Sensoren für den Aufschwung

Bei einer Präsentation auf dem sogenannten iCampus belegt die BTU, wie weit der Cluster aus Mikrosensorik und Künstlicher Intelligenz schon ist. Es fehlen lediglich die Werkbänke – und die Leag auf dem Campus.

von Christian Füller

Bei Zukunftskongressen in der Lausitz trifft man in der Regel auf Förderpoesie und viele Nullen. Reden werden im Konjunktiv gehalten. Die Höhe der Zuschüsse ist schwindelerregend. Die praktische Relevanz bleibt meist klein. Ganz anders war das, als sich vergangene Woche der Innovations-Campus auf dem Gelände der BTU Cottbus-Senftenberg präsentierte, um eine Förderung von 20 Millionen Euro bekannt zu geben.

Noch bevor die großen Reden geschwungen wurden, konnte man eine ganze Reihe von Prototypen begutachten, die in dem Cluster von Universität, Fraunhofer- und Leibniz-Instituten entstanden sind. Viele von ihnen sind  bereits marktreif. Der wichtigste Vorstandsvorsitzende aus der Lausitz war auch da, Thorsten Kramer von der Lausitz Energie AG (Leag). Er signalisierte: Ich bin einer von Euch, Campus wollen wir auch. Die anwesenden Forschungspräsidenten ermunterten ihn. 

Drohnenschwärme könnten aufsteigen – dürfen aber nicht

Am Bahnwerk in Cottbus muss erst gebaut werden, ehe dort 1.200 Leute in Lohn und Brot kommen. Die großen Forschungsinstitute müssen sich noch einleben. Aber die Drohnenschwärme des Cottbuser „Instituts für Technische Informatik“ könnten sofort aufsteigen. Das Stichwort heißt „effiziente Überwachung und Bearbeitung großer Gebiete und die Koordination komplexer Teilaufgaben“. Oder einfacher: intelligente Landwirtschaft. Sie fußt darauf, dass der Bauer den Boden nicht mehr zu Fuß erkundet. Was auf der Scholle (ver-)blüht, erkennen die fliegenden Objekte aus der Luft viel besser. Es ist eine Kombination aus Kameras und kleinen KI-Rechenzentren, mit denen die Drohnen bewaffnet sind. Sie kombinieren die Daten der optischen Überwachung zu einem Lagebericht für den Bauern – der dann ernten, spritzen, reagieren kann. Einen Schönheitsfehler hat Smart Farming noch: Laut Gesetz darf eine Person nur jeweils eine Drohne steuern und verantworten. Die BTU möchte allerdings ganze Geschwader fliegen lassen. 

Anders ist es mit der vorausschauenden Materialprognose von Peter Langendörfer. Der Professor  für „Sicherheit in pervasiven Systemen“ könnte schon morgen loslegen, um mit seinen Sensoren in Werkhallen zu erkunden, wo ein Ermüdungsbruch bevorsteht oder ein Bohrkopf ersetzt gehört. Bei der kleinen Demonstration des Professors wird deutlich, was das bringen könnte. Langendörfer verletzt sich einen Finger an einem deformierten Bohrer. Weder das Werkstück noch der Bohrer würden jetzt zu bluten anfangen wie der Forscher des Leibniz-lnstituts für innovative Mikroelektronik. Aber die Maschinen können kaputt gehen, wenn Ersatzteile zu spät eingebaut werden. Und die Produkte wären Ausschuss. 

Das erzählt Langendörfer der Wissenschaftsministerin Brandenburgs, Maja Schüle (SPD), die aufmerksam zuhört. Im Audimax wird sie später den iCampus von innovativ in imposant umtaufen. Aber es geht nicht mehr um Rhetorik, sondern um ausgründen, liefern und verkaufen. Um Aufschwung. Und dafür hat Schüle feine Sensoren. Auch das Gesetz, das den Drohnenschwärmen im Wege steht, hat sie bereits auf dem Radar. Anders als die Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die nur ein aufgenommenes Grußwort geschickt hat, ist Schüle persönlich nach Cottbus gekommen. Sie weiß, warum sie das tut. 

Wirtschaft auf dem Campus – auch ohne konkretes Projekt

Im Hörsaal fliegen die Superlative nur so umher. Harald Schenk, Chef des iCampus, der in Wahrheit ein Cluster (wie man in der Spitzenforschung sagt) aus einer ganzen Reihe von Instituten ist, spricht von „der interessantesten Location Deutschlands, vielleicht Europas“. Doch das ist die einzige Vergrößerung des Professors für Mikro- und Nanotechnik, die einem an diesem Abend utopisch vorkommt. Es wird gar nicht mehr so viel von Forschung gesprochen. Die Umsetzung in Prototypen und der Transfer auf den Markt ist das große Thema. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, ist aus München angereist, um auf die feine Balance zwischen staatlicher Förderung und wirtschaftlicher Eigeninitiative hinzuweisen. Der Staat müsse fördern – und dann rechtzeitig loslassen, damit Ausgründungen und Transfer-Betriebe sich freischwimmen könnten.

Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Matthias Kleiner, betont, wie wichtig es jetzt sei, dass die Forscher auf dem Campus nicht nur unter sich bleiben. Bei ihm zu Hause in Dortmund hätten sich die Unternehmen auf dem Campus angesiedelt, „ohne konkrete Projekte zu haben“. Einfach nur, um da zu sein, wo die Innovationen entstehen. Wie ein intelligenter Bär, der sich an die richtige Stelle im reißenden Bach stellt, damit ihm die Lachse ins Maul hüpfen. 

Darf es noch ein Campus mehr sein?

Kleiners Worte haben einen Adressaten. Es ist Thorsten Kramer, der Vorstandsvorsitzende der Leag, des zweitgrößten Energieversorgers der Bundesrepublik. Ein Boss also, den man sonst nicht in Hörsälen zu sehen bekommt. Hier bekam man ihn sogar zu hören. Kramers Botschaft war eindeutig: Ich bin einer von euch Innovatoren, gibt der 59-jährige zu verstehen. Er lästert vorsichtig über die traditionelle Energiegewinnung aus Kohle. Und vergisst die verkrusteten Strukturen des Unternehmens nicht zu erwähnen. Kramer ist ein in der Wolle gefärbter Manager für erneuerbare Energien. Er überzeugt sich später selbst von den Prototypen, während die anderen sich schon mit Wein zuprosten. Im Hörsaal hatte er vorher gesagt, dass er die Idee eines Campus auch für die Leag erwägt. Kramer meint einen Campus in den Hallen des Energieriesen. 

Darauf bezieht sich Matthias Kleiners Bemerkung. Der Wissenschaftsmanager will dem Wirtschaftsmanager sagen: Ihr von der Leag gehört hierher, direkt auf den iCampus, wo die Lachse sich den Strom hinaufkämpfen. Kleiner weiß, wovon er spricht. Er war vier Jahre lang in Cottbus einer der Gründungsprofessoren der BTU. Er hat erlebt, was es bedeutet, wenn man 15 Jahre verliert. Als Kleiner nämlich Präsident der größten und wichtigsten Deutschen Forschungsgemeinschaft war, der DFG, verlor die Brandenburger Landesregierung die Uni Cottbus aus den Augen – und kürzte und legte sie zusammen. Das darf nicht noch einmal passieren.

Dies ist ein Text aus dem Neue Lausitz Briefing vom 21. Juni 2022.

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