ANALYSE / REGIERUNGSBILDUNG IN SACHSEN
CDU und SPD wollen das Einstein-Teleskop in die Lausitz holen. Die Kohleindustrie wird indes kaum erwähnt im Koalitionsvertrag von Sachsens neuer Minderheitsregierung.
von Christine Keilholz

Einstein-Teleskop statt Braunkohle
Die Braunkohle wird nur kurz abgehandelt. Die Passage über Rohstoffe erwähnt die Kohle und ihre Industrie nicht. Als Energieregion taucht die Lausitz nur einmal auf in dem 110 Seiten langen Koalitionsvertrag, den Sachsens CDU und SPD am vergangenen Donnerstag vorgestellt haben. Viel öfter geht es um Wissenschaft und Innovation in Sachsens Osten. So wollen die Koalitionäre die Strukturmittel gezielt einsetzen, „um ausgehend von der Forschung neue Wertschöpfung in den Regionen zu befördern“.
Ausdrücklich Erwähnung finden das Living Art of Building (LAB) und das Zentrum für Astrophysik (DZA). Letzteres wird als künftiger „international sichtbarer Leuchtturm der Spitzenforschung“ gewürdigt. Das bedeutet, Sachsens künftige Regierung hält an der Strategie fest, den wirtschaftlichen Aufbau der Lausitz nach der Kohle über die Wissenschaft erreichen zu wollen.
Um das zu unterstreichen, wollen beide Parteien das Einstein-Teleskop in die Lausitz holen, das das DZA erst komplett machen würde. Den Bewerbungsprozess um diese europäische Großforschungseinrichtung werde man aktiv begleiten und unterstützen. Nötige Erkundungen im Kreis Bautzen werde man finanzieren, um die Standorteignung unterlegen zu können.
Landesamt statt SAS
Den Strukturwandel wollen CDU und SPD neu organisieren. Künftig wird kein Ministerium mehr vorrangig für diese Aufgabe zuständig sein. Das bisherige Ministerium für Regionalentwicklung wird stattdessen zum Ministerium für Infrastruktur und Landesentwicklung, besetzt von der CDU. Das Ministerium wird auch für Verkehr und Bürokratieabbau zuständig sein.
Die Agentur für Strukturentwicklung (SAS) wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Stattdessen soll eine Landesgesellschaft zur strategischen Flächenentwicklung gegründet werden, die Flächen für Großansiedlungen erwerben soll. Das tut die SAS bereits im mitteldeutschen Revier. Zudem wollen die Koalitionäre ein Landesamt für Regionalentwicklung gründen, das sich um den ländlichen Raum und Projektmanagement im Strukturwandel kümmern soll.
Beim Strukturwandel will die Koalition mehr nach sozialen, innovativen und nachhaltigen Kriterien fördern. Die Projekte aus der ersten Förderperiode des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvKG) sollen bis 2029 umgesetzt „und die vom Bund zur Verfügung gestellten Fördermittel damit gesichert werden“, wie es im Vertrag heißt.
Neue Förderkultur und mehr Global Player
Großen Wert legt der Koalitionsvertrag auf Ansiedlungen, insbesondere solche durch „Global Player, die unser technologisches Profil verstärken“. Voraussetzungen dafür sind moderne und sichere Infrastruktur, Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien, schnelle Planungsprozesse und Fachkräfte. „Ansiedlungen sind auch Motor der regionalen Wirtschaft und überzeugen Arbeits- und Fachkräfte aus aller Welt von Sachsen“, steht im Vertrag.
Sachsens Ansiedlungspolitik soll von einer Nachfrage- hin zu einer Angebotspolitik ausgerichtet werden. Förderung soll Wertschöpfung stärken. Unternehmen, die wachsen oder sich zusammenschließen, rücken dabei in den Blick. Ebenso Unternehmen, die in Sachsen eigene Firmensitze mit Entwicklungsabteilung haben oder einrichten wollen. Kommunen will die Koalition bei der Planung von Gewerbe- und Industriegebieten unterstützen.
