REPORTAGE / EU-FÖRDERUNG IN DER LAUSITZ
Lange haben die Unternehmen auf direkte Förderung gewartet. Nun sind die ersten Millionen aus dem Just Transition Fund (JTF) der EU verteilt. Sie fließen in Röstmaschinen, Café-Interieurs oder auch Luftschiffe.
von Robert Saar

Emilie Wegner steht vor auf Europaletten gestapelten Kartons. Hinter ihr verräumen Mitarbeiterinnen unter weißen Hauben Pakete zum Versand. Wasserdampf zieht über die Köpfe, als die gekochten Kichererbsen in die Röstmaschine umgefüllt werden. Wegner arbeitet in der Halle im Leipziger Norden mit 15 Beschäftigten an ihrer Vision: „Ich will, dass jeder Mensch in Deutschland täglich Hülsenfrüchte isst.“ Für die studierte Ernährungswissenschaftlerin ist klar, wie groß das Potenzial von Kichererbsen, Bohnen und Linsen ist. Gesund, da voller Eisen, Eiweiß und Vitamine, lange haltbar und weniger wasserintensiv im Anbau.
Die 29-jährige Wegner gründete 2019 mit zwei Partnern die Hülsenreich GmbH in Halle. Freunde und Familie verlangten immer öfter nach den Kichererbsen-Snacks, die Wegner zubereitete, man aber in keinem Geschäft einkaufen konnte. Mittlerweile vertreiben große Ketten wie Rossmann oder Müller die kleinen Tüten gerösteter Kichererbsen genauso wie Bio-Märkte. Für 2024 erwartet Chefin Wegner einen Umsatz von rund einer Million Euro.
Als junges Unternehmen geht es bei Hülsenreich um Wachstum: mehr Personal, neue Produktionsstätten, weitere Vertriebspartner. Dafür sind Investitionen nötig, die von der EU verdoppelt werden können. Das geht mit dem Business-Angel-Bonus.
Gemessen an der Gesamtsumme ist der Bonus ein kleines Programm, von dem sich Sachsens Wirtschaftsministerium aber Großes verspricht. Nur 16 der über 600 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. Jedes Unternehmen unter fünf Jahren kann eingetütete Investitionen privater Akteure online bei der Sächsischen Aufbaubank (SAB) einreichen und die Verdopplung beantragen. Investitionen bis zu 400.000 Euro sind förder-, also verdopplungsfähig. Für Unternehmen wie Investoren steigert das die Attraktivität erheblich – Firmen haben mehr Kapital, können schneller wachsen und Investoren bekommen zusätzliche Sicherheit, da die Erfolgschancen bei größerem Investment steigen.
Kichererbsen rösten in Leipzig
Als Teil des Green New Deal pumpt die EU über den JTF rund 19 Milliarden Euro in Regionen, die besonders von der grünen Transformation betroffen sind. Nach Polen ist Deutschland der zweitgrößte Empfänger: allein nach Sachsen fließen 645 Millionen Euro, Brandenburg bekommt über 100 Millionen mehr.
Das viele Geld hat allerdings die Liebe zur EU kaum erhöht – legt man die Ergebnisse der Europawahlen im Juni zugrunde. Deshalb der Besuch in der Kichererbsen-Bäckerei, der Teil einer Tour ist, mit der Sachsens Wirtschaftsförderung für die Förderung aus Brüssel wirbt. Neben klassischen Instrumenten, etwa der Kofinanzierung von Investitionen, ist man in der Behörde stolz auf den Business-Angel-Bonus, den das Wirtschaftsministerium in Dresden aufgelegt hat. Emilie Wegner hat ihn ausprobiert und ist glücklich mit den 183.000 Euro zusätzlich, die sie nun investieren kann. Verwaltung und Bürokratie seien machbar gewesen, berichtet die Unternehmerin. „Zwei Monate nach der Antragstellung war das Geld da.“ Die nächste große Anschaffung in der Produktion soll eine Abfüllmaschine werden.
