„Die Lausitz sollte im Vorteil sein“

28. Januar 2025

INTERVIEW / TOBIAS BISCHOF-NIEMZ ÜBER WASSERSTOFF UND KRAFTWERKE

Enertrag-Vorstand Tobias Bischof-Niemz spricht über die gescheiterte Kraftwerksstrategie, die Bedeutung von Wasserstoff für sein Unternehmen und wie man Kommunen mit 40 Prozent AfD-Vertretung von Energiewende und Strukturwandel überzeugen kann.

Ist sicher, dass die Lausitz auch in Zukunft Energieregion sein wird: Enertrag-Vorstand Tobias Bischof-Niemz. Foto: Enertrag

Herr Bischof-Niemz, das Kraftwerksicherheitsgesetz (KWSG) ist gescheitert – atmen Sie jetzt auf oder müssen Sie feste durchpusten, weil Sie sich Sorgen machen?

Ich glaube ich spreche für alle in der Energiewirtschaft Tätigen, wenn ich sage: gesicherte Leistung sollte lieber schnell als langsam ausgeschrieben werden. Man sagt ja so schön, das Perfekte ist des Guten Feind. Ich glaube, wir hätten mit einer 80-Prozent-Lösung durchaus starten können. Insofern bin ich schon enttäuscht. Wir könnten schon viel weiter sein.

Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Wir wünschen zum einen mehr Fokus auf das, was im Erneuerbare-Energien-Gesetz schon angelegt ist, nämlich die Ausschreibung von reinen Wasserstoff-Rückverstromungskraftwerken. Das KWSG und die Diskussion darum haben das ein bisschen in Vergessenheit geraten lassen. Gleichzeitig wünschen wir uns Offenheit dafür, dass die Kraftwerke nicht in erster Linie in Süddeutschland gebaut werden.

Sie sprechen vom sogenannten Südbonus, einer ausschreibetechnischen Bevorzugung von Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, NRW, Saarland und Rheinland-Pfalz. Begründet wird die Bevorzugung mit erhöhtem Energiebedarf im Süden. Wie gerecht ist das?

Gerecht ist eine halbwegs gleichmäßige Verteilung im Süden und im Norden. Es gibt drei Möglichkeiten, Kraftwerkstandorte auszuwählen. Entweder man baut nahe der elektrischen Lastzentren – wo viel Energie verbraucht wird. Das würde in Richtung Süden gehen. Oder man baut da, wo schon Strominfrastruktur vorhanden ist. Das sind die alten Kraftwerksstandorte. Die dritte Variante: Man baut dort, wo die neue Primärenergie ist, also wo es viel Wind- und Sonnenstrom gibt. An diesen Standorten stehen perspektivisch die Elektrolyseure – und hier sollte im Verbund auch ein Teil der gesicherten Leistung stehen.

Das bedeutet für den Südbonus…

Der Südbonus setzt den falschen Fokus. Nämlich auf die ersten beiden Kategorien, die Lausitz bietet eine Kombination aus den beiden letzten Kategorien – und sollte damit im Vorteil sein. Der Fokus auf Regionen, in denen viel überschüssige Erneuerbare zur Verfügung stehen werden, fehlt uns ein wenig.

Was wird sich nach der Bundestagswahl für die Energiewirtschaft ändern?

Wir schauen entspannt auf die verschiedenen Konstellationen. Das betrifft sowohl die möglichen Koalitionen als auch die Frage, wer welche Häuser leitet. Über alle politischen Lager hinweg herrscht große Einigkeit, dass die Lausitz Energieregion bleiben soll und, auf Basis von Wind- und Sonnenstrom in Verbindung mit flexibler Leistung, Energiesicherheit und günstige Preise sichert. Der Wahlkampf verstärkt die Unterschiede zwischen Parteien mit Faktor zehn. Schaut man genauer hin, sind die Differenzen gar nicht so groß.

Bis auf die AfD, die den Klimawandel für Quatsch hält und Energieprojekte in den Kommunen ablehnt. Dort ist sie aber seit den Kommunalwahlen im Juni 2024 fast flächendeckend mit 40 Prozent vertreten. Wie gehen Sie um mit dem Widerstand gegen Ihr Geschäftsmodell?

