HINTERGRUND / KOALITIONSVERTRAG IN BRANDENBURG
Der Kohleausstieg ist wieder auf 2038 gesetzt. Auch sonst enthält der Koalitionsvertrag mit dem BSW viel, was die SPD im bisherigen Dreierbündnis herunterdimmen musste. Doch mit dem neuen Partner tun sich Konflikte an neuer Stelle auf.
von Christine Keilholz

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat mit seiner anbrechenden vierten Koalition eine Sorge weniger. Der Kohleausstieg ist wieder uneingeschränkt auf 2038 gesetzt. Mit dem Formelkompromiss „idealerweise bis 2030“ aus dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung hatte der 63-jährige Spitzenpolitiker aus Forst seine Schwierigkeiten. Was er von den Grünen hält, die einen früheren Ausstieg immer wieder ins Gespräch brachten, zeigte Woidke vor einer Woche, als er deren Gesundheitsministerin auf offener Bühne aus dem Kabinett warf.
Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hatte der seit elf Jahren regierende Woidke in Sachen Strukturwandel eher leichtes Spiel. Der von ihm entworfene Werkstattprozess läuft weiter, dazu haben sich beide Seiten bekannt. Auch die landeseigene Wirtschaftsregion Lausitz – das Ausführungsorgan der Staatskanzlei bei der Fördergeldvergabe – steht im Entwurf des Koalitionsvertrags festgeschrieben.
Auf den ersten Blick bleibt Vieles beim Alten für die kommenden fünf Jahre. Doch enthält das 68 Seiten lange Vertragswerk zwischen Deutschlands ältester und jüngster Partei einiges Konfliktpotenzial. Nicht nur bei den Bundeswehr-Ansiedlungen, sondern auch bei den wirtschaftlichen und Energie-Fragen, die die Rede schnell auf Russland bringen.
Kohleausstieg zurück auf 2038
„Wir halten am gesetzlich und gemeinsam vereinbarten Kohleausstiegsdatum bis spätestens 2038 fest“, schreiben die Koalitionäre im Vertrag, „gerade mit Blick auf die Versorgungssicherheit.“ Das klingt wenig spektakulär, dreht aber die Entwicklung der Lausitz ein Stück zurück. Das ist praktisch die Absage an das Projekt, die Versorgung schneller mit nicht-fossiler Energiegewinnung zu erreichen. Zu diesem Ziel hatte sich die SPD zuvor nicht nur deshalb bekannte, weil sie in verschiedenen Koalitionen mit den Grünen stand. Auch der russische Angriffskrieg hat es nötig gemacht, Erneuerbare stärker ins Auge zu fassen.
Das hat schließlich auch der Lausitzer Energiekonzern Leag getan. Hier dürfte die Ansage aus Potsdam nicht nur Freude auslösen. Ein politisches Bekenntnis zu 2038 mag zwar die Betriebsräte in den Kraftwerken beruhigen. Doch damit wird der Leag auch das Kohle-Image länger anhaften, das der Vorstand unbedingt abstreifen will, um für Investoren und Großkunden interessant zu bleiben. Ein vielsagendes Detail: Im neuen Koalitionsvertrag ist nicht mehr von Gaskraftwerken die Rede, die in Jänschwalde und Schwarze Pumpe entstehen sollen, sondern von „steuerbaren Kraftwerken“.
Erneuerbare nicht überall
Der Boom der Erneuerbaren macht mehr Steuerung in der Fläche nötig, da sind sich die Koalitionäre einig. Anlagen sollen künftig vor allem dort genehmigt werden, wo ein Anschluss ans Verteilernetz möglich ist. Und die Koalition will Netzbetreiber dazu bewegen, stärker in Anschlussstellen zu investieren.
Solaranlagen soll es vorrangig auf Dächern, Parkplätzen und auf dem Wasser (Floating-PV) geben, sowie in Kombination mit Landwirtschaft (Agri-PV). Damit will man erreichen, dass mehr versiegelte Flächen genutzt werden als anderweitig nutzbare Böden. Das Windenergieanlagen-Abstandsgesetz soll bleiben, nach dem eine Gemeinde vom Betreiber 10.000 Euro jährlich pro Windrad bekommt.
Wasserstoff rückt in die Ferne
Eine großflächige Wasserstoff-Infrastruktur will auch die neue Regierung aufbauen. Die Wasserstoffstrategie gilt weiterhin und soll mit allen Beteiligten „zeitnah weiterentwickelt“ werden, darauf haben sich beide Parteien geeinigt. Wasserstoff war ein Herzensanliegen des scheidenden Wirtschaftsministers Jörg Steinbach (SPD), obwohl es sich wirtschaftlich bisher nicht ausgezahlt hat. Denn bevor Unternehmen aufspringen, muss zunächst langwierig und teuer Infrastruktur aufgebaut werden.
Immerhin betont die neue Koalition ihr Festhalten an diesem Kurs, auch wenn die zentrale Forderung des Netzausbaus zunächst an den Bund adressiert ist. „Erklärtes Ziel ist, das Wasserstoffkernnetz in Brandenburg an alle relevanten industriellen Abnehmer anzuschließen“, steht im Vertrag. Dabei haben SPD und BSW die Lausitz im Auge, die „dank ihrer bestehenden Kraftwerksstandorte, den qualifizierten Beschäftigten und der vorhandenen Infrastruktur ideale Bedingungen“ für eine Wasserstoffwirtschaft biete.
Net Zero Valley muss kommen
Das Wunschprojekt der Lausitzer Kommunen hat es in den Vertrag geschafft. Die Bewerbung der Region als Net Zero Valley „unterstützt die Koalition ausdrücklich“, schreiben die Koalitionäre. Das kommt einer landespolitischen Beglaubigung des Projekts gleich, die Lausitz in Europas erste Sonderwirtschaftszone für Transformationstechnologien zu verwandeln.
