ANALYSE / LANDESHAUSHALT IN SACHSEN
Im Dresdner Landtag hat sich die Macht verschoben. Die einst unangefochtene CDU ist auf Hilfe angewiesen von Parteien, auf die sie lange herabschaute. Funktioniert das Experiment Minderheitsregierung?
von Robert Saar
Das rot-grüne Schlagwort „Investitionen in die Zukunft“ ist der rhetorische Konter zur CDU-Phrase von der Generationengerechtigkeit. In früheren Jahren hätte es dazu wohl eine hitzige Debatte im Parlament gegeben. Und danach einen Haushalt im Sinne der Regierung. Heute muss sich die Union mit jenen an einen Tisch setzen, die genau das fordern: Kredite. Die Kaltschnäuzigkeit einer 40-Prozent-Union ist verschwunden. „Ich hatte in den letzten Wochen mehr Kontakt zur CDU als in allen vorherigen Legislaturen zusammen“, stellt der Linken-Haudegen Rico Gebhardt fest. Gebhardt sitzt seit 2004 im Landtag.
Paradox ist es schon. Der größte Haushalt der sächsischen Geschichte ist begleitet vom allgegenwärtigen Sparzwang. Kaum ein Ministerium bleibt verschont. Eine Steilvorlage für die Opposition, sich gegen schmerzliche Kürzungen im Entwurf von Finanzminister Christian Piwarz (CDU) stark zu machen. Und erstmals hat diese Opposition tatsächlich Macht.
Das Haushaltsverfahren ist der erste wahre Härtetest unter diesen neuen Umständen. Die Minderheitsregierung muss beweisen, dass sie sich behaupten kann – und dass sie mit der Opposition Mehrheiten bilden kann. In den nächsten Wochen zeigt sich, ob gelingt worauf sich alle nach den Landtagswahlen geeinigt haben: die 30 Prozent Rechtsextremismus im Parlament konsequent ausgrenzen.
Streitpunkt Schulden
Sachsen streitet über Schulden. Dabei verläuft die Konfliktlinie quer durchs Parlament und die Regierung. Die CDU ist dagegen und in der Frage bisher eisern: keine neuen Schulden mit der Union, lautet die Ansage. Man müsse eher Bürokratie abbauen und die Wirtschaft ankurbeln, anstatt mit Geld um sich zu werfen. So rigoros sieht das sonst nur die AfD. Die demokratische Opposition will aber keinem Haushalt zustimmen, der Kredite verbietet.
Die SPD ist im Grunde dafür, will aber den Koalitionspartner nicht vergrätzen. „Ich bin mir sicher: Wir werden in dieser Legislatur nicht ohne neue Kredite aus der Krise kommen,“ so drückte es SPD-Fraktionschef Henning Homann aus. Im Klartext: diesen Haushalt ohne Schulden, dafür dann im Nächsten neue Kredite (2027/28). Sachsen verabschiedet stets Doppelhaushalte für zwei Jahre.
Die Grünen, die bis vor einem halben Jahr mitregierten, zeigen sich nun kämpferisch. „Wir brauchen die Kreditaufnahme“, sagt Fraktionschefin Franziska Schubert. Die Grünen fordern Mehrausgaben im Wert von 1,7 Milliarden Euro, 700 Millionen davon sollen durch Kredite finanziert werden. Die erfahrene Finanzpolitikerin Schubert betont, dass ihre Forderungen sauber gerechnet und gedeckt seien. So genau gerechnet haben die Linken nicht. Doch auch sie wollen, wie die Grünen, die vom letzten Bundestag im März geschaffene Möglichkeit zur Kreditaufnahme nutzen. Die erlaubt den Ländern jährliche Neuverschuldung im Wert von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – also rund 700 Millionen Euro.
Doch die CDU gibt sich kompromisslos: Höchstens über Umschichtungen und Haushaltsreste sei man gesprächsbereit – nicht über Schulden. Ob eine Minderheitsregierung mit dieser Taktik eine Mehrheit im Parlament für ihren Haushalt bekommen kann?
Geld ist weniger wert
Inflation, Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst und wirtschaftliche Stagnation erhöhen die Kosten. Ein in etwa gleich großes Budget bedeutet unter diesen Umständen de-facto weniger Geld. Gegen diese Kürzungen etwa im Bau und Sozialbereich gibt es seit Wochen Proteste. Finanzminister Piwarz zog indes alle Register, um Kredite zu verhindern. Er will die Haushaltsrücklage von 1,3 Milliarden Euro auflösen, die Rückzahlung von Corona-Krediten strecken und ordnet ein quasi-Moratorium bei Bau-Investitionen an. Bis auf zwei Ausnahmen in Dresden baut der Freistaat zwei Jahre lang nichts Neues.