Die große Herausforderung bei der Herstellung des Kichererbsen-Snacks ist der Spagat zwischen rösten und kochen. Nur so bekommen die Kichererbsen den richtigen Biss, ohne fad und ausgetrocknet zu schmecken. Da sie in Deutschland Pionierin ist, musste Wegner kreativ werden. „Wir haben die Röstmaschine mit einem Partner eigens entwickelt“, so die Chefin. Auch in der Familie musste sie Überzeugungsarbeit leisten – denn sie ist die erste Wegner, die ein Unternehmen gründet und führt. „Meiner Mutter habe ich es zuletzt erzählt, dass ich ein Unternehmen gründen will.“
Neue Theke mit Grüßen aus Brüssel
In der Lausitz sind es EU, Land und Bund, die überzeugen müssen. Unsicherheit und Skepsis gegenüber Kohleausstieg und Strukturwandel prägen politisch eine Region, die ihr Geld vorrangig in kleinen Betrieben verdient. Um zu vermitteln, wie nah die EU sein kann und was sie für Wirtschaft und Menschen in der Lausitz leistet, auch das ist Ziel der fetten Fördertöpfe – keine Förderung ohne Hinweisschild im Corporate Design der EU.
Bei Drechsel Bäcker in Löbau hängt auch so ein Schild. Jörg Schütze übernahm das Unternehmen 2017 mit Anfang 20 nach seiner Bäcker-Lehre. Nun betreibt er in der Region insgesamt elf Bäckereien, beliefert von einer eigenen Backstube, die mit regionalem Mehl herstellt. Bäckermeister Schütze zeigt auf die Theke, die Kaffeemaschine und die Kassensysteme. Man sei schnell bei zigtausenden Euro, wenn man eine Bäckerei modern ausstatten wolle. Ohne Hilfe sei das nicht zu stemmen gewesen. Aus dem JTF beantragte er Fördermittel des Programms Regionales Wachstum und bekam 70 Prozent Zuschuss für die über 200.000 Euro Modernisierungskosten.

Das Programm Regionales Wachstum ist eines der größten des JTF und hält für sächsische Unternehmen, die ihre Produktion erweitern, erneuern oder diversifizieren wollen, 100 Millionen Euro bereit. Nachdem Unternehmer Angebote für Renovierung oder Ankauf eingeholt haben, beantragen sie bei der SAB einen Zuschuss. Das sei ein recht hoher Aufwand gewesen, berichtet Schütze, der aber nichts vom Nörgeln hält.
Backen statt liefern lassen in Löbau
Vor seiner Bäckerei tummeln sich die Kinder einer nahegelegenen Schule. Durch die Scheibe sehen sie das dunkelbaue Werbeschild aus Brüssel und die nagelneue Bäckerei, bei der sich viele schnell ein Brötchen holen. Gegenüber der Bäckerei sind Runen an eine Garagenwand geschmiert. Er finde zwar noch Nachwuchs, doch die Region sei nicht gerade attraktiv für junge Leute, gibt Bäcker Schütze zu bedenken. „Die schielen nach Dresden. Da gibts Disco und Lieferando.“
Jörg Schütze sieht seine Zukunft trotzdem hier, in der Lausitz. „Wir bleiben hier im Kern der wunderschönen Oberlausitz“, sagt der Vater zweier Kinder. Auch seine Frau arbeitet im Betrieb, der rund 80 Menschen beschäftigt. Dass er über den Kauf der Bäckerei und verschiedene Investitionen nun in der Kreide steht, macht ihm nichts aus. „Schulden heißt ja nicht, dass man schuld daran ist. Das ist nur auf Deutsch so negativ behaftet.“
Gründen statt demonstrieren in Zittau
Zwar nicht verschuldet, doch mit einem ähnlich kritisch gesehenen Produkt wollen zwei junge Dresdner aus Zittau heraus das Transportwesen und die Luftfahrt revolutionieren. Genauer wollen sie eine alte Idee zukunftsfähig machen: Luftschiffe. Die Brüder Oscar und Ferdinand Meyer gründeten vor zwei Jahren die Wirtz Meyer GmbH und haben Übung darin, die Zeppelin-Skepsis zu zerstreuen. Sie treibe der Wunsch nach einer besseren Zukunft an, die nur mit entschiedenem Handeln gegen den Klimawandel zu erreichen sei. „Bei Fridays for Future haben wir uns nicht gesehen“, sagt Ferdinand. Gründen statt demonstrieren, so könnte man die Motivation der Brüder wohl beschreiben.
