Aus der Schlusslicht-Rolle beim Ausbau der Windkraft wollte Sachsen nie wirklich raus. Zu groß war die Angst um die Herzen der Menschen im ländlichen Raum. Nun soll mit neuen Abstandsregeln alles besser werden. Denn ohne mehr grünen Strom geraten die Ziele des Strukturwandels in Gefahr.
Von Anja Paumen
Der Wind, der in Brandenburg weht, dreht nicht plötzlich an der Landesgrenze zu Sachsen. Die Windkraft aber schon. Die jetzt vorgelegten Zahlen zum Ausbau der Windenergie an Land in Deutschland zeigen, dass Brandenburg hierbei in der Champions League spielt – und Sachsen um den Klassenerhalt kämpft. Mit 104 neu aufgestellten Windenergie-Anlagen im Jahr 2021 liegt Brandenburg mit Niedersachsen gleichauf an der Spitze der Bundesländer. Sachsen hat derweil ein einziges neues Windrad 2021 – nur Bremen und Hamburg haben weniger errichtet: keins.
Übersetzt man das in die netto neu geschaffene Energieleistung, hat Brandenburg 396 Megawatt neu installiert – Sachsen aber minus sieben. Das Minus im Netto bedeutet, dass die Leistung der neuen Windräder mit denen, die abgeschaltet wurden, verrechnet wird. Schließlich fallen jedes Jahr Windenergieanlagen aus der EEG-Förderung heraus und werden entweder zurückgebaut oder aufgerüstet (repowert). Sachsen hat ein Windrad aufgestellt und gleichzeitig acht zurückgebaut.
Daher kommentiert Wolfram Axthelm die Zahlen so: „Es gibt de facto keinen Ausbau der Windenergie in Sachsen und das passt zu einem Bundesland, das wie kein anderes vom Kohleausstieg betroffen ist, in keiner Weise.“ Der Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie (BWE) sieht einen Widerspruch zur gerade beschlossenen sächsischen Wasserstoff-Strategie. „Wo soll der grüne Wasserstoff denn herkommen?“, fragt Axthelm.
1000 Meter Abstand ab fünf Häuser
Die Herstellung von Wasserstoff muss mit erneuerbarer Energie erfolgen, sonst ist sie für den Klimaschutz sinnlos. Schließlich ist das übergeordnete Ziel, die CO2-Emissionen zu senken. Das wird auch für die Wirtschaft immer drängender. So werden erneuerbare Energiequellen vor Ort zum wichtigen Standortfaktor für Investitionen und Neuansiedlungen. Aber auch bestehende Betriebe müssen zukünftig klimaneutral oder mit immer weniger CO2-Ausstößen produzieren.
Sachsen verringert jetzt seinen politischen Gegenwind mit der Neufassung der Bauordnung. Darin wird die Abstandsregel, die für neue Windräder zur Wohnbebauung einzuhalten ist, konkretisiert. Die alte Formulierung stand schon im Koalitionsvertrag, ließ aber zu viel Interpretationsmöglichkeit offen. Das blockierte die schnelle Ausweisung neuer Flächen wegen mangelnder Rechtssicherheit.
„Es gibt de facto keinen Ausbau der Windenergie in Sachsen“, sagt BWE-Chef Wolfram Axthelm, „das passt zu einem Bundesland, das wie kein anderes vom Kohleausstieg betroffen ist, in keiner Weise.“ Foto: BWE/Silke Reents
Ausformuliert wurde jetzt, dass der 1.000 Meter Mindestabstand außerhalb einer Siedlung nur dann gilt, wenn dort „fünf oder mehr Wohngebäude“ stehen. Ein einzelnes Gehöft auf freier Fläche ist damit eindeutig von der Bannmeile ausgenommen. So bleibt mehr Fläche für Windräder. Auch können Gemeinden den Mindestabstand im Außenbereich oder für das Repowering unterschreiten. Für Wolfram Axthelm liegen darin große Chancen: „Bis 2025 fallen 674 Megawatt installierte Leistung in Sachsen aus der Förderung heraus“, sagt er. „Viele dieser Anlagen sind für das Repowering geeignet.“ Diese könnten gleich aufgerüstet werden.
