profitiert von Krisen. Und wirtschaftliche Krisen treffen uns im Osten besonders. Wir haben viele Betriebe, die den Firmen im Westen zuliefern oder zu solchen Firmen, als verlängerte Werkbank, gehören. Wenn eine Rezession kommt, konzentrieren sich diese Unternehmen oft auf ihren Stammsitz in Westdeutschland und lassen den Osten fallen. Der Osten ist, was das betrifft, wirklich abgehängt. Da ist eine Verlustangst, dass alles verloren geht, wenn die Politik die Sachen nicht regelt. Mit dem diffusen Thema der ungesteuerten Migration lassen sich im Osten immer wieder Ängste schüren und folgerichtig Wähler für die AfD mobilisieren. Das ist die Existenzgrundlage der AfD, die ansonsten wenig vorzuweisen hat.
Warum gelingt es der CDU nicht mehr, dem etwas entgegenzusetzen.
Wir haben mit dem Strukturwandel zu hohe Erwartungen geweckt und nicht klar kommuniziert, was darunter zu verstehen ist, nämlich die positive Transformation der Wirtschaft über Jahrzehnte. Viele haben daraus geschlossen, jetzt kommt das große Geld und morgen sind blühende Landschaften da. Wir haben nun einen aufwendigen Prozess, in dem viele ihre Wünsche anmelden, aber nicht mehr alles finanziell möglich ist. Es kann sein, dass das einige Menschen frustriert. Ich denke, es geht jetzt darum, dass die Vorhaben, die beschlossen wurden, auch umgesetzt werden damit die Leute spüren, dass sich etwas in ihrem Sinn bewegt.
Seit der Kommunalwahl 2024 ist die AfD stärkste Fraktion im Kreistag. Wie läuft das für Sie?
Falls Sie auf die Brandmauer anspielen, von der habe ich von Anfang an nichts gehalten. Das ist ein politischer Begriff, der mit der Praxis wenig zu tun hat. In meinem Kreistag hat keine Fraktion eine eigene Mehrheit, ich muss um jede Stimme kämpfen und kann nicht auf die Partei schauen. Auf kommunaler Ebene muss es um die Sache gehen und dass ist auch mein Eindruck. Wir müssen uns zusammentun, um mit möglichst starker Stimme bei Land und Bund etwas zu erreichen. Die haben uns letztlich viele Probleme eingebrockt.
Wie wird man sich in der Sache einig, wenn es um Einsparungen geht?
Nicht leicht. Wir beraten seit Dezember intensiv über den Haushalt. Jetzt trudeln immer mehr Anträge ein, die sagen: Spart bitte nicht bei mir. Alle freiwilligen Aufgaben, Kultur, ÖPNV, jede einzelne Buslinie steht infrage. Denn alles zusammen werden wir uns dauerhaft nicht leisten können. Jeder Kreisrat muss sich im Zweifel vor der Bürgerschaft rechtfertigen, wenn er dafür die Hand gehoben hat. Vergessen sollten wir auch nicht, dass unsere Kreisräte ihre Aufgabe im Ehrenamt wahrnehmen und keine Berufspolitiker sind. Ich höre jetzt auch öfter: Dann spart doch bei der Verwaltung! Das bedeutet dann aber, dass Verfahren länger dauern und Bürgerbüros schließen müssen. Ich glaube nicht, dass das die Bürger zufriedener macht.
Aber wo wollen Sie dann sparen?
Die Frage muss der Bund beantworten. Nur wenn Leistungsgesetze des Bundes zurückgefahren werden, bekommen wir auf Kreisebene wirklich eine Entlastung…
Sie meinen das Bürgergeld?
Ja, zum Beispiel. Wir müssen uns wieder auf die Aufgaben konzentrieren, den Schwächsten in der Gesellschaft zu helfen. Nicht aber Menschen, die es nicht wirklich brauchen. Das würde uns im Kreis Görlitz deutlich entlasten. Wir mussten ein Gutachten zum Kreishaushalt erstellen lassen. Da kam raus: Wenn wir alles Freiwillige streichen, haben wir nicht mehr 100 Millionen Euro Defizit, sondern nur noch 60 Millionen – pro Jahr. Ich bin jedenfalls nicht bereit, ein Theater oder die Volkshochschule zu schließen, um das Minus nur ein bisschen zu verkleinern, ohne das eigentliche strukturelle Problem zu lösen.
Sie planen Einschnitte bei den Krankenhäusern im Kreis.
Wir sind auf dem Weg zu einer Neustrukturierung unserer Gesundheitszentren. Dieser wird aber nicht zu einer schlechteren Versorgung führen. Wir müssen weg von diesen Denkmustern und starren Strukturen, dass wir so strikt trennen zwischen ambulant und stationär. Viel an Versorgung und guter Behandlung findet dazwischen statt. Wer Krebs hat, fährt schon jetzt in die Uniklinik nach Dresden. Das wird sich nicht ändern, wenn wir hier Kapazitäten aufstocken. Wer ein Baby bekommt, hat einige Geburtsstationen zur Auswahl und hält sich nicht an Gemeindegrenzen oder Ähnliches. Die Leute haben die Wahl und nutzen sie. Das ist ihr gutes Recht, aber das macht für uns diese Veränderungen nötig.
Was ist Ihr Plan?
Wir müssen das Klinikum Ebersbach auf ambulante Leistungen ausrichten und sind in konkreten Planungen zur Einrichtung einer geriatrischen Rehabilitationseinrichtung. Dafür gibt es auch aus Sicht der Krankenkassen Bedarf. Das heißt: Es gibt eine Nachnutzung, es wird weiterhin medizinisches und pflegerisches Personal gebraucht. Das ist unsere Botschaft: Hier bleibt ein medizinischer Standort erhalten. Aber so, dass wir ihn dauerhaft betreiben können und dass er wirklich Versorgung sicherstellt. Im Muldental und im Erzgebirge gehen Kliniken insolvent. Wenn wir das verhindern wollen, müssen wir jetzt handeln. Auch wenn es Veränderung bedeutet.
Stephan Meyer, 43, ist seit September 2022 Landrat von Görlitz. Der promovierte Wirtschaftsingenieur ist in Zittau geboren und lebt in Oderwitz. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter in Zittau und 13 Jahre lang Abgeordneter im Sächsischen Landtag für die CDU, der er seit 1999 angehört. Mit Stephan Meyer sprach Christine Keilholz.