Das Ministerium für Infrastruktur und Landesentwicklung (SMIL), kriegt als eins der wenigen Häuser mehr Geld – allerdings auch neue Aufgaben. Das SMIL, zuständig für den Strukturwandel, verliert die Hälfte seiner freien Mittel und damit viel Gestaltungskraft. Die Gelder des Strukturwandels selbst stehen aber nicht zur Debatte, stellte das SMIL auf Anfrage klar.
So viel Glück wie der vorsichtig austarierte Kohle-Kompromiss haben nicht alle Haushaltsposten. Allein die gestiegenen Personalkosten für Sachsens rund 96.000 Beschäftigte – von denen knapp 400 abgebaut werden sollen – liegen bei über 860 Millionen Euro. Über 20 Prozent des Gesamthaushalts fließen in Gehälter – das sind rund 13 Milliarden Euro über zwei Jahre. Selbst die Häuser, deren Budget stabil bleibt, müssen also sparen.
Neue Macht der Opposition
Im Sparzwang werden manche kreativ. Kultusminister Conrad Clemens (CDU) plant, einen Teil seiner populären Schulassistenten künftig vom Bund zahlen zu lassen über ein Programm, das explizit zusätzlich wirken soll, wie Berlin betont. Wer keine Bundesmittel plündern kann, muss kürzen.
Wo Kreativität nicht weiterhilft, wird über politischen Rückzug nachgedacht, um die härtesten Haushaltsverhandlungen der sächsischen Geschichte schadlos zu überstehen. Würden sich Grüne, Linke und BSW enthalten, während die Regierung zustimmt, wäre der Haushalt angenommen. Egal, was die AfD und der Einzelabgeordnete Matthias Berger (Freie Wähler) machen. Für Union und SPD wäre es einfacher, statt der aktiven bloß die passive Zustimmung auszuhandeln. Und die anderen hätten nicht unterschrieben, was sie nicht befürworten, aber Verantwortung fürs Land gezeigt: ohne regulären Haushalt droht Sachsen und vor allem seinen Kommunen eine „Katastrophe“. So beschreibt es SPD-Fraktionschef Homann.
Die Katastrophe ließe sich am einfachsten mit dem BSW vermeiden. Mit 15 Sitzen hat die Fraktion genug, um der Regierung zur Mehrheit zu verhelfen. Doch in der Partei Sahra Wagenknechts haben sich zwei Flügel um die Spitzen gebildet. Die erfahrene Co-Chefin Sabine Zimmermann will Kredite. Der Unternehmer Jörg Scheibe steht mit seinen Leuten der CDU näher. Im Landtag spotten manche, Scheibe habe vergessen, dass er nicht mit der CDU regiert. Es müssten „im Zweifel auch Kredite aufgenommen werden“, erklärt die Fraktion auf Anfrage. Ob das BSW einheitlich abstimmen würde, bleibt unbeantwortet.
Frakturen und Rochaden
Nun hat sich auch die AfD sich in die Verhandlungen eingeschaltet. Die Rechtsextremen, mit denen die anderen nicht verhandeln, haben drei Bedingungen: keine Schulden, sofortige Rückzahlung der Corona-Kredite und substantieller Personalabbau. Würden die erfüllt, sei man „als AfD bereit, einen solchen Haushaltsentwurf zumindest nicht abzulehnen“, wie es Haushaltssprecher André Barth ausdrückte. Es gäbe eine klare Mehrheit gegen Schulden im Landtag, ist der Anwalt aus Dresden überzeugt, der seit 2014 im Landtag sitzt und bis 2010 SPD-Mitglied war. Die AfD richtete ihr Angebot nur an die Union, nicht an die SPD. Ein durchschaubarer Versuch, die CDU aus dem demokratischen Lager zu lösen und die Brandmauer zu einzureißen.
Die Verhandlungen stecken fest – nicht zuletzt wegen der eisernen CDU-Linie beim Thema Schulden. Und in der Union rumort es. Eine kleine Gruppe am äußere Rand des Konservatismus will mit der AfD kooperieren. Darunter sind der einstige Landtagspräsident Matthias Rößler, Bautzens Landrat Udo Witschas und der Abgeordnete Sven Epperich. Dennoch bleibt es unwahrscheinlich, dass die CDU mit der AfD einen Haushalt beschließt. Allen voran der Ministerpräsident ist gegen jede Zusammenarbeit mit der AfD. Und noch ist Michael Kretschmers Bindungskraft in der Partei stark.