200 neue Windräder bis 2025 nötig
Das Kabinett hatte letztes Jahr sein Energie- und Klimaprogramm Sachsen 2021 beschlossen und darin konkrete Kurzfristziele für den Zubau der Windkraft festgelegt. Allein um sie in den nächsten drei Jahren zu erreichen, müssten nach Auskunft der Sächsischen Energieagentur (Saena) insgesamt bis zu 200 neue Windräder in Sachsen entstehen.
Eine Zahl, die Brandenburg in Windeseile erreichen wird, wenn alles so läuft wie bisher. Die Abraumhalden der alten Tagebaue sind in beiden Kohleländern mögliche Aufstellflächen. Brandenburg hat davon schon regen Gebrauch gemacht und die Wirtschaft profitiert. Allein die Tesla Gigafactory in Grünheide bei Berlin zieht weitere Investitionen nach sich. Nach dem Willen der Landesregierung soll sich Brandenburg zu einem Zentrum der europäischen Elektromobilität entwickeln.
Politisch ist Windkraft in Brandenburg schon lange im Aufwind. Dass das so bleiben soll, zeigt auch die neue Abstandsregel, die von der Landesregierung vor Kurzem ins Parlament eingebracht wurde. Einzelne Gebäude außerhalb der Siedlung sind nur dann mit einem Schutzabstand von 1.000 Metern zu versehen, wenn sie „in Gebieten mit Bebauungsplänen“ stehen, heißt es. Diese Formulierung im Windenergieanlagen-Abstandsgesetz lässt der Windkraft mehr Raum als in Sachsen, denn Bebauungspläne im Außenbereich sind die Ausnahme. Auch für das Repowering sind die Hürden niedrig. Denn alte Windenergieanlagen, die zum Nachrüsten in Frage kommen, stehen nicht innerhalb von Ortschaften, sondern auf Freiflächen am Ortsrand. Auch hier können die 1.000 Meter Abstand unterschritten werden.
Mehr Flächen und kürzere Verfahren
Brandenburg hat die Nase im Wind. Das zeigt sich am Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch. Er liegt im Jahr 2019 bei rund 90 Prozent. In Sachsen hingegen bei rund 20 Prozent. Solche Unterschiede soll es nach dem Willen der neuen Bundesregierung nicht mehr geben. Die Ampel-Koalition hat den Klimaschutz und die Umrüstung der Energieerzeugung zu einer nationalen Aufgabe erklärt. Deswegen will sie zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands für Windenergie zur Verfügung stellen. Nur so, gemäß Studienlage, kann es gelingen, dass im Jahr 2030 der Strom in Deutschland zu 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen kommt. Heute sind es über 40 Prozent. Das ist gut, aber lange nicht ausreichend. Deswegen, so äußert sich das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, steht jedes Bundesland in der Verantwortung mitzuwirken. Dazu brauche es neben kürzeren Genehmigungsverfahren auch deutlich mehr Flächen.
Von einer bundeseinheitlichen Regelung für die Aufstellung von Windrädern kann keine Rede sein. Wie schon die unterschiedlichen Abstandsregeln zeigen, ist das Ländersache. Die Ausweisung der Flächen geschieht durch Landesbehörden, die so genannten regionalen Planungsgemeinschaften oder -verbände. Mit den neuen Gesetzen sollen die Planungsbehörden nun schneller planen und größere Flächen als geeignet ausweisen können.
Auch für die Kommunen und Bürger soll es mehr Klarheit geben. Dann, so hofft die Politik, könnte auch die Akzeptanz wachsen. Deswegen ist die Abstandsregel zu Windrädern von der früheren Bundesregierung auch eingeführt worden. Es ging nicht um gesundheitliche Bedenken, Sicherheitsstandards oder technische Notwendigkeiten. Die 1.000 Meter hätten auch 400 oder 2.000 Meter sein können. Es ging um Akzeptanz bei ausreichender Fläche für den Ausbau. Der Umbau der Energiewirtschaft verändert das gewohnte Bild von Landschaft. Es werden mehr Windenergieanlagen in den Blick rücken. Trotzdem muss erkennbar bleiben, wozu sie da stehen – für die Mammutaufgabe dieser Generation: Die Energieversorgung zu sichern, neue Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzeitig die Emissionen zu senken.