Als Unternehmen müssen wir stärker betonen, welche lokale Wertschöpfung dadurch entsteht, dass wir Regionen zu Energieregionen machen, wie wir es in 20 Jahren in der Uckermark getan haben. Oder als Energieregion bewahren, wie wir es in der Lausitz tun. Der Wechsel des primären Energieträgers – von Kohle zu Wind und Sonne – geht nicht von heute auf morgen. Doch das Potenzial ist riesig. Die Lausitz hat beste Grundlagen, um ein substanzieller Lieferant von synthetischen Kraftstoffen zu sein. In Schwarze Pumpe veredeln wir regionalen Strom zu grünem Wasserstoff und diesen mit regionalem CO2 zu Methanol im Projekt „Green Fuels“ Lausitz mit dem Papierhersteller Hamburger Rieger. Lokaler kann Wertschöpfung nicht sein.

Trotzdem gibt es Widerstand, gerade in der Nachbarschaft.

Lokalen Widerstand gibt es, doch genauso erfahren wir große Unterstützung für unsere Projekte. In der Lausitz argumentieren wir viel auf Basis von Vorhersagen weil dort Vieles erst entsteht. In der Uckermark, wo unser Unternehmen herkommt, ist es andersrum. Da wünschen sich Gemeinden, dass bei ihnen mehr Erneuerbare gebaut werden, als bei anderen. Die Überzeugungsarbeit hat viel mit Vertrauen zu tun.

Statt von Wasserstoff sprechen viele im Wahlkampf von Technologieoffenheit. Was ist geblieben vom Hype um den neuen Wunderstoff?

Wir werden in Zukunft Strom und Wasserstoff produzieren. Zwischen 60 und 70 Prozent des produzierten Stroms geben wir in den Stromsektor, aus 30 bis 40 Prozent stellen wir Wasserstoff her. Wasserstoff lässt sich vielfältig anwenden, kann zurück in Strom umgewandelt werden, als Energieträger an Industriekunden verkauft werden oder weiterverarbeitet zu synthetischen Kraftstoffen. Wir betrachten Wasserstoff als wichtigen komplementären Energieträger zu unserer wichtigsten Primärenergie Strom.

Wie ist das eigentlich für Sie als Energieungernehmen, in der Lausitz Fuß zu fassen, wo schon ein Gigant namens Leag die Szene beherrscht?

Wir haben einige Jahre sehr eng mit der Leag zusammengearbeitet, die ja am Referenzkraftwerk Lausitz beteiligt war. Wir haben dann gemeinsam entschieden, dass die Leag sich auf einen anderen der drei Standorte konzentriert…

Nämlich welchen?

Jänschwalde, während wir in Schwarze Pumpe weitermachen. Grundsätzlich sind unsere Wasserstoffaktivitäten in guter Koexistenz, weil es da, offen gesagt, auch genügend zu tun gibt. Die Frage für uns alle ist eher: Wie schaffen wir den Hochlauf des Wasserstoffmarktes? Das geht nur, wenn mehrere Unternehmen ihre Kräfte einbringen. Unsere Sicht ist ganz klar: Wir haben lieber 20 Prozent Marktanteil an einem großen Markt als 100 Prozent Marktanteil an einem nicht existenten. ‚

Dr. Tobias Bischof-Niemz, Jahrgang 1976, ist Vorstandsmitglied der Enertrag SE, einem deutschen Kraftwerksbetreiber mit Aktivitäten in den Bereichen Windkraft, Solarstrom, Speicher, Wasserstoff und Netzinfrastruktur. Bischof-Niemz war Mitglied des Beraterstabs der Energieministerin in Südafrika, wobei er sich insbesondere mit dem Strukturwandel von der Kohleverstromung hin zur Nutzung von Wind- und Sonnenstrom beschäftigte. Studiert hat er Ingenieurwissenschaften und Energieregulierung in Darmstadt, Berkeley und New York. Mit Tobias Bischof-Niemz sprach Robert Saar.