Unterm Strich wollen Christ- und Sozialdemokraten gemeinsam soll die Komplexität der Förderprogramme reduzieren und einen „Paradigmenwechsel in der Förderkultur“ herbeiführen. Die investitionsfördernden Zuschussprogramme „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und „Regionales Wachstum“ sollen entsprechend finanziert werden.
Kohleausstieg ohne Datum
Ein konkretes Jahr für den Kohleausstieg nennt der Koalitionsvertrag nicht, bekennt sich aber zu einem nicht näher definierten „gesetzlich vereinbarten Ausstiegspfad“. Die traditionellen Energiestandorte sollen vom Bund für künftige Kraftwerke berücksichtigt und ihre Flächen nach der Kohle nutzbar gemacht werden. „Dazu bedarf es eines rechtzeitigen gemeinsamen strategischen Ansatzes zwischen den Unternehmen, deren Belegschaft, der Region und dem Freistaat“, heißt es im Vertrag.
Wie in Brandenburg steht auch im sächsischen Koalitionsvertrag das Net Zero Valley als Ziel festgeschrieben. Die Koalitionäre wollen „die gemeinsamen Anstrengungen regionaler Akteure in der Lausitz“ für diese technologieorientierte Sonderwirtschaftszone unterstützen – und die Erweiterung auf andere sächsische Regionen prüfen.
In der Braunkohle-Sanierung sollen die sogenannten §4-Maßnahmen auf bisherigem Niveau fortgeführt werden. Dafür will man gleich nach Regierungsbeginn in Verhandlungen mit dem Bund für ein Sanierungs-Folgeabkommen eintreten.
Bürgerenergie und CCS
Beim Ausbau erneuerbarer Energien setzen die Koalitionäre auf die Potenziale aller erneuerbaren Energieträger. Atomkraft wird bei der Technologieoffenheit nicht explizit erwähnt – soll aber nach Willen von CDU und SPD auch kein sächsisches Thema werden. Stattdessen besteht die sächsische Energiewende nach ihren Vorstellungen aus Windenergie, Photovoltaik und Netzausbau.
Energy Sharing in Bürgerenergiegesellschaften soll ebenso unterstützt werden wie Agri-PV oder Solar auf Dachflächen, künstlichen Gewässern und Parkplätzen. Für Module auf den Dächern von Landes- und Kommunalimmobilien werden Programme aufgelegt. Für Energieprojekte soll es mehr Ertragsbeteiligung geben.
Weiter heißt es: „Wir halten den Aufbau einer Speicherinfrastruktur, regulierbarer Ersatzkraftwerke und intelligenter Netzsysteme für erforderlich, um flexibel auf den Energiebedarf reagieren zu können.“ Die Speicherung von CO2 mittels CCS-/CCU-Technologien soll wirtschaftlich genutzt werden, „um unvermeidbare CO2-Emissionen in der Industrie und in der Energiewirtschaft auch auf diesem Weg zu senken“.
Grenzkontrollen und wiederbelebte Bahnstrecken
Die Koalition will mehr Polizei an den Grenzen zu Polen und Tschechien. Neue Fahndungs- und Kontrolleinheiten sollen illegale Migration und Schleuserkriminalität eindämmen. Grenzkontrollen sollen verstetigt und Schleierfahndungen intensiviert werden.
Für Sachsen als Transitland ist der sechsspurige Ausbau der Autobahn 4 zwischen Dresden und Görlitz sowie die temporäre Nutzung der Standstreifen ein Ziel von CDU und SPD. Güterverkehr soll von der Straße auf die Schiene – dafür werden vorhandene Strecken ausgebaut und elektrifiziert. Dazu gehören Dresden-Görlitz und Cottbus-Görlitz, die ausdrücklich im Vertrag auftauchen.
Weiterhin erwähnt ist die Strecke Kamenz-Hoyerswerda, die für den Nahverkehr reaktiviert werden soll. Die Wiederbelebung von Ebersbach-Löbau will die Koalition auf Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit prüfen. Den Bund fordern die Koalitionäre auf, seine Infrastrukturmaßnahmen bis 2038 fertigzustellen. „Sollte dies nicht gelingen, fordern wir eine auskömmliche Anschlussfinanzierung“, steht im Vertrag.