Die Lausitz-Runde feiert das als Erfolg. „Vor einem Jahr haben wir die Chance erkannt, alle Kräfte mobilisiert, Verbündete gesucht und gefunden“, schreibt Sprembergs Bürgermeisterin Christine Herntier (parteilos) auf ihrem Social Media Kanal. Auch der CDU-Europaabgeordnete Christian Ehler, der ansonsten wenig Gutes an den europapolitischen Entscheidungen der Koalitionäre findet, begrüßt das Bekenntnis aus Potsdam zu Net Zero. Allerdings, so Ehler, habe sich Woidke mit der Vergabe des Europaministeriums an das BSW „selbst Türen in Brüssel vor der Nase zugeschlagen“. Und ohne Zutrauen aus Brüssel wird das Net Zero Valley nichts.
Holzdorf aufrüsten
Die militärische Unterstützung der Ukraine ist zwar Sache des Bunds. Doch sind konkrete Projekte in der Lausitz verortet, an denen sich Auseinandersetzungen zwischen den Koalitionären jederzeit entzünden können. Auf den letzten Metern der Verhandlungen machte sich der BSW-Mann Sven Hornauf mit seinem Nein zum Ausbau des Bundeswehrstandorts Holzdorf in weitem Kreis bekannt. Der Luftwaffenstützpunkt Holzdorf im Kreis Elbe-Elster soll zu einem der größten in Deutschland werden. Ab 2025 werden dort Teile des Raketen-Abwehrsystems Arrow 3 stationiert, ab 2027 sollen 47 schwere Transporthubschrauber vom Typ Boeing CH 47 F Chinook hinzukommen.
Die entsprechende Passage im Koalitionsvertrag verdient ob ihrer vielsagenden Unbestimmtheit besondere Aufmerksamkeit: Man stimme darin überein, heißt es dort, „dass für Frieden und Sicherheit die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes von großer Bedeutung ist und die Fähigkeit der Bundeswehr zur Verteidigung gestärkt werden muss“. Deswegen unterstütze man die Entwicklung der Bundeswehr-Standorte, den Ausbau der zivilen Infrastruktur sowie die Ansiedlung entsprechender Wirtschaftsunternehmen.
Alle Kliniken sollen bleiben
In einer der emotionalsten Fragen, die die ländliche Bevölkerung bewegt, zeigt die Koalition Standhaftigkeit. „Wir wollen alle Krankenhausstandorte als Orte der regionalen Gesundheitsversorgung erhalten“, steht im Vertrag. Doch die „stärkere Kooperation und Arbeitsteilung“, die die Koalitionäre dafür bemühen wollen, kann im Endeffekt zu Teilschließungen führen. Zur schwierigen Frage der Krankenhausstrukturen im ländlichen Raum machen SPD und BSW keine Aussagen. Allenfalls wollen sie Möglichkeiten zur Hilfe für in Not geratene Kliniken prüfen.
Im Vergleich dazu nimmt die Medizin-Universität in Cottbus viel Platz im Koalitionsvertrag ein. Sogar die „vom Wissenschaftsrat als zukunftsweisend gewürdigten Forschungsschwerpunkte Gesundheitssystemforschung und Digitalisierung des Gesundheitswesens“ werden explizit genannt. An diesen Schwerpunkten des Prestigeprojekts Brandenburgs will auch das BSW festhalten.
Bahnstrecken wiederbeleben
Mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene, dafür spricht sich die Koalition aus. „Um den Güterverkehr nachhaltig zu gestalten und die Straßen zu entlasten, will die Koalition die LKW-Verkehre verstärkt auf die Schiene und die Wasserstraßen verlagern“, steht geschrieben. Dazu gehört auch das erklärte Ziel, Industrie- und Gewerbegebiete so weit möglich an das Bahnnetz anzuschließen. Für die Kraftwerksstandorte der Lausitz ist das ebenso wichtig wie für die sich entwickelnden Industriegebiete in Guben oder Drewitz.
Zudem wollen die Koalitionäre still gelegte Gleisanschlüsse reaktivieren und Umschlaganlagen ausbauen. Dafür setzt sich das Wirtschaftsverkehrsnetzwerk Lausitz intensiv ein. Der Verbund aus Unternehmen, Kammern und Kommunen konnte bisher allerdings wenige konkrete Erfolge erzielen. Immerhin gelang es mit erheblichem Nachdruck, zwei der Schienenprojekte aus dem Strukturstärkungsgesetz in die Planung zu bekommen: das zweite Gleis zwischen Cottbus und Lübbenau und den Ausbau zwischen Cottbus und Görlitz.
Bodenpreise beschränken
„Landwirtschaftliche Flächen dürfen nach Willen der Koalitionäre nicht als Spekulationsobjekte überregionaler Investoren dienen“, heißt es im Vertrag. Damit reagieren SPD und BSW auf den Boom um Flächen für Erneuerbare Energien. Für solche Flächen sollen, wo möglich, die Preise effektiv begrenzt werden. Mit dem Ziel, „mehr Transparenz und Gerechtigkeit auf dem Bodenmarkt“ zu schaffen, sollen steuerliche Vorteile für Investoren begrenzt und Anteilskäufe unter Genehmigungsvorbehalt gestellt werden.
Das Landesentwicklungsministerium, das künftig das BSW besetzen wird, ist dafür zuständig, die Flurneuordnungsverfahren zu beschleunigen. Die Privatisierung von Grund und Boden, der sich in öffentlicher Hand befindet, soll auf ein Minimum reduziert werden.