Der Ruf nach Bevorzugung der kernbetroffenen Kommunen geht am Zweck des Strukturwandels vorbei. Denn der ist längst keine Kompensationspolitik für Kohleorte mehr – sondern ein offener Wettbewerb.
von Christine Keilholz
Caren Lay hat von der Strukturförderung in der Lausitz keine hohe Meinung. „Die Verteilung der Fördermittel ist nicht gerecht“, sagte die Linken-Politikerin kürzlich im Bundestag. „Diese müssen nach Hoyerswerda, Senftenberg oder Weißwasser fließen und nicht in ein Forschungszentrum am Rand von Berlin.“ Lay und ihre Fraktion hatten eigens eine Debatte im Bundestag initiiert.
Hoyerswerda, Senftenberg und Weißwasser dürften durch die Kohledebatte inzwischen bundesweit ein Begriff sein. Aber warum sollten diese Städte mehr Anrecht auf Fördergeld haben als Forst, Elsterwerda oder Löbau? Dass Kernbetroffenheit auch Kernförderung nach sich zieht, mag dem Gerechtigkeitsempfinden in einigen Rathäusern entsprechen, die nah an der sprichwörtlichen Tagebaukante liegen. Es wäre aber für die Entwicklung der Region nicht sinnvoll. Kurzum: Strukturförderung darf nicht danach gehen, welcher Ort die meisten Probleme hat. Sondern das meiste Potenzial.
Fördergebiet bis kurz vor Berlin
Der Streit um die Kernbetroffenheit basiert auf einem Widerspruch im Design des Strukturwandels. Gestartet ist das 40-Milliarden-Euro-Paket für die Kohlereviere im Jahr 2019 mit dem Versprechen, die Kraftwerksstandorte und Tagebau-Anrainer für den Verlust an Wirtschaftskraft zu entschädigen, der durch den Kohleausstieg erwartet wurde. Nach einem langen Verhandlungsprozess kam eine Förderkulisse heraus, die den Entwicklungsplänen der Kohleländern entgegenkommen sollte. Für die Lausitz wurde das Geld auf sechs Landkreise verteilt. Darunter auch Orte, die nie eine Kohlegrube oder eine Brikettfabrik hatten.
Zwei Jahre nach dem Kohleausstiegsbeschluss lässt sich feststellen: Dieser Ansatz funktioniert. Strukturwandel ist nicht mehr eine reine Kompensationspolitik für die Standorte der Braunkohlewirtschaft. Sondern ein Booster für eine ganze Region. Die verfügt nun mal neben Kraftwerken auch über Wohnorte, Landstädte, Verkehrszonen und Dörfer.
Und ja: Eine ländliche Region lebt auch von der nächsten Großstadt. Die Außenstelle des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Wildau – das gescholtene Forschungszentrum am Rand von Berlin – war zwar ein Aufreger in Cottbus, wo man das 310 Millionen Euro schwere Projekt lieber gesehen hätte. Doch es reicht ein Blick in die Pendlerstatistik, um zu erkennen, dass die Lausitz viel davon haben kann, wenn die Ausfallstraße aus Berlin mit Forschungseinrichtungen gesäumt wird. Gleiches gilt für eine sächsische Landesuntersuchungsanstalt (LUA), die in Bischofswerda gebaut wird, was auf kurzem Weg nach Dresden liegt.
Görlitz zieht Nachbarstädte mit
Für einige Kommunen ist das enttäuschend. Gerade für jene, die die Strukturstärkung beim Bund durchgekämpft hatten – aus der Angst heraus, dass aus den Kraftwerken Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Boxberg leere Hüllen werden könnten und aus Wohnsiedlungen triste Brachen. Weißwasser und Spremberg sind von Anfang an die stärksten kommunalen Stimmen der Lausitz. Die von ihnen ins Leben gerufene Lausitz-Runde ist aber längst nicht mehr auf die kernbetroffenen Gemeinden beschränkt. Auch Finsterwalde oder Vetschau gehören inzwischen zum Bündnis. Damit werden die Interessen der Kommunen vielschichtig.
Was sich auch zeigt: Nicht alles funktioniert überall. Ein Referenzkraftwerk mag im Industriepark Schwarze Pumpe gut aufgehoben sein. Ein Forschungsinstitut nicht unbedingt. Neue Industrien brauchen andere Standortfaktoren als die Kohlewirtschaft. Der öffentliche Sektor, der immer mehr zum Jobmotor wird, hat andere Bedürfnisse an Anbindung. Somit ist der Strukturwandel auch zu einem offenen Wettbewerb der Kommunen geworden – um Ansiedlungen, Zuzügler und Zukunftschancen. Im Vorteil sind dabei jene Verwaltungen, die es schaffen, kreative Köpfe zu mobilisieren und aus ihren Mitteln mehr zu machen als vorher.
Deutlich zeigt sich das in Ostsachsen. Hier ging es beim Rennen um die Förderprojekte immer auch um die Frage, welche Stadt das neue Zentrum zwischen Dresden und Polen wird. Dass dabei Görlitz als Heimatstadt des Ministerpräsidenten einen gewissen Vorrang genießt, hat in den umliegenden Städten reichlich Trotzenergie freigesetzt. Tatsächlich ist Görlitz mit Forschung reich beschenkt worden – zuletzt mit dem Großforschungszentrum. Aber im Wettbewerb um diesen größten Preis von allen haben auch Hoyerswerda oder Weißwasser Kontakte zu Universitäten geknüpft und damit bei wichtigen Zielgruppen für sich werben können.
Dies ist ein Beitrag aus dem Neue Lausitz Briefing vom 04. April 2023.
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