Ferdinand, 23, ist Betriebswirt und Oscar, 25, Tischlergeselle, der sein Maschinenbaustudium zugunsten des Unternehmens abgebrochen hat. Beide nennen sich Macher. „Gegenwind gibt uns Auftrieb“, sagt Ferdinand mit selbstsicherem Lächeln. Für den Auftrieb der Luftschiffe soll Helium sorgen – weniger entzündlich, aber teurer als der Wasserstoff, der die Hindenburg abfackelte. Die Geschäftsidee der Brüder Meyer zielt auf eine Lücke im Transportwesen ab. Spediteure können Güter entweder teuer und schnell per Flugzeug oder langsam und günstig mit dem Schiff transportieren. Für Waren, die auf der Fahrt reifen, etwa Obst, wäre das Luftschiff eine attraktive Variante.
Mit dem Business-Angel-Bonus wollen die Meyers den Prototypen finanzieren und ihr Team vergrößern. Nach Zittau hatte die beiden Dresdner nicht nur der EU-Fördertopf gelockt. Sie loben die schnelle und kooperative Verwaltung und die Zusammenarbeit mit der Hochschule Zittau Görlitz.
Luftschiff dank Business-Angel-Programm
Von der Skizze bis zum tatsächlichen Bau eines Luftschiffs von 300 Metern Länge ist es ein weiter Weg. Im Frühjahr wollen die Meyers ihren ersten Prototyp vorstellen, zehn Meter lang. Die Außenhülle, von der es bereits Materialproben gibt, soll aus Carbon-Aramith-Gewebe bestehen und auf der oberen Hälfte mit Solarpaneelen überzogen sein – diese Technologie muss noch weiterentwickelt werden, bevor sie Luftschiffe antreiben kann. Damit ließen sich Treibstoffkosten erheblich reduzieren.
Ausgestattet mit Elektromotoren und Batterien schwebt das Luftschiff butterweich durch die Lüfte, auf den Tischen würden nicht mal die Gläser wackeln. „Wir haben diese Gefühl zu reisen völlig vergessen“, schwärmt Oscar Meyer. Denn es sind nicht nur Güter, die perspektivisch per Luftschiff bewegt werden sollen. Auch der Personenverkehr steht im Fokus. Gerade für Reisende, die auch einen Tag länger unterwegs nicht schlimm fänden – wenn sie dafür entsprechenden Komfort genießen, so die Überlegung.
Die Gelder aus Brüssel fließen und zeigen auch Wirkung – ganz so, wie es das Motto „Europa fördert Sachsen“ vermitteln möchte. Nicht alle Programm laufen gleich gut, wie etwa der Darlehen Fonds für den Mittelstand. Besser ist es um das Regionale Wachstum und den Business-Angel-Bonus bestellt. Nicht ganz zufällig demonstrierte man Journalisten Projekte aus just diesen Programmen.

Wie sehr blaue Plakate im A3-Format die Verbindung zwischen Brüsseler Bürokratie und den unmittelbar begünstigten Unternehmen vor Ort vermitteln können, darf man anzweifeln. Rund ein Drittel der Lausitzer wählt weiterhin eine Partei, die den menschengemachten Klimawandel leugnet und davon spricht, dass die EU sterben muss. Einer skeptischen Bevölkerung die Vorteile und großen Chancen zu demonstrieren, die im entschlossenen Handeln für eine Transformation der Wirtschaft liegen, bleibt eine der wichtigsten Aufgaben der Politik in Dresden, Berlin und natürlich